: Geräuschlose Abräumer
Ganz Deutschland staunt über die stabilen Umfrageergebnisse von SPD und Grünen in Hamburg. Der rot-grüne Senat schafft es, Konflikte zu befrieden, bevor sie hochkochen
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Von Gernot Knödler
So etwas wie 2001 passiert der Hamburger SPD so schnell nicht wieder. Nach vier Jahrzehnten Regierungsbeteiligung musste sie sich den Vorwurf gefallen lassen, eine Günstlingswirtschaft aufgebaut zu haben. Die Springer-Presse mopperte, weil der Autoverkehr angeblich nicht flüssig genug lief – und dann noch die Lage am Hauptbahnhof: ein Sammelpunkt von Alkohol- und Drogenkranken. „Zum Hauptbahnhof geh’ich schon lange nicht mehr“, bekannte eine damalige taz-Kollegin.
Als die Umfragewerte schlechter wurden und insbesondere das Thema innere Sicherheit dem damaligen rot-grünen Senat die Macht zu kosten drohte, holte Bürgermeister Ortwin Runde den damaligen SPD-Generalsekretär Olaf Scholz als Innensenator an die Elbe. Er ging gegen die Drogenszene vor, ermöglichte es, Dealern Brechmittel zu verabreichen und kündigte an, kriminelle Jugendliche schneller in den Knast zu stecken. Allein: Scholzens Einsatz kam zu spät. 19,4 Prozent Hamburger wählten die Partei des rechtsdrehenden Richters Ronald Schill.
Ein Teil dieser Ausgangslage für die Bürgerschaftswahl gleicht der heutigen. Wieder sind die Grünen Koalitionspartner. Diesmal stellen sie sogar den Verkehrssenator, dessen ehrgeizige Politik Angriffsflächen bietet. Das Drogenelend am Hauptbahnhof ist noch größer als damals. Dazu kam 2023 die Nachricht, Hamburg habe den gefährlichsten Bahnhof Deutschlands – den mit den meisten Straftaten, allerdings auch den meisten Reisenden und Besuchern.
Doch diesmal ist von einer Wechselstimmung nichts zu spüren. 59 Prozent der Befragten äußerten sich Mitte Februar gegenüber Infratest-Dimap zufrieden mit dem rot-grünen Senat unter dem Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher. Damit schneidet der Senat zwar schlechter ab als vor fünf Jahren, liegt aber im bundesweiten Vergleich weit vorn. Die SPD, die derzeit auf 32 Prozent der Stimmen kommen würde, erreicht in keinem Bundesland bessere Werte. Die Grünen (18 Prozent) schneiden nur in Berlin und Baden-Württemberg besser ab. Die prognostizierten Verluste beider Parteien gegenüber der Bürgerschaftswahl 2020 entsprechen mit minus 7 und minus 6 Prozentpunkten den Verlusten bei der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag. Trotzdem würde es für eine Fortsetzung von Rot-Grün reichen.
Die SPD punktet bei den Wählern vor allem mit Regierungsfähigkeit, die Grünen mit ihrer Umwelt- und Klimapolitik. Die CDU erhält nur bei der inneren Sicherheit einen mageren Prozentpunkt mehr Vertrauen als die SPD. Wesentlich für diesen Erfolg dürfte sein, dass die rot-grüne Koalition Konflikte in der Regel abräumt, sobald sie am Horizont auftauchen. Der Senat hat sich mit mehreren Volksinitiativen verständigt und hat so Niederlagen bei Volksabstimmungen vermeiden. Der Initiative „Keine Profite mit Boden und Miete“ gestand er zu, städtische Grundstücke nur noch im Erbbaurecht zu vergeben. Mit der Initiative „Hamburgs Grün erhalten“ vereinbarte er, 30 Prozent der Landesfläche für die Natur freizuhalten. Die Proteste für den Vollhöfner Wald („Völli“) befriedete er, indem er ihn zum Naturschutzgebiet machte – und dafür ein Stück wildes Grün im Hafen zum Planieren freigab.
Lange Wartezeiten bei der Kfz-Anmeldung gehören der Vergangenheit an. Zumindest bei einigen großen Projekten wurden anstehende Arbeiten im Straßen-, Leitungs- und Sielbau zusammengelegt. Bei besonders kritischen Bauvorhaben wird die Nachbarschaft früh beteiligt.
Nachdem das Thema gefährlicher Hauptbahnhof aufgekommen war, führte der Senat Quattro-Streifen aus Vertretern der Hamburger Polizei, der Bundespolizei sowie des Wachschutzes der Bahn und der Hamburger Hochbahn ein. Damit löste er das Problem, dass es auf dem Areal überall unterschiedliche Zuständigkeiten gibt. Mittlerweile sind in allen Bahnhöfen Waffen verboten.
Zudem erfand der Senat „Sozialraumläufer“ für den Hauptbahnhof und das angrenzende Viertel St. Georg, die für Ordnung sorgen und Menschen Hilfsangebote vermitteln sollen. Die Linke findet, hier seien eigentlich Sozialarbeiter gefragt. Die Drogenszene konzentriert sich etwas abseits des Bahnhofs an der zentralen Drogenhilfeeinrichtung „Drob Inn“. Damit die Junkies nicht gar so sehr auffallen, ließ der Senat einen Sichtschutz errichten.
Der aktuelle Senat profitiert auch von glücklichen Entscheidungen der Vergangenheit. Dadurch dass Olaf Scholz als Bürgermeister Ordnung ins Verfahren brachte, wurde die Elbphilharmonie von einem Skandalprojekt zu einer Attraktion. Und er hat dafür gesorgt, dass sich die Stadt in die Reederei Hapag Lloyd einkauft, um sie am Standort zu halten. Inzwischen hat die Reederei Milliarden an Dividenden überwiesen.
Anders als etwa Berlin hat Hamburg auch nicht seine öffentlichen Wohnungsunternehmen verkauft, was sich dämpfend auf die Mieten auswirkt und stabilisierend auf die Quartiere. Dazu kommt der bereits 2015 in der Bürgerschaft vereinbarte Schulfrieden, der die Schulstruktur festschrieb.
Bei den Koalitionspartnern SPD und Grünen paart sich Machtwillen mit Pragmatismus. In den sieben Bezirken versuchen die Grünen wie die SPD ihre Kandidaten für den Posten des Verwaltungschefs durchzudrücken, auch wenn sie dann gegeneinander arbeiten müssen. Das scheint aber ihre Zusammenarbeit auf Landesebene nicht zu beeinträchtigen.
Hier stellen die Grünen ab und an den Bau einer weiteren Autobahn quer durch die Stadt infrage. Sie tragen aber den Schnellbahn-Ausbau mit, schon allein, weil die Pläne weit gediehen sind. Das Kohlekraftwerk Moorburg, das die damalige grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk anders als versprochen genehmigen musste, hat Vattenfall inzwischen selbst stillgelegt. Die umstrittene Elbvertiefung ist durch. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Wasserstoffwirtschaft ziehen die Senatsmitglieder am selben Strang, dito beim Ausbau des öffentlichen Nah- und des Fahrradverkehrs – was die SPD aber nicht davon abhielt, kurz vor der Wahl ihr Herz für Parkplätze wiederzuentdecken.
Im Allgemeinen räumen die Koalitionspartner Konflikte untereinander aus. „Geräuschlos regieren“ sei das Ziel, sagte ein früherer Chef der Senatskanzlei. Weitgehend klappt das.
„C’est à Hambourg, au ciel de pluieQuand les nuages vont à pas lentsComme s’en vont les lourds chalandsLe long des quais, crevant d’ennui“
Édith Piafsieht 1955 in ihrem Chanson „C’est à Hambourg“ einen wolkenverhangenen Himmel
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