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Neues Soloalbum von Fritzi ErnstDie Welt steht kopf

Trennung, Theater, Tears For Fears: Fritzi Ernst entkommt in den Songs ihres zweiten Soloalbums „Jo-Jo“ den Niederungen des Alltags mit Eleganz.

Wann wird es wieder Sommer? Fritzi Ernst, ehemalige Hälfte des Pop-Duos „Schnipo Schranke“ Foto: Robin Hinsch

„Uupsiupsiupsiups“, „Ich bin so dumm“, oder „Es macht klopfklopf in meiner Brust.“ Das neue Album von Fritzi Ernst heißt „Jo-Jo“ und bewegt sich textlich zwischen Selbstgespräch und Tagebucheintrag. Genau deswegen wirkt die Musik der 35-jährigen Hamburger Künstlerin auch so nahbar.

„Ich hatte auf jeden Fall auch das Bedürfnis, die Musik nicht nur für mich zu machen, sondern ich mache das ja auch für das Außen und will auch Kontakt und kommunizieren“, erklärt Fritzi Ernst der taz ihre Befindlichkeiten beim Zusammenstellen ihrer neuen Songs.

Über ihr neues Album und dessen Entstehung sprechen wir bei einem Cappuccino in einem kleinen Café in Hamburg-Altona. Kommunizieren, das macht Fritzi Ernst sehr bedacht. Eher grübelnd, als aus Angst davor, das vermeintlich „Falsche“ zu sagen. Mehr hat es den Anschein, als hätte sie die richtige Antwort schon parat und müsste sich nur kurz auf die Suche nach dieser begeben. Eine Person, mit der man gerne einen Kaffee trinken geht.

Schreien oder Schweigen

„Schreien oder Schweigen“ heißt einer der zehn Songs auf ihrem neuen, zweiten Solo­album. Danach gefragt, wovon es denn abhängig ist, ob sie schreit oder schweigt, sagt Fritzi Ernst: „Gerade dieses Schweigen und Schüchternsein ist irgendwie ein Thema in meinem Alltag.

Fritzi Ernst

Fritzi Ernst: „Jo-Jo“ (Bitte Freimachen/Euphorie/The Orchard). Die Tour beginnt am 18. Februar 2025

Früher war ich einfach nur wahnsinnig schüchtern. Mittlerweile bin ich erwachsen und kann mit Schüchternheit besser umgehen.“ Und trotzdem käme es immer wieder zu Situationen, in der sie auf die Welt blickt und erkennt, was alles Schlimmes passiert. „Dann denke ich, Scheiße, eigentlich muss ich halt einfach den Mund aufmachen!“

Den Mund aufmachen? Das tut sie dann auch. In der Entstehung des Albums aber erst später, denn diesmal waren zuerst die Sounds da, und nicht die Songtexte. Kurze 30-sekündige Skizzen, die die Musikerin, die mal Klavier und Blockflöte studierte, anschließend loopt. Damit hat sie eine verspielte Einfachheit kreiert. Mit wenigen Zutaten: Drumcomputer und Klavier.

Auf dem Rummelplatz

Sich Fritzi Ernst schreiend vorzustellen, wie der Songtitel „Schreien oder schweigen“ suggiert, fällt allerdings schwer. Das letzte Mal, als sie das getan hat? Auf dem Rummelplatz am Hamburger Dom – dem gefühlt immer, aber eigentlich nur dreimal im Jahr stattfindenden Volksfest auf dem Heiligengeistfeld in St. Pauli. Dort hat sie sich überreden lassen in eines der Fahrgeschäfte, den „Rotor“ einzusteigen.

Apropos Rummel: Auch damit lässt sich die Musik von „Jo-Jo“ gut vergleichen. Allerdings wird auf dem „Jo-Jo“-Rummel nicht geschrien, aber alles ist angenehm farbenfroh, und statt schnell sich bewegender und penetrant blinkender Attraktionen gibt es dort auch Holzkarusselle und einen Streichelzoo.

Morphende Traum-Atmosphäre

In etwa so ist auch die vorherrschende Stimmung in den Musikvideos zu den vorab als Singles ausgekoppelten Songs „Märchen“ und „Ich steh im Bett“. Zur Umsetzung von Letzterem nutzte Fritzi Ernst teilweise KI-Animationen, um eine morphende Traum-Atmosphäre zu erschaffen. Dass sie KI nie für ihre Musik nutzen würde, das scheint klar. Die Verwendung fürs Video sei aber kein Problem, sondern ein Gewinn für sie.

„Vorgeschlagen hat das Gloria Gammer, Regisseurin des Videos, die unbedingt mal damit experimentieren wollte, und ich fand ihre visuelle Idee zur Musik sehr passend. Außerdem ist auch sofort klar und offensichtlich, dass es sich um KI-Animationen handelt.“ Klarheit, die wollte Fritzi Ernst auch bei der einzigen Coverversion, die sich auf dem Album findet. Klarheit für die Hörerinnen, dass es sich um eine Anverwandlung handelt.

Entschieden hat sie sich für den Track „Mad World“ der britischen Synthiepopband Tears for Fears aus dem Jahr 1982. Warum gerade dieser? „Weil es einfach ein super Song ist.“ So weit, so klar, so nachvollziehbar. „The dreams in which I’m dying / Are the best ones I’ve ever had“ ist vielleicht eine der schönsten Songzeilen überhaupt und passt, obwohl auf Englisch gesungen, ganz großartig zu den ebenfalls sehr glaubwürdigen und direkten eigenen Songtextzeilen, die aus der Feder von Fritzi Ernst kommen.

Die Idee, auch mal ein Cover auf das Album zu packen, die stammt von Ted Gaier. Das Goldene-Zitronen-Mitglied, dessen WG-Mitbewohnerin Fritzi Ernst einst für eine Weile war, ist wie bei ihrem Debütalbum „Keine Termine“ erneut für die Produktion verantwortlich. Schon lange sind die beiden miteinander bekannt. Kennengelernt haben sie sich, als Fritzi Ernst noch eine Hälfte des Popduos Schnipo Schranke war, mit dem sie insgesamt zwei Alben veröffentlicht hat.

Auflösung betrauern wie gescheiterte Beziehung

„Nie drüber gelacht“ heißt der fünfte Song auf „Jo-Jo“, in dem sich Fritzi Ernst mit dem Aus der Band auseinandersetzt. Wer den Song hört, ohne über Schnipo Schranke Bescheid zu wissen, glaubt wahrscheinlich, einen Trennungssong zu hören. Wer um die plötzliche Auflösung der Band im Jahr 2019 weiß, stellt dann fest, dass man das Ende einer Band ebenso betrauern kann wie das einer Beziehung.

Auch wenn die Gründe für das Aus von Schnipo Schranke bis heute hauptsächlich den beiden Musikerinnen selbst bekannt sind. „Ja, ich wollte noch mal was dazu sagen. Das war durchaus schwierig, die passenden Worte dafür zu finden.“

Die künstlerische Trennung von ihrer Partnerin Daniela Reis hat sie ohne Vorwurf thematisiert und mit dem Song ausgedrückt, „wie es mir heute damit geht, was ich darüber denke. Es beschäftigt mich nach wie vor und wird es wahrscheinlich auch weiterhin tun,“ beschreibt Fritzi Ernst dieses leidige Thema, auf das sie vielleicht beim nächsten Album in Interviews nicht mehr angesprochen wird.

Auftragsmusik fürs Theater

Tears for Fears, Trennung und: Theater. Auch aus diesem Themenfeld hat es ein Song auf ihr neues Werk geschafft. „Alarm Alarm“ heißt er und entstammt der Zusammenarbeit von Fritzi Ernst mit der Regisseurin Leonie Böhm. Sowohl bei der Inszenierung von „Die Räuberinnen“ an den Münchner Kammerspielen als auch beim Theaterstück „Johanna“ aufgeführt in Hamburg und Zürich, ist es Fritzi Ernst, die die Schiller-Stücke musikalisch untermalt.

Und so hat sich Ernst hinsichtlich Sprache und Formulierungen von Friedrich Schiller inspirieren lassen, Sätze wie „In menschenreicher Öde stehe ich / Das gemeine Glück berührt mich nicht“, könnten aber auch ohne Zweifel von ihr stammen. Ihre Gedanken zum Sturm und Drang dieser Zeilen? „Also ich muss da auf jeden Fall immer an Menschenmengen denken.

Wo auch immer, beim Konzert, auf einer Demo, irgendwie lenken sich alle ab,und bei sich denkt man so, boah, aber eigentlich ist doch alles scheiße. Wenn man zum Beispiel auf dem Dom ist und man denkt, oh Gott, warum habe ich eigentlich keinen Spaß?“

Dass sie nicht gemacht ist für große Menschenmengen, glaubt man Fritzi Ernst sofort. Mehr scheint die Hamburger Künstlerin geschaffen zu sein für die Introspektion, von der dann viele etwas haben, wenn sie diese in Musik packt. Und dann ist man eben auf dem Ernst’schen Rummel. Dass dort nicht alles in Harmonie schwelgt, wissen ihre Fans, manchmal braucht es eben genau Musik wie die von Fritzi Ernst, die die Hö­re­r:In­nen mit ihrer Glaubwürdigkeit davor bewahrt, sich zu sehr der Resignation hinzugeben.

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