Beste Stimmung im Farage-Fanclub

Großbritanniens rechtspopulistische Kraft „Reform UK“ sieht sich seit dem Einzug ins Parlament im Aufwind. Beim Parteitag in Birmingham ist vom Wahlsieg 2029 die Rede

Mehr als eine Luftnummer: Nigel Farage bei einer Showeinlage auf der Rednerbühne beim Parteitag von Reform UK, Freitag Foto: Hollie Adams/reuters

Aus Birmingham Oliver Pohlisch

Eine lange Warteschlange hat sich am Morgen vor dem Eingang des National Exhibition Centre am Rand von Birmingham gebildet. In dem weitläufigen Komplex zwischen Flughafen und Autobahn findet jedes Jahr die weltweit größte Hundeausstellung statt, doch an diesem Freitag lassen die Menschen geduldig die Sicherheitskontrollen über sich ergehen, um zum Parteitag von Reform UK zu gelangen. Das Publikum ist mehrheitlich älter und ganz überwiegend weiß, ein Mann mit einem „I love Donald Trump“-T-Shirt ist hier nicht der einzige Besucher, der seine Sympathien zur Schau stellt.

Norman Maclean fällt durch seinen Schottenrock auf, dabei kommt der 54-Jährige aus Luton nördlich von London. Das Kleidungsstück ist eine Referenz an die Herkunft seines Vaters. Im Wahlkreis Luton South kandidierte er bei den jüngsten Unterhauswahlen für Reform UK und landete auf dem vierten Platz. Jetzt hofft er auf „gute Stimmung“ im Messezentrum. „Die Zukunft wird strahlend sein“, schickt er gutgelaunt hinterher.

Tatsächlich strotzen die britischen Rechtspopulisten derzeit vor Selbstbewusstsein. Erstmals gelang ihnen am 4. Juli mit fünf Direktmandaten der Sprung ins Unterhaus, mit 14 Prozent holte die Partei von Nigel Farage den dritten Platz.

Nach Angaben von Reform UK wurden 4.000 Tickets für den Parteitag verkauft. Reges Treiben herrscht im Foyer mit seinem retrofuturistischen Raumschiffcharme, der Bierausschank ist schon vor Beginn stark frequentiert. In der Mitte des Foyers hat GBNews, das britische Pendant des ultrarechten US-Senders Fox News, ein Fernsehstudio aufgebaut, in Erwartung von Nigel Farage.

In erster Linie hat Reform UK ihm den Wahlerfolg zu verdanken. Nigel Farage, der mit seinen Kampagnen Großbritannien in den Brexit trieb und danach die von ihm gegründete „Brexit Party“ in „Reform UK“ umbenannte, hatte eigentlich nach dem EU-Austritt der Politik den Rücken gekehrt und trat als Moderator bei GBNews auf. Aber als Tory-Premier Rishi Sunak überraschend Wahlen für den 4. Juli ansetzte, kam er zurück. Jetzt sitzt er im Unterhaus.

Unbestritten genießt Farage eine gewisse Popularität, weil er es geradezu meisterhaft versteht, sich in der Öffentlichkeit als Sprachrohr des sogenannten kleinen Mannes auszugeben. Reform UK ist praktisch ohne ausgearbeitetes Wahlprogramm auf einer Welle der Zustimmung ins Parlament geritten, die sich ohne Farages kurz­entschlossene Kandidatur im Wahlkreis Clacton gar nicht erst aufgebaut hätte.

Dementsprechend ist die Choreografie des Parteitages ganz auf Farage zugeschnitten. Aus den Lautsprechern erklingt Eminems „Without Me“, als er, umringt von Security und Fotografen, die Halle betritt und durch die Reihen der Zuschauer schreitet, die ihn mit „Nigel, Nigel“-Rufen frenetisch bejubeln. Sobald er auf die Bühne tritt, wird um ihn herum ein Feuerwerk gezündet.

Während seiner frei gehaltenen Rede schaltet er sofort auf Attacke. Keir Starmer bescheinigt er, schon zu Beginn seiner Amtszeit so unbeliebt zu sein wie kein Premier vor ihm. Demonstrativ setzt er sich eine, wie er verlautet, „teure Brille“ auf, die er aber selbst bezahlt habe – eine Anspielung auf den ersten größeren Labour-Skandal, die Affäre um Freundschaftsdienste und Werbegeschenke für Starmer und seine Frau, darunter mehrere Luxusbrillen im Wert von 2.485 Pfund. Aber auch die Konservativen, die erstmals nach 14 Jahren an der Macht wieder die Oppositionsbank drücken müssen und derzeit nach einer neuen Führung suchen, bekommen ihr Fett weg: „Die Marke ‚Tory‘ ist am Ende.“ Bleibt: Reform UK.

