Frust, Hype und Präsidententränen

Vor dem Demokraten-Parteitag in Chicago demonstrieren Menschen gegen die US-Unterstützung für Israels Krieg. Drinnen feiert die Partei ihre neuen Chancen mit Harris

m Tag der Kundgebung "March on the DNC" am Rande des Parteitags der Demokraten in Chicago halten Demonstrierende eine Puppe, die US-Vizepräsidentin Kamala Harris als Strippenzieherin darstellt

Unzufrieden mit der Kandidatin: Am Tag der Kundgebung „March on the DNC“ am Rande des Demokraten-Parteitags in Chicago halten Demonstrierende eine Puppe hoch, die US-Vizepräsidentin Harris als Strippenzieherin darstellt Foto: Eduardo Munoz/reuters

Aus Chicago Hansjürgen Mai

Drinnen herrschte euphorischer Jubel. Draußen großer Unmut. Der erste Tag des diesjährigen Nominierungsparteitags der Demokraten zeigte eindrucksvoll den Zwiespalt, mit dem viele demokratische Wähler in diesen Tagen kämpfen. Zwar wollen die wenigsten erneut vier Jahre unter Ex-Präsident Donald Trump verbringen, doch zugleich sind viele im Augenblick auch nicht bereit, für Vizepräsidentin Kamala Harris zu stimmen. Der Grund ist die anhaltende Unterstützung der US-Regierung für Israels Krieg gegen die Hamas in Gaza.

„Es ist unfassbar, dass beide großen politischen Parteien in den USA an der Unterstützung und Lieferung von Waffen und Munition zur Fortsetzung des am besten dokumentierten Völkermords in der Menschheitsgeschichte beteiligt sind“, sagte Sarah aus Chicago im Gespräch mit der taz. Sie gehört zu denen, die sich aufgrund des Kriegs im Gazastreifen aktuell nicht vorstellen können, für Harris und die Demokraten zu stimmen. Und das trotz der Gefahr einer möglichen zweiten Trump-Amtszeit.

Sarah, die ihren Nachnamen nicht nennen wollte, war eine von etwa 3.000 Demonstranten, die am Montag beim „March on the DNC“ teilgenommen haben. Es ist eine von mehreren Protestaktionen, die während dieser Woche in Chicago zum Thema Gazakrieg geplant sind. Was die meisten davon gemeinsam haben, ist die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand und einem Ende amerikanischer Waffenlieferungen. Organisiert wurde der Protestmarsch von einer Koalition aus Vereinigungen aus dem linken politischen Lager, wie der American Party of Labor oder der Socialist Alternative.

Sie marschierten von einem nahegelegenen Stadtpark bis zum Veranstaltungsort des demokratischen Parteitags, dem United Center, wo eine geringe Zahl von ihnen einen Schutzzaun durchbrechen konnten. Einige wurden daraufhin verhaftet. Ansonsten blieb es aber ruhig. Unter den Demonstranten waren auch Familien und kleine Kinder zu sehen. Die aggressive Stimmung mancher Protestteilnehmer zeigte allerdings, wie tief der Frust über die aktuelle Politik der US-Regierung bei manchen sitzt.

„Der Status quo ist nicht gut genug. Wir brauchen eine Veränderung, und Harris gibt uns keine Veränderung. Wir werden nicht einfach für sie stimmen, nur weil wir Trump nicht wollen. Sie muss sich unsere Stimmen verdienen“, sagte die aus Milwaukee angereiste Demonstrantin Elaine.

Von alldem war innerhalb der Arena nur wenig zu spüren. Der Krieg im Gazastreifen spielte bei der ganzen Euphorie über Harris und ihren Vizekandidaten, Minnesotas Gouverneur Tim Walz, nur eine untergeordnete Rolle. Die Demokraten reiten seit knapp einem Monat eine Welle der Begeisterung. Mit Harris ist die Energie unter den Anhängern zurück, die unter Präsident Biden abhandengekommen war. Und dies war am Montagabend deutlich zu spüren.

Mit der populären Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez, Ex-Außenministerin Hillary Clinton und natürlich Biden selbst fuhren die Demokraten bereits am ersten Abend schwere Geschütze auf. Die Menschen tanzten, jubelten und feierten sich und ihre Partei. Wie für einen Parteitag nun so üblich. Ziel des Abends war es, den Unterschied zwischen Harris und Trump deutlich hervorzuheben. Ein Redner nach dem anderen erklärte, dass Harris eine Präsidentin sei, die sich für das Wohl von Amerikas Familien und Amerikas Arbeiter einsetzen werde. Trump hingegen habe rein egoistische Gründe.

„Harris muss sich unsere Stimmen verdienen“

Elaine, Demonstrantin aus Milwaukee

„Kamala Harris arbeitet für die Menschen. Kamala Harris arbeitet für euch. Donald Trump geht es nur um sich selbst“, sagte die US-Handelsministerin Gina Raimondo während ihrer Rede. Es ging den Demokraten darum, eine positive Nachricht an die Bevölkerung zu senden. Die USA seien ein Land, in dem jeder Erfolg haben kann, in dem Rechte ausgeweitet und nicht beschränkt werden. Für das Highlight des Abends sorgte jedoch Biden selbst. Noch vor einem Monat hatte er damit gerechnet, in dieser Woche die Nominierung seiner Partei als Präsidentschaftskandidat für eine zweite Amtszeit anzunehmen. Biden hatte Tränen in den Augen, nachdem ihn seine Tochter Ashley mit rührenden Worten vorgestellt hatte. In seiner Rede erklärte er dann, dass die Demokratie gesiegt habe und es nun darum gehe, sie mit einem Wahlsieg von Harris im November zu festigen. „Thank you, Joe! Thank you, Joe!“-Rufe wurden von den mehr als 20.000 Menschen im United Center immer wieder angestimmt.

Biden unterstrich die Erfolge seiner Regierung und machte deutlich, dass Harris einen großen Anteil daran gehabt habe. „Ich frage Sie: Sind Sie bereit, für die Freiheit zu stimmen? Sind Sie bereit, für Demokratie und Amerika zu stimmen? Sind Sie bereit, Kamala Harris und Tim Walz zu wählen?“ Harris selbst überraschte viele, als sie am frühen Abend selbst die Bühne betrat und sich bei Biden für dessen Lebenswerk bedankte. „Joe, vielen Dank für deine historische Federführung, für deinen lebenslangen Dienst im Auftrag unserer Nation und für alles, was du weiterhin tun wirst. Wir sind dir für immer dankbar.“