Pro-Bahn-Chef über neue Bahnstreiks: „Fahrgast leidet stärker als bisher“
Die neue Streiktaktik der GDL wird Bahnkund:innen hart treffen, warnt Fahrgastverbandschef Detlef Neuß. Schuld sei nicht nur die Gewerkschaft.
taz: Herr Neuß, die GDL streikt ab Mittwoch zum fünften Mal seit Beginn der Tarifverhandlungen. Aus Fahrgastperspektive: Haben Sie dafür Verständnis?
69, ist seit 2016 Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn. Der Verband tritt für die Rechte von Fahrgästen des öffentlichen Personenverkehrs und für die Verkehrswende ein.
Detlef Neuß: Die Verhandlungen laufen seit Monaten und die Tarifpartner kommen einfach nicht auf einen Nenner. Das ist für die Fahrgäste unzumutbar. Besonders unglücklich ist, dass Verdi gleichzeitig den öffentlichen Personennahverkehr bestreikt. An den Flughäfen streikt das Bodenpersonal. Man hat also keine Alternative. Leute mit Behinderungen, die keinen eigenen Pkw nutzen können, bleiben auf der Strecke. Oder Leute, die Termine haben, die sie wahrnehmen müssen. Das ist einfach nicht mehr akzeptabel in diesem Umfang.
Der Chef der GDL, Claus Weselsky, hat sogenannte Wellenstreiks angekündigt. Was bedeutet das für die Fahrgäste?
Wellenstreiks sehen wir als Verband sehr kritisch, das muss ich ganz ehrlich sagen. Wenn jetzt wirklich wellenartig ohne Vorwarnung morgens auf einmal kein Zug mehr fährt, ist das für die Passagiere ein Schlag ins Gesicht. Wir sind sauer, weil wir in der Vergangenheit mit den Gewerkschaften, unter anderem mit der GDL, darüber gesprochen haben, dass Streiks angekündigt werden sollen. Dann können sich Fahrgäste darauf einstellen, Termine verlegen, Homeoffice beantragen oder Fahrgemeinschaften bilden. Der Fahrgast ist kein Tarifpartner, der Fahrgast sitzt nicht mit am Verhandlungstisch, hat keinen Einfluss, leidet unter solchen Wellenstreiks dann aber noch stärker als bisher.
Wer hatte Einfluss darauf, dass bisher keine Einigung zustande gekommen ist?
Wir sehen die Tarifpartner in der Verantwortung. Der GDL die Alleinschuld zu geben, ist nicht der richtige Weg. Natürlich ist Herr Weselsky stur. Doch auch die Deutsche Bahn AG ist in der Pflicht, auch sie will offenbar nicht mit der GDL zusammenkommen. Und die Politik ist gefordert. Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat sich bisher bedeckt gehalten. Es ist ja guter Brauch, dass sich die Politik aus Tarifverhandlungen raushält. Aber der Bund ist Eigentümer der DB AG. Deshalb erwarten wir, dass die Bundesregierung nicht einfach den Kopf in den Sand steckt, sondern sich mal einmischt und sagt, dass es so nicht weitergeht.
Was könnten die Tarifpartner und der Bund für eine Einigung tun?
Wir verlangen so kurzfristig wie möglich den Eintritt in eine Schlichtung.
Wie stehen Sie dazu, dass die GDL eine Arbeitszeitverkürzung fordert?
Ich kann die Forderung verstehen. Das Bahnpersonal ist im Augenblick extrem belastet, es fallen jede Menge Überstunden an – vor allem durch den miserablen Zustand der Bahninfrastruktur in Deutschland. Nicht nur die Fahrgäste kommen oft zu spät, sondern auch das Bahnpersonal hat bei jeder Verspätung später Feierabend, Tag für Tag. Deshalb kann ich nachvollziehen, dass die Gewerkschaft bessere Arbeitsbedingungen fordert – aber nicht die Art und Weise, wie sie das jetzt durchbringen will.
Stichwort Bahninfrastruktur: Hemmt so ein massiver Streik die Akzeptanz für die viel beschworene Verkehrswende?
Ja, eigentlich wollen wir Leute raus aus dem Auto holen. Maßnahmen wie der neue Streik der GDL bewirken genau das Gegenteil. Die Menschen müssen wieder aus dem klimafreundlichen System aussteigen, raus aus der Bahn, zurück auf die Autobahn. Das scheint beide Tarifpartner aber überhaupt nicht zu interessieren. Um zu verhindern, dass alle Leute dann doch wieder Auto fahren, fordert unser Verband seit Jahren einen Streikfahrplan. Den gibt es zum Beispiel in Frankreich und Italien. Dort fahren auch an Streiktagen einige Busse und Bahnen zuverlässig und die Fahrgäste bleiben nicht im Regen stehen.
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