Auf der Bühne erklärt Farage, ganz stolzer Vater, seine Partei endlich für erwachsen und nimmt seine Parteigänger auch gleich in die Verantwortung, überall Ortsvereine zu gründen, um in die Kommunalparlamente einzuziehen, bei den Kommunalwahlen im Mai nächsten Jahres möglichst viele Sitze in Gemeinderäten und Stadtparlamenten zu ergattern.

Den Vorwurf, in seinem eigenen Wahlkreis kaum anwesend zu sein, ja bisher nicht einmal Bürgersprechstunden anzubieten, hatte Farage vergangene Woche mit dem Hinweis auf seine prominente Stellung gekontert. Obwohl während Farages Auftritt auf die Leinwand hinter ihm Ansichten von Clacton-On-Sea projiziert werden, scheint ihm das Tagesgeschäft des Wahlkreisabgeordneten einfach ein paar Nummern zu klein. Seit Beginn der Legislaturperiode weilte er aber schon dreimal in den USA, zu Anlässen in Donald Trumps politischem Umfeld.

Seine Vorredner in Birmingham geben sich sowieso überzeugt davon, dass Farage 2029 in 10 Downing Street einziehen wird, und auch Farage selbst schwört die Anwesenden auf das Ziel ein, Reform UK zur Gewinnerin der nächsten Parlamentswahlen zu machen.

Wenig überraschend, bemüht Farage die „schweigende anständige Mehrheit im Land“, die sich mit einem „kaputten Großbritannien“ konfrontiert sehe. „Britain is broken“ – wie ein Mantra zieht sich diese Phrase durch alle Redebeiträge, im seltsamen Kontrast zur nüchternen Funktionalität des Messezentrums, in dem ein ethnisch gemischtes Servicepersonal für den reibungslosen Ablauf sorgt, während Farage und seine Parteikollegen für praktisch alle Probleme des Landes die ihrer Meinung nach außer Kontrolle geratene Einwanderung ins Königreich verantwortlich machen.

Für Norman Maclean aus Luton, der sich nun ein Bier gönnt, ist Einwanderung „zu hundert Prozent“ der Grund für sein Engagement, da sie „die Menschen in diesem Land tötet“. Sie würde „jeden ärmer machen, weil sie auch für den Anstieg der Lebensmittelpreise und der Mieten sorgt“, fügt Maclean hinzu, der nicht nur Sohn eines Schotten, sondern auch einer Süditalienerin ist.

„Britain is broken“ – wie ein Mantra zieht sich diese Phrase durch alle Redebeiträge

Reform UK setzt auch in voller Fahrt auf die Kulturkampfschiene. Jeglichen Bemühungen um mehr Diversität in allen Gesellschaftsbereichen erteilen sie eine Absage, erklären Multikulti für gescheitert, stellen Transgenderrechte infrage, erklären die kritische Aufarbeitung britischer Kolonialgeschichte für unpatriotisch, verschmähen Veganismus und brandmarken das Streben nach Netto-null-Emissionen bis 2050 als schädlich.

Welche eigene Agenda die Partei zu verfolgen gedenkt, bleibt demgegenüber unklar. Verurteilen die einen Redner die Labour-Regierung scharf dafür, dass diese im kommenden Winter Heizzuschüsse nur noch für die bedürftigsten Rentner auszahlt, singt der Abgeordnete Rupert Lowe das Hohelied des schlanken Staates im Sinne Maggie Thatchers.

Es ist wohl der bisher undemokratischen Verfasstheit von Reform UK zu verdanken – die Partei war bisher juristisch ein Unternehmen im Besitz von Nigel Farage, aber das soll sich jetzt ändern –, dass die etatistischen und die libertären Strömungen innerhalb der Partei noch gar keine Gelegenheit hatten, sich gegenseitig ins Gehege zu kommen. Am Samstagmorgen stimmen die Konferenzmitglieder per Hand mehrheitlich für ein Parteistatut, das den Mitgliedern überhaupt erst ein Recht gibt, über Inhalte und Personal mitzureden.

Nun wird sich zeigen, ob aus Reform UK eine breiter aufgestellte Partei mit streitenden Flügeln wird oder ein Farage-Fan-Club bleibt.