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Quoten-Poker um die besten Listenplätze

In den kommenden Tagen stellen CDU, Grüne und SPD ihre Kandidaten für die Bundes­tagswahl im Februar auf. Nur bei den Grünen ist klar: An der Spitze steht eine Frau

Von Stefan Alberti

Die Vertrauensfrage ist noch gar nicht gestellt, der Bundestag noch nicht aufgelöst. Doch spätestens seit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch die Vertrauensabstimmung beantragt hat, besteht kaum Zweifel mehr daran, dass am 23. Februar Neuwahlen zum Bundestag stattfinden. Deshalb sind nun auf die Schnelle die Leute zu nominieren, die dann auf den Stimmzetteln stehen. Das machen jetzt binnen einer Woche CDU, Grüne und SPD, Berlins drei größte Parteien. Anders als 2021 könnte wieder bei allen eine Frau an der Spitze der Liste stehen.

Den Anfang macht an diesem Donnerstag die CDU in einem Tagungshotel in Moabit mit einem Treffen, das laut Wahlgesetz gar kein normaler Parteitag ist, sondern „Landesvertreterversammlung“ heißt. Am Samstag folgen an gleicher Stelle die Grünen, die dort am letzten Novemberwochenende schon ihren regulären Parteitag zu Wohnungs- und Mietenpolitik abhielten. Mittwochabend trifft sich dann die SPD, die dazu das Foyer des Willy-Brandt-Hauses nutzt, ihre Bundeszentrale.

Um was es geht, das sind die sogenannten Landeslisten. Darüber schicken die Parteien Leute ins Parlament, wenn ihnen dort mehr Sitze zustehen, als sie Wahlkreise gewinnen. Die Berliner Grünen beispielsweise hatten bei der Bundestagswahl 2021 mit ihren 22 Prozent bei den Zweitstimmen Anspruch auf sieben Sitze. Weil sie drei der zwölf – weitgehend mit den Bezirken identischen – Wahlkreise gewannen, rückten vier Kandidaten über die Liste ins Parlament, mit der heutigen Bundesfamilienministerin Lisa Paus an der Spitze.

Vor der Neuwahl stehen die Grünen in Berlin zwar nach einer Umfrage von Ende November ähnlich gut da wie 2021. Doch weil der Bundestag nach einer Wahlrechtsreform von jetzt 738 auf dann 630 Sitze schrumpft, würden sich diesmal aus 22 Prozent nur sechs Sitze ergeben. Bei erneut drei Wahlkreissiegen wären über die Liste nur noch drei Mandate zu besetzen, wobei das letzte davon wacklig wäre. Die entscheidende Frage am Samstag ist darum: Wer unter denen, die keinen Wahlkreis gewinnen, rückt gleich hinter Lisa Paus in den Bundestag, die erneut Spitzenkandidatin sein will?

Im Kern müssen sich die Berliner Grünen entscheiden: Wollen sie den zum Bundeswahlkampfleiter avancierten Neuköllner Abgeordneten Andreas Audretsch sicher im Bundestag sehen? Oder honorieren sie, dass die vormalige Parteichefin Nina Stahr Ende 2023 auf Bitten der Partei das Amt erneut übernahm, als der Landesverband ins Chaos abzugleiten drohte?

Bei einem Wahlergebnis auf Höhe der jetzigen Umfrage reicht es für beide, fallen wenige Prozentpunkte weg, wird es knapp. Um vor Stahr auf der Liste zu stehen, braucht Audretsch Platz 2. Für den aber bewirbt sich auch erneut der Pankower Abgeordnete Stefan Gelbhaar, der 2021 das bundesweit einzige grüne Direktmandat in einem Ost-Wahlkreis gewonnen hat.

Die SPD könnte am Wahlabend ohne ein einziges Direktmandat aus Berlin dastehen

Bei der CDU sieht es anders aus: Die jetzigen Umfragewerte deuten darauf hin, dass die Christdemokraten Anspruch auf acht Mandate haben werden und sieben Wahlkreise gewinnen könnten: nicht nur wie 2021 Steglitz-Zehlendorf, Reinickendorf und Marzahn-Hellersdorf, sondern auch Tempelhof-Schöneberg, Charlottenburg-Wilmersdorf, Spandau und Neukölln. Dort siegte 2021 überall die SPD – aber die ist gegenüber ihrem Ergebnis von 2021 deutlich abgesackt, von über 22 auf jüngst 13 Prozent.

