Fehlende Studien der Chemiekonzerne: Die Lücke im Pestizidsystem

Chemiekonzerne haben bei der Zulassung von Pestiziden Studien zu Gesundheitsrisiken zurückgehalten. Das fand die Universität Stockholm heraus.

Pestizide in der Landwirtschaft

Einige relevante Studien zu Gesundheitsrisiken von Pestiziden wurden der EU-Kommission nicht vorgelegt Foto: imago

BERLIN taz | Chemiekonzerne wie Bayer und Syngenta haben bei der Zulassung von Pestiziden relevante Studien zu Gesundheitsrisiken für Kinder und Föten nicht der EU-Kommission vorgelegt. Das zeigt eine Untersuchung der Universität Stockholm.

Die Toxikologin Christina Rudén und ihr Kollege Axel Mie untersuchten, ob Studien, die bei der US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) eingereicht wurden, auch den EU-Behörden vorlagen. Einen besonderen Blick warfen sie dabei auf Studien über Gesundheitsrisiken für Kinder und Föten, sogenannte Developmental Neurotoxicity-Studien. Diese Studien sind nicht grundsätzlich Teil des europäischen Zulassungsverfahrens, werden aber von einigen Chemiekonzernen durchgeführt.

Insgesamt 36 Studien fanden die For­sche­r*in­nen zu der Schädlichkeit von Pestiziden bei der Entwicklung des Gehirns, die bei der EPA eingereicht wurden. Neun von ihnen wurden der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) laut der Untersuchung zum Zeitpunkt der Zulassung nicht offengelegt. Das entspricht 26 Prozent.

Der chinesisch-schweizerische Agrartechnologiekonzern Syngenta ist eines der Unternehmen, das Studien zurückgehalten haben soll. Beispielsweise eine Studie zum Wirkstoff Abamectin, der Schädlinge auf Obst und Gemüse bekämpft. Bei der Zulassung 2009 musste das Unternehmen den EU-Behörden eine umfassende Studien-Sammlung vorlegen, um die Unbedenklichkeit des Stoffes zu belegen. Zwei Studien aus früheren Jahren habe der Konzern dabei nicht proaktiv vorgelegt, wie Syngenta gegenüber dem Bayrischen Rundfunk bestätigte. Sie seien von den EU-Behörden nicht dazu angefordert worden.

Akutes Risiko – aber zugelassen

Als die EFSA etwa ein Jahrzehnt später von den Studien erfuhr, stuften sie den Wirkstoff in ihrem Risikobericht von 2021 anders ein. Die Prüfbehörde sah nun bei einigen Gemüsesorten, die mit Abamectin behandelt werden durften, ein „akutes Risiko“ für den Menschen. Bei Äpfeln und Birnen solle das Mittel nicht mehr eingesetzt werden. Mit diesem Beispiel in der schwedischen Untersuchung können die For­sche­r*in­nen zeigen, dass die Zurückhaltung von Studien einen tatsächlichen Einfluss Prüfverfahren haben kann.

Die Zulassung von gesundheitsschädlichen Pestiziden widerspricht der EU-Pestizidgesetzgebung, die sich zur Sicherstellung „eines hohen Maßes an Schutz von Mensch, Tier und Umwelt“ verpflichtet hat. Die Aufgabe der EU-Behörden besteht also darin, die bereitgestellten Daten und Bewertungen der Pestizid-Unternehmen zu überwachen, zu bewerten und abschließende wissenschaftliche Schlussfolgerungen zu ziehen. Das geschieht auf Basis der bereitgestellten Studien.

Wenn allerdings nicht alle der von den Unternehmen selbst durchgeführten Studien vorliegen, dann sehen die schwedischen Wis­sen­schaft­le­r*in­nen darin ein ernstzunehmendes Problem. Auch der Chemiker Martin Paparella spricht gegenüber dem BR von einer Sicherheitslücke in den Zulassungsverfahren.

Zur Behebung dieser Sicherheitslücke erachten die schwedischen For­sche­r*in­nen einen besseren Datenaustausch zwischen US-amerikanischen und EU-Behörden für notwendig. Allerdings werde so keine Studie gefunden, welche die Chemiekonzerne nie zur Prüfung vorgelegt haben. Diese müssten durch bessere Standards ebenfalls überprüft werden.

Letztendlich werde aus wissenschaftlicher Perspektive eine öffentliche Durchführung an externe Testlabore der Studien als sinnvoll erachtet, sagen die schwedischen Forscher. Eine Geldstrafe könne zusätzlich Anreize schaffen, alle erforderlichen Daten offenzulegen. In ihren Untersuchungen aus Schweden fanden For­sche­r*in­nen keine Sanktion für das Nicht-Offenlegen von Studienergebnissen.

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