Der umkämpfte Kongress

Ihre Resolution verbreiteten die Ver­an­stal­te­r*in­nen des Palästina-Kongresses am Sonntag online. Zuvor hatten sie mit Statements und einer Demo gegen das Verbot ihres Treffens protestiert. Das Vorgehen der Polizei kritisierten sie als „völlig unverhältnismäßig“

Protest gegen das Verbot des Palästina-Kongresses vor dem Roten Rathaus   Foto: Florian Boillot

Von Darius Ossami
und Uta Schleiermacher

Online ging es dann doch noch weiter. Den Abschluss des Palästina-Kongresses bildete am Sonntag ein Tribunal. Dazu verbreiteten die Ver­an­stal­te­r*in­nen mehrere Reden von Betroffenen und Erfahrungsberichte aus Gaza über Streams bei Youtube und Twitch. Die Red­ne­r*in­nen stellten dabei eine Resolution vor, in der sie Deutschland die Mitschuld an einem Völkermord unterstellen.

Der Kongress selbst hätte eigentlich das gesamte Wochenende in einem Veranstaltungssaal in der Germaniastraße in Tempelhof stattfinden sollen. Die Polizei hatte die Veranstaltung allerdings am Freitag rund eine Stunde nach Beginn aufgelöst. Sie verbot außerdem die Wiederaufnahme für das gesamte Wochenende.

Grund für das abrupte Ende war laut Polizei eine Videobotschaft von Salman Abu Sitta, einem Historiker und palästinensischen Aktivisten, der der Hamas und der Muslimbruderschaft nahestehen soll. Wenige Minuten nach Beginn seines Beitrags schalteten die Po­li­zis­t*in­nen den Strom für die Übertragung seines Statements ab – und lösten die Veranstaltung auf. Es hieß, Abu Sitta habe ein politisches Betätigungsverbot in Deutschland.

Abu Sitta stand bereits im Vorfeld der Konferenz in der Kritik: Er hatte im Januar in einem Statement gesagt, dass er, wenn er jünger wäre, an der Attacke der Hamas auf Israel am 7. Oktober teilgenommen hätte. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung hatte ein Einreiseverbot für ihn gefordert.

Sein Videostatement begann Abu Sitta mit den Worten, dass niemand ignorieren könne, was derzeit in Gaza passiere. „Es gibt nichts Vergleichbares in der Geschichte der Menschheit“, sagte er. Er sehe hier alle in vorherigen Massakern und anderen Zusammenhängen angewendeten Gräueltaten vereinigt. Neu und bisher nie da gewesen sei auch, dass diese täglich im Fernsehen gezeigt würden, die Brutalität finde vor aller Augen statt.

Gegen das Verbot des Kongresses formierte sich Protest: Am Samstagnachmittag versammelten sich etwa 1.200 Menschen am Neptunbrunnen in Mitte, um gegen den Krieg in Gaza und den erzwungenen Abbruch der Konferenz zu demonstrieren. Dagegen demonstrierten 25 Menschen mit Israelfahnen. Die Polizei war mit einem Großaufgebot von 900 Be­am­t*in­nen aus mehreren Bundesländern vor Ort.

Die Stimmung war aufgeheizt, aber friedlich. Auf Schildern wurde die Haltung der Bundesregierung zum Vorgehen Israels und die Medienberichterstattung über propalästinensische Proteste kritisiert. „Wir werden nicht zum Schweigen gebracht“, rief Iris Hefets vom Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. „Wir wollen, dass alle Menschen zwischen dem Meer und Jordanien die gleichen Rechte haben.“

Eine Sprecherin einer kommunistischen Jugendorganisation beklagte, dass mit Björn Höcke ein Faschist „zur Primetime im Fernsehen“ sprechen dürfe, während gleichzeitig einem Arzt und Rektor der Universität Glasgow die Einreise verweigert wurde. Gemeint war der britisch-palästinensischen Arzt Ghassan Abu Sittah, der ebenfalls am Freitag auf dem Kongress hätte sprechen sollen. Ihm war am Flughafen BER die Einreise verweigert worden.

Die Kongress-Veranstalter kritisierten das komplette Verbot in einer sich an ein internationales Publikum wendenden Pressekonferenz am Samstag. Es sei falsch und gefährlich und müsse „alle erschrecken“. Eine Anwältin sagte, von dem Verbot seien sie komplett „überrumpelt“ worden. Vor Beginn der Konferenz hätten sie bei einem Sicherheitsgespräch auch das Programm noch mal durchgesprochen. Dass Salman Abu Sitta auf der Konferenz sprechen sollte, sei außerdem seit Langem öffentlich gewesen. „Dass er ein Betätigungsverbot hat, das war uns nicht bekannt“, sagte die Anwältin, sie zog außerdem in Zweifel, dass so ein Verbot auch für Videobotschaften gelte. Die Polizei sei völlig unverhältnismäßig vorgegangen und habe damit das Kooperationsgebot bei Versammlungen verletzt.

1.200 Menschen demonstrierten gegen das Verbot der Konferenz

Die Polizei wiederum sagte, dass die Rede von Abu Sitta zu einer neuen Gefährdungsbewertung und dann letztlich zu dem Verbot geführt habe. Er sei in der Vergangenheit mit volksverhetzenden, gewaltverherrlichenden und antisemitischen Aussagen aufgefallen. Die Gefahr solcher Straftaten bei dem Kongress sei mit seiner Rede daher stark gestiegen. Zu dem politischen Betätigungsverbot gegen ihn sagte die Sprecherin der Polizei, dass dies vom Bundesinnenministerium (BMI) ausgesprochen und aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nur der Person selbst mitgeteilt werde. Nach Einschätzung der Polizei gelte das Betätigungsverbot auch für Videobotschaften.

Die Anwältin der Ver­an­stal­te­r rief die Jour­na­lis­t*in­nen mehrmals dazu auf, bei der Polizei kritisch nachzufragen. Der Presse würde die Polizei umfassender antworten als ihnen, sagte sie. Weit weniger pressefreundlich hatten sich die Ver­an­stal­te­r*in­nen vor dem Kongress und am Freitag selbst gezeigt. Im Video­stream des Kongresses ist kurz vor dessen Abbruch eine Stimme zu hören, die die Teil­neh­me­r*in­nen zur Ruhe auffordert. Die „prozionistische Presse“ sei anwesend, dies sei also kein „Safe Space“ mehr.

Die Deutsche Jour­na­lis­t*in­nen Union (DJU) von Verdi berichtete, dass die Arbeit mehrerer Jour­na­lis­t*in­nen massiv durch Kon­gress­teil­neh­me­r*in­nen behindert worden sei. Die Ver­an­stal­te­r*in­nen hatten im Vorfeld versucht, ihnen unliebsame Presse von der Konferenz komplett auszuschließen. Die DJU verbreitete etwa ein Foto, auf dem zu sehen ist, wie ein Teilnehmer ein Palästinensertuch vor eine Kamera hält, und auch in anderen Situationen sollen Anwesende versucht haben, Journalisten mit Tüchern am Filmen oder Fotografieren zu hindern.

inland 6, meinung