So könnte es sein, dass die Sozialdemokraten, die sich lange als „die Berlin-Partei“ gesehen haben, am Abend des 23. Februar ohne einen einzigen Wahlkreissieg in der Bundeshauptstadt dastehen. Selbst sehr bekannte Gesichter wie der frühere Regierende Bürgermeister Michael Müller kämen nur über die Liste ins Parlament.

Auch wenn die Spitzenkandidatur nicht so bedeutsam ist wie bei Landtagswahlen – wo sich daraus im Erfolgsfall der Ministerpräsidentenjob ergibt –, vermittelt sie eine klare politische Botschaft. Oft geht es deshalb um Proporz und Geschlechterfragen. Die SPD etwa könnte wieder eine Frau zur Spitzenkandidatin machen wie 2013 und 2017 mit Eva Högl, inzwischen Wehrbeauftragte des Bundestags.

Bei den Grünen ist eine Frau als Nummer 1 quasi Gesetz, bei der CDU war das auch ohne Satzungsvorgabe von 2005 bis 2021 der Fall. Dort stand Monika Grütters an der Spitze, acht Jahre lang auch Bundeskulturbeauftragte. Grütters aber hat schon im Herbst klargemacht, dass sie nicht erneut antritt.

Die CDU muss sich deshalb überlegen, ob der Mann aufrückt, der bislang hinter Grütters auf Platz 2 stand: Jan-Marco Luczak. Oder ob sie weiter mit einer Frau an der Spitze antritt. Das könnte Generalsekretärin Ottilie Klein sein. Sie selbst wollte das gegenüber der taz nicht bestätigen.

Bei der SPD stand 2021 Michael Müller auf Platz 1, der zur Zeit des Wahlkampfs noch Berlins Regierungschef war. Dieses Mal gab es beim jüngsten Parteitag im November einen Antrag, den Spitzenplatz wie bei den Grünen grundsätzlich für eine Frau zu reservieren. Über diesen wurde aber nicht abgestimmt. Dennoch könnten die Sozialdemokraten kommenden Mittwoch eine Frau an die Spitze wählen. Falls sie das tun, dann wird es mutmaßlich Annika Klose sein, die 2021 in den Bundestag kam und früher Berliner Juso-Chefin war.

Foto: Fotos oben, unten links und unten rechts: dts Nachrichtenagentur/imago; unten Mitte: Britta Pedersen/dpa

Von „feministisch emanzipatorischer Tradition unserer Partei“ war im November bei der SPD die Rede. Doch andere argumentieren, der Name an der Spitze der Liste stehe auch auf dem Wahlzettel vorne und ziehe am 23. Februar umso mehr Kreuzchen an, je bekannter dieser Name ist – was Richtung Michael Müller weisen würde.

Die CDU kann dabei den Kurs durchaus mitbestimmen: Setzt sie Ottilie Klein auf Platz 1, wäre die SPD erheblich unter Druck nachzuziehen. Die CDU wiederum würde, wenn sie nun erstmals seit über 20 Jahren wieder einen Mann auf Platz 1 setzt, jene bestätigen, die bei ihr unter Bundesparteichef Friedrich Merz eine Rückkehr zu früheren Geschlechterrollen wahrnehmen.

Ursprünglich hätte sich das alles schon bis zum 16. Dezember klären müssen, also nächsten Montag – dann wäre die SPD mit ihrer Nominierung am Mittwoch zu spät dran. Dieses Datum hatte Landeswahlleiter Stephan Bröchler Mitte November genannt. Am Dienstag verwies Bröchler gegenüber der taz auf einen neuen Zeitplan. Eine Fristveränderung durch das Bundesinnenministerium hat demnach dafür gesorgt, dass die Parteien ihre Listen bis Mitte Januar einreichen könnten – die SPD ist also noch gut im Plan.

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