Umstrittene Internetplattformen: Cannabis so leicht wie Pizza ordern
Seit der Legalisierung können Ärzte die Droge leichter verschreiben. Im Internet geht das sogar ohne Gespräch. Schwerkranke Patienten kritisieren das.
Doch dransay.com und andere Internetplattformen machen dem SPD-Politiker einen dicken Strich durch die Rechnung, sodass die Legalisierung viel weiter geht als weithin bekannt ist. Besitz und Konsum seien am 1. April erlaubt worden, „dadurch hat eine Entstigmatisierung stattgefunden“, sagt Unternehmensgründer Can Ansay der taz.
„Die Leute wissen aber nicht, wo sie ihr Cannabis legal herbekommen. Und da greifen viele Patienten dann auf die Möglichkeit von Cannabis auf Rezept zurück, weil es bei uns so einfach und schnell ist wie Pizzaservice.“
Ein „Onlineshoppingerlebnis“
Teile der Hanfpflanze (lateinisch cannabis) zu konsumieren ist aber nicht so harmlos, wie Pizza zu essen. „Bei länger andauerndem Konsum können psychische Störungen wie Depressionen und Psychosen auftreten“, warnt das Gesundheitsministerium. „Zudem besteht das Risiko der Entwicklung einer Abhängigkeit.“ Vor allem der für den High-Effekt verantwortliche Inhaltsstoff THC könne die Gehirnentwicklung bei Menschen bis zu einem Alter von 25 Jahren stören.
Dann seien sie besonders anfällig für negative Auswirkungen, auch bei kurzfristigem Konsum. „Cannabis-Konsumierende haben eine höhere Schulabbruchrate, eine geringere Beteiligung an universitärer Ausbildung und weniger akademische Abschlüsse.“ Deshalb die hohen Auflagen für die Anbauvereinigungen.
Doch Can Ansay umgeht diese Hürden mit seinen Privatrezepten für als Medizin deklariertes Cannabis. Er sagt, sein Unternehmen biete dem Nutzer „ein Onlineshoppingerlebnis“: „Er wählt im Shop nach einer schriftlichen Aufklärung bei Erstpatienten aus, welche Blüte er haben will.“
Dann fülle der Nutzer noch einen Fragebogen aus insbesondere zur Anamnese, wo er zum Beispiel angeben kann, dass er Schlafstörungen hat, und erhalte dann binnen ein, zwei Tagen das Cannabis nach Hause geliefert – „das war’s schon“, sagt Ansay. Ein Arztgespräch sei meist nicht nötig. Wenn, dann findet es sowieso nicht in Präsenz, sondern nur per Video statt. „Das Videogespräch ist nur für den Fall, dass der Arzt noch Rückfragen hat. Das ist aber in der Regel nicht der Fall“, erzählt Ansay.
„Make weed great again!“
Man kann über seine Plattform auch mehr Cannabis bekommen als bei einem Anbauklub. Dort beträgt das Monatslimit laut Konsumcannabis-Gesetz für Erwachsene 50 Gramm pro Kalendermonat. Mitglieder bis 21 Jahre dürfen sogar nur 30 Gramm mit höchstens 10 Prozent THC bekommen. Auf Ansays Website lag die Grenze am vergangenen Freitag bei 100 Gramm. Für alle, ohne jegliche THC-Grenze. Mit 100 Gramm lassen sich mehr als 300 Joints bauen.
Ansay nennt seine Plattform eine „Revolution“ und formuliert seine Mission frei nach Trump so: „Make weed great again!“ Sein Business soll natürlich auch groß werden, kann man sich hinzudenken.
Und das tut es. „Wir hatten vor dem 1. April, also vor der Teillegalisierung von Cannabis, circa 30, 40 Ordern pro Tag“, also Bestellungen für Cannabisrezepte. „Danach ist es um ein Zigfaches gestiegen, und wir haben jetzt eine Anzahl von Ordern im vierstelligen Bereich“, berichtet er stolz. „Wir sind also Revolutions- und Marktführer.“
Auch einer seiner Konkurrenten, Bloomwell, schreibt der taz, die Zahl der Neupatient:innen habe sich im April verglichen mit dem Durchschnitt der Monate vor der Neueinstufung von Cannabis verzehnfacht.
Anbauklubs sind bisher keine Konkurrenz
Der Grund ist, dass seit dem 1. April Cannabis nicht mehr auf einem speziellen Papierrezept für Betäubungsmittel verordnet werden muss, für das aufwendige Sicherheitsmaßnahmen galten. Jetzt reicht ein normales elektronisches Rezept. Der Patient musste vor der ersten Verschreibung einen Arzt gesehen haben und nachweisen, dass andere Therapien nicht geholfen haben. „Das ist nun alles weggefallen“, freut sich Ansay.
Die Anbauklubs sind bisher keine wirkliche Konkurrenz für das Internetgeschäft: Bisher haben nur wenige eine Genehmigung erhalten. Es wird noch dauern, bis sie das erste Mal Cannabis ernten.
Selbst dann werden sie wohl nicht so attraktiv sein für Cannabisnutzer wie Internetlieferdienste. Vor allem, weil die Droge bei Ansay und seinen Kollegen billiger sein wird. Er schätzt, dass die Klubs mindestens 6 Euro berechnen müssen, bei den Apotheken auf Ansays Plattform gibt es das Gramm schon für 3,99 Euro.
Deren Lieferanten in Kanada, Südamerika, Australien und anderswo hätten lange Erfahrung. „Die können das sehr, sehr günstig und effizient produzieren. Und da müssen sie sich einen Hobbygärtner vorstellen, der einen Anbauklub betreibt, bis der erst mal diese Kompetenz hat.“
Die Klubs könnten auch nicht auf so großen Flächen Cannabis anbauen. All das spricht Ansay zufolge dafür, dass große Mengen auch weiterhin auf Rezept im Internet und nicht über die Anbauklubs verkauft werden.
Wachsende Kritik
Doch die Kritik an diesem Geschäftsmodell wächst. Die Bundesärztekammer teilte der taz mit: „Grundsätzlich sind starke Zweifel angebracht, ob zum Beispiel eine alleinige Behandlung per Fragebogen der ärztlichen Sorgfaltspflicht entspricht.“
Das sieht auch Daniela Joachim so. Sie ist Vorsitzende des Bunds Deutscher Cannabis-Patienten. Dieser Verein vertritt chronisch Kranke mit starken Schmerzen, die sich durch Cannabis lindern lassen. Sie können sich die Behandlungkosten auch von den gesetzlichen Krankenkassen erstatten lassen.
„Wir sehen das sehr kritisch, weil damit Medizinalcannabis bagatellisiert wird“, sagt Joachim über ihrer Meinung nach unseriöse Internetanbieter. „Das sind Sachen, die unterm Strich dem Ansehen von Medizinalcannabis nicht guttun.“
Joachim kritisiert auch, dass Jugendschutzregeln bei manchen Internetplattformen fehlten. Sie würden gezielt um junge Kunden werben, zum Beispiel mit Rappern. „Bei Dr. Ansay werden Patienten ab Erreichen der Volljährigkeit behandelt“, sagt im Kanal des Unternehmens auf der Social-Media-Plattform Tiktok eine junge Frau. Auch hier kein Wort von Einschränkungen für Heranwachsende.
Ansay behauptete im Gespräch mit der taz zunächst, dass Heranwachsende über seine Plattform nur genauso viel Cannabis bestellen könnten wie in den Anbauklubs. Doch zum Beispiel in der FAQ-Sektion seiner Internetseite stand ausschließlich die höhere 100-Gramm-Grenze für alle. Auf Nachfrage war sich Ansay dann doch nicht mehr sicher, ob die Programmierer das Limit für die Heranwachsenden „schon implementiert“ hätten. Von einer THC-Grenze war sowieso nicht die Rede.
Hemmschwelle für Lügen ohne Gespräch niedriger
Missachten seine Mediziner ärztliche Sorgfaltspflichten? „Das ist totaler Quatsch“, antwortet Ansay. Man kläre doch auch auf, über Suchtgefahren zum Beispiel.
Und wie stellt seine Firma sicher, dass die Nutzer keine falschen Angaben über ihre Symptome machen? „Das stellen wir besser sicher als jeder Praxisarzt, der ja letztlich auch Symptome wie Schmerzen oder Schlafstörungen, also die häufigsten Beschwerden für eine Cannabistherapie, auch in der Praxis nicht überprüfen kann. Da vertraut man einfach auf die Angaben der Patienten.“ Während ein Gespräch vor Ort nur mündlich ist, werde im Internet alles schriftlich dokumentiert und sei deshalb auch beweisbar.
Aber wahrscheinlich ist die Hemmschwelle für Lügen in einem Gespräch höher als beim Ausfüllen eines Internetformulars allein und zu Hause. Patientenvertreterin Joachim fordert deshalb, dass Arztgespräche wieder vorgeschrieben werden. Zwar sind Lügen für die Verschreibung strafbar, „aber wo kein Kläger, da kein Richter“, sagt sie. Bei einem Arzttermin könnte es auch eher auffliegen, wenn ein Minderjähriger sich mit dem Personalausweis eines Erwachsenen bei einer Cannabisplattform angemeldet hat.
Das Bundesgesundheitsministerium beantwortet nur unklar die Frage der taz, ob eine Verschreibung von Cannabis ohne Arztgespräch legal sei. Im Einzelfall müssten das die Ärztekammern der Länder überprüfen.
Ausdrücklich verweist es aber auf das Heilmittelwerbegesetz, wonach für verschreibungspflichtige Arzneimittel „nicht außerhalb der Fachkreise“ geworben werden darf. Dafür seien die Länderbehörden zuständig. Das dürfte im Fall von Ansay schwierig werden: Seine Firma ist in keinem deutschen Bundesland registriert, sondern in Malta.
Sind Sie eigentlich Arzt, Dr. Ansay? „Nein, meine Mutter und Schwester sind Ärzte. Ich bin promovierter Rechtsanwalt“, antwortet er. Irreführend im Zusammenhang mit einer Medizinwebsite sei das „Dr.“ im Namen aber nicht. Seine Mutter und Schwester hätten ja auch mitgewirkt in der Firma. „Als Firmenname ‚Dr. jur. Ansay‘ ist halt nicht so griffig“, sagt der Geschäftsmann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen