Abgeordnete mit Migrationshintergrund: Bundestag ist sehr weit von Repräsentativität entfernt
Der Anteil von Abgeordneten mit Migrationshintergrund im Bundestag sinkt auf 12 Prozent. Auch Frauen und Arbeiter*innen sind zu selten vertreten.
Didem Laçin Karabulut
Laut dem Mediendienst haben mindestens 73 der 630 kommenden Abgeordneten einen Migrationshintergrund, in den allermeisten Fällen geht es dabei um Verbindungen ins EU-Ausland. Das entspricht einem Anteil von etwa 12 Prozent. In der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil dagegen bei rund 30 Prozent. Deutliche Unterschiede sind zwischen den Parteien zu beobachten. Die Grünen haben mit 20 Prozent den höchsten Anteil Abgeordneter mit Migrationshintergrund. Bei der AfD ist der Anteil mit rund 6 Prozent am geringsten.
Im bisherigen Bundestag hatten Abgeordnete mit Migrationshintergrund einen Anteil von rund 12 Prozent. Der Wert geht nun etwas zurück, wenn auch nur leicht. Über die vorangegangenen Legislaturperioden war er dagegen stets gestiegen. Als Kriterium für einen Migrationshintergrund gilt, dass eine Person selbst ohne deutsche Staatsbürgerschaft geboren wurde oder dies auf zumindest ein Elternteil zutrifft.
Die Vorsitzende des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI), Didem Laçin Karabulut, nannte die Zahlen bei der Vorstellung „alarmierend“ und sprach von einem „strukturellen Demokratiedefizit“. Durch die nicht repräsentative Zusammensetzung würde es an Themenvielfalt in den Parteiprogrammen und verschiedenen Perspektiven bei der Gesetzgebung mangeln, so Karabulut.
Empfohlener externer Inhalt
Defizite nicht nur beim Migrationshintergrund
Auch in Sachen Geschlechterverteilung ist die Zusammensetzung des neuen Bundestages nicht repräsentativ. Der Frauenanteil ist im Vergleich zum letzten Bundestag sogar zurückgegangen. Nachdem dieser bisher noch bei etwa 35 Prozent gelegen hat, sind es künftig nur noch etwa 32 Prozent. Frauen machen in Deutschland dagegen über die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus und sind damit im Parlament deutlich unterrepräsentiert. Unter den Abgeordneten mit Migrationshintergrund liegt der Frauenanteil bei etwa 47 Prozent und ist damit deutlich höher als unter den Parlamentarier*innen insgesamt.
Auch hier sind zwischen den Parteien Unterschiede erkennbar. Mit einem Anteil von 61 Prozent ist der Anteil weiblicher Abgeordneter bei den Grünen am höchsten. Die AfD liegt mit knapp 12 Prozent einmal mehr ganz hinten. Der Politikwissenschaftler Andreas Wüst sagt dazu, Interessen von Frauen seien in der Vergangenheit immer benachteiligt gewesen. Es gäbe einen „großen Veränderungsbedarf“ bei der Zusammensetzung des Parlaments.
Menschen aus Ostdeutschland werden im Parlament von insgesamt 98 Abgeordneten vertreten, die über Direktmandate oder Landeslisten eingezogen sind. Das entspricht rund 16 Prozent der Abgeordneten. Bei einem Bevölkerungsanteil von 15 Prozent sind „Ostdeutsche“ – als isolierte Kategorie – damit im Verhältnis relativ exakt repräsentiert. Allerdings sind nicht alle der Volksvertreter*innen in Ostdeutschland geboren oder aufgewachsen. 42 der Abgeordneten gehören zur AfD.
Und auch bei den zukünftig im Bundestag vertretenen Berufsgruppen zeigen sich Defizite. Über zwei Drittel der Abgeordneten sind laut Bundeswahlleiterin im Bereich „Unternehmensorganisation, Recht, Verwaltung“ tätig. Nur fünf Prozent der Abgeordneten kommen aus den Bereichen „Rohstoffgewinnung, Produktion, Fertigung“ und „Kaufmännische Dienstleistungen, Vertrieb, Tourismus“. Studierende, Auszubildende und Rentner*innen sind mit einem Anteil von unter fünf Prozent vertreten.
Wüst sieht die Parteien verantwortlich für diese Unterrepräsentation von Minderheiten: „Chancengerechtigkeit in der Politik ist eine gesellschaftliche Aufgabe.“ Parteien müssten sich nachhaltiger öffnen für Diversität. Karabulut vom BZI weist darauf hin, dass Merkmale wie Geschlecht, Alter und Migrationshintergrund über die Platzierung auf Parteilisten entschieden. Häufig würden sie von älteren Männern ohne Migrationshintergrund angeführt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!