Vladimir Kornéev singt Edith Piaf: Ediths Geschichte

Ein großes Trotzalledem: Das wird aus den Chansons von Edith Piaf in einem ergreifenden Konzert von Vladimir Kornéev in der Bar Jeder Vernunft.

Vladimir Kornéev mit ausgebreiteten Armen vor einem Mikrofon

Vladimir Kornéev singt Edith Piaf in der Bar jeder Vernunft in Berlin Foto: Barbara Braun

Edith Piaf – ihre Chansons waren die Musik meiner älteren Schwestern, in den 1940ern geboren. Das Walzernde der Melodien, die Akkordeon-Begleitung, die dramatischen Wendungen: Das alles gehörte zu einem Paris-Bild wie aus einem alten Schwarzweißfilm. Die Chansons sind Klassiker, von hohem Wiedererkennungswert. Deshalb war die Erwartung an einen Piaf-Abend in der Bar jeder Vernunft eher, sentimental in vergangenen Klangwelten zu schwelgen.

Aber dann geht es los mit ihrer Geschichte, in die Vladimir Kornéev, Schauspieler und Sänger, die berühmten Lieder der Piaf einbettet. Die Chansons werden zu Minidramen, die Aspekte eines Lebens spiegeln, das an grausamen Erfahrungen schon in der Kindheit reich war. Wie oft die Melodien, Tanz- und Marschrhythmen Anlauf nehmen, um aus dem Dreck zu klettern, sich aus dem Sumpf des Unglücks zu kämpfen, lässt die Chansons zu einem großen Trotzdem werden, zur Umarmung des Lebens. Aber auch Abstürze werden hörbar, das Torkelnde des Alkohols, das Sich-fallen-lassen in die Betäubung, die Flucht vor dem eigenen Versagen.

1915 geboren, Mutter und Vater aus dem Artistenmilieu unfähig, sich um ein Kind zu kümmern, herumgereicht bei Großmüttern, aufgewachsen in einem Bordell – das war der Anfang. Und dann kommt das Chanson „Milord“, das Georges Moustaki 1959 für Edith Piaf schrieb. In Kornéevs Interpretation werden dabei die Rollen sichtbar, die die Frauen – und möglicherweise eben auch schon ein Kind – einnehmen und spielen, um ihre Kunden aufzumuntern, zu ermutigen, ihnen die Illusion erotischer Verhältnisse zu bieten, die den Handel Geld gegen Sex überdeckt.

Da geht es nicht um Mitleid mit den Huren. Sondern um Bewunderung für die Souveränität ihres Spiels. Kornéev erzählt Piafs Geschichte auch als ein Ringen um Unabhängigkeit und Selbstständigkeit unter den ungünstigsten Bedingungen.

Vladimir Korneev singt Edith Piaf „Le Droit D’Aimer – Das Recht zu lieben“ in der Bar jeder Vernunft, bis 21. Mai. Termine und Tickets unter bar-jeder-vernunft.de.

Man kennt die Chansons und erlebt sie doch anders an diesem Abend. Das liegt an den Brücken, die Vladimir Kornéev zwischen den Stationen ihres Lebens und den Texten der Lieder, die er teils auf Deutsch, teils auf Französisch singt, baut. Aber auch an seiner Performance, die das Schillernde und Ambivalente hervorscheinen lässt. „Le Droit d'aimer – Das Recht zu lieben“, Titel eines Chansons und des Abends in der Bar jeder Vernunft, wird sichtbar als die Obsession einer Künstlerin, die Liebe und Leidenschaft ersehnte, feierte, zelebrierte – aber alles andere als zuverlässig war, in der Liebe nicht und auch sonst.

Austausch über die Liebhaber

Der Abend streift die Namen ihrer Liebespartner, darunter Moustaki, Charles Aznavour – dessen Ballade „Ich bin ein Homo, wie sie sagen“ Kornéev mit in seine Performance aufgenommen hat – Marlene Dietrich und der Boxweltmeister Marcel Cerdan. Die Begegnung mit Marlene Dietrich im New York der Nachkriegszeit fasst Kornéev mit einem Stück, in dem sich Dietrichs Song „Johnny, wenn du Geburtstag hast“ mit Piafs „Johny, tu n’es pas un ange“ durchdringt, zwei Diven im Austausch über ihre Liebhaber. Ein witziger Gedanke, der zu einer kleinen musikalischen Komödie wird.

Vladimir Kornéev liebt das Pathos und vielleicht auch deshalb Edith Piaf. Aber er geht, unterstützt von Cathrin Pfeifer am Akkordeon und dem Pianisten und Arrangeur Markus Syperek, auch in eine ironische Distanz zu seiner Heldin.

Sie war alkoholkrank und später morphiumsüchtig. Sie überlebte Autