Streit im beschaulichen Besigheim: Kein Prosit der Gemütlichkeit
Touristen kommen gern nach Besigheim, dem „schönsten Weinort“ Deutschlands. Manchen auch zu gern: Der Hausfrieden ist gestört im schwäbischen Städtchen.
Geadelt wurde die schwäbische Kommune, deren historische Altstadt von drei Seiten von den Flüssen Neckar und Enz umgeben ist, schon des öfteren. Seit 2005 ist Besigheim ein staatlich anerkannter Erholungsort, bislang der erste und einzige im Landkreis Ludwigsburg bei Stuttgart. Seit 2010 kann sich die Kommune mit dem Titel „Schönster Weinort“ schmücken. Dabei standen über 40 Kandidaten zur Auswahl, als der MDR dazu aufrief, die zehn schönsten Weinorte in Deutschland zu küren. Darunter so prominente Namen wie Breisach, Bacharach und Bad Kreuznach. Den Siegertitel holte Besigheim.
Eine Verbindung zu Barack Obama
Besonders stolz ist man darauf, dass Barack Obama seine Wurzeln in der Stadt hat. 1750 segelte nämlich der 1728 in Besigheim geborene Johann Conrad Wölfle auf der „Patience“ in die Neue Welt, änderte seinen Familiennamen in Wolfley und ließ sich in Pennsylvania nieder. Dort heiratete er 1756 Anna Catherine Schockey und bekam mit ihr mindestens sechs Kinder, darunter Ludwig Lewis Wolfley, Obamas Urgroßvater in fünfter Generation. In Besigheim wohnte Wölfle in der Türkengasse 6, ein Plakat und eine Postkarte sind in der Bürgerinformation im Rathaus erhältlich.
Die BesonderheitBesonders voll in Besigheim wird es immer beim Besigheimer Winzerfest, das alle zwei Jahre stattfindet. In diesem Jahr wieder vom 19. bis 22. September. Mit über 100.000 Besucher*innen zählt das Fest zu den bedeutendsten kulturellen Veranstaltungen in der Region. Die Veranstaltungen finden zum größten Teil in der historischen Altstadt sowie in Gewölbekellern und Fachwerkhäusern statt.
Die ZielgruppeAlle, die Weintradition mit regionalen Genüssen, Kultur und stimmungsvoller Unterhaltung verbinden möchten. Weinliebhabern werden hochwertige Tropfen aus ganz Baden-Württemberg angeboten.
Hindernisse auf dem WegDie komplette Besigheimer Altstadt wird während des Winzerfestes verkehrsfrei, das reduziert die Parkmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe.
Touristisch wuchert die Stadt mit all diesen Pfunden, weil es in der Umgebung, wo in den kleinen Dörfern eine Gastwirtschaft nach der anderen schließt, kaum Vergleichbares gibt. In Besigheim spürt man bei einem Rundgang die weinselige Gemütlichkeit, die in lauen Sommernächten in der Kirchstraße und in den Nebengassen zum Tragen kommt. In den Kneipen „Zum Löwen“, dem „Hirsch“, „Benes’ Weinbar“ und dem „Ratsstüble“ wird gesungen, laut geschwätzt, gelacht, und wenn es an den Tischen draußen eng wird, rückt man zusammen.
Doch diese Idylle hat Risse bekommen, seit die Stadt per Gemeinderatsbeschluss den Marktplatz vor dem 1459 erbauten Rathaus für den Autoverkehr gesperrt und sieben Parkplätze, darunter auch den Behindertenparkplatz abgeschafft hat. In der Folge bekam der Marktplatz mit seiner Außengastronomie ein neues Gesicht.
Die Betreiber der „Marktwirtschaft“ und der gegenüberliegenden „Schwäberia“ konnten so die Bewirtung von rund 50 Plätzen über den Platz um mehr als 20 Sitzplätze, zehn Liegestühle, eine Chill-Lounge mit Sonnenschirmen und gemütlichen Sitzecken erweitern. Ein Eiswagen und mediterrane Pflanzen sorgen für Mittelmeerflair inmitten der Fachwerkkulisse. Die Folge: Jetzt strömen die Gäste mit und ohne Fahrräder über die Kirchstraße zum Marktplatz, um es sich, oftmals garniert mit Livemusik, gut gehen zu lassen. Der Tenor: Der Parkplatz ist nun eine Genussoase, in Besigheim startete eine neue Ära. Und Bürgermeister Florian Bargmann betonte, die Entscheidung über die Umgestaltung sei vom Gemeinderat im Interesse einer attraktiven Innenstadt getroffen worden.
Furcht vor Horden von Radlern
Begleitet wird diese Neuausrichtung allerdings von Protesten der Anwohner, die ihrem Ärger in einer Ratssitzung Luft machten. Die Grenzen des Erträglichen seien erreicht und man werde an der Entscheidung der Stadt sowieso zu wenig beteiligt. Und es würden immer mehr Touristen nach Besigheim kommen, während sich die Zahl der Parkplätze verringere, hieß es in einer Bürgerfragestunde.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Vergleiche mit der stark frequentierten Drosselgasse in Rüdesheim am Rhein wurden gezogen und grundsätzliche Bedenken zum touristischen Kurs der Stadt vorgebracht. Die gipfelten in der Frage, wie viel „Horden von Radlern“ man noch verkraften könne. Befürchtet wird auch, dass der Marktplatz künftig als Raum für den Austausch unter der Bürgerschaft wegfällt, ebenso als Platz für Protestversammlungen und den beliebten Wochenmarkt. Der Markt am Samstag soll aber wie bisher weiter bestehen bleiben, hier zeigen die Betreiber der „Marktwirtschaft“ Entgegenkommen. Schon am Freitagabend will man den nötigen Platz freiräumen.
An der grundsätzlichen Ausweitung schwäbischer Gemütlichkeit auf einem etwas höheren Preisniveau wird aber nicht gerüttelt. Man werde die Sperrzeiten einhalten, man werde weitere Mülleimer aufstellen und man werde weitere Aufenthaltsmöglichkeiten schaffen, so die Versprechungen. Schließlich bewirte man auf dem Marktplatz in Besigheim nicht nur Touristen, sondern auch Einheimische.
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