Angriff auf Belgorod in Russland: Auf Klaviatur des Kremls spielen

Nach dem Angriff auf Belgorod erhitzt sich die Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine. Viele Fragen sind offen, aber wer das Opfer ist, ist klar.

Eine uniformierte Person liegt auf dem Boden

Russische Schüler bei Militärübung in Belgorod (von russischer Staatsagentur verbreitetes Foto) Foto: Anton Vergun/Sputnik/imago

Mehr vom Gleichen? Mitnichten. In dieser Woche bestimmte Russlands Krieg gegen die Ukraine, der seit 15 Monaten andauert, wieder einmal die Schlagzeilen. Mit Angriffen zweier dubioser paramilitärischer Gruppen, der russischen Freiwilligenlegion „Freiheit für Russland“ und des russischen Freiwilligenkorps RDK, auf die südrussische Region Belgorod an der Grenze zur Ukraine scheint eine neue Eskalationsstufe erreicht zu sein.

Doch anstatt sich mangels nicht zu überprüfender „Fakten“ bei der Bewertung in vornehmer Zurückhaltung zu üben, haben einige Spezialisten sofort eine Analyse zur Hand: Hinter dieser Aktion könne ja nur die ukrainische Führung stecken. Kyjiw wolle nicht nur die Kontrolle über seine von Moskau völkerrechtswidrig annektierten und besetzten Gebiete wiedererlangen, sondern trage den Krieg jetzt auch noch nach Russland hinein.

An dieser Stelle sei daran erinnert, wer in diesem barbarischen Feldzug, der große Teile der Ukraine verheert und Tausende Tote gefordert hat, der Angreifer ist und wer der Angegriffene. Und an Artikel 51 der UN-Charta, der das Recht auf Selbstverteidigung festschreibt.

Jede*r, der oder die wider besseres Wissen im Fall Belgorods etwas anderes behauptet, spielt auf der Klaviatur des Kremls und damit auch all denjenigen in die Hände, die den Westen spalten wollen, jegliche Waffenlieferungen am liebsten schon gestern eingestellt hätten und bereit wären, die Ukraine zu opfern. Genau dies aber ist keine Option, ja es darf keine sein.

Putin wird reagieren müssen

Die Gefechte in Belgorod, vielleicht der Auftakt zu weiteren Vorstößen in Richtung anderer russischer Grenzregionen, werfen viele Fragen auf, die derzeit unbeantwortet sind. Jedoch könnten diese Kampfhandlungen das weitere Kriegsgeschehen erheblich beeinflussen. Ein partieller Rückzug der Streitkräfte aus der Ukraine, um die eigenen Grenzen schützen zu können?

Klar ist: Wladimir Putin und seine Entourage werden reagieren müssen, die Erklärungsnot gegenüber der eigenen Bevölkerung wächst. Dass die Nerven blank liegen, zeigt auch das Hysterischwerden des offiziellen Diskurses, nur ein Indiz unter vielen.

Aber auch die ukrainische Führung steht unter Druck. Sie muss liefern, nicht nur im Hinblick auf die immer kriegsmüder werdenden Ukrainer*innen, sondern auch auf ihre westlichen Verbündeten. Doch selbst wenn die Gegenoffensive, wie viele Ex­pert*in­nen annehmen, für die Ukraine nicht die erhoffte Wende bringt – zu der Ankündigung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und anderen westlichen Po­li­ti­ke­r*in­nen: „For as long as it takes“, gibt es keine Alternative. Das bedeutet jedoch keine Carte blanche für die Führung in Kyjiw. Denn das wäre falsch verstandene Solidarität.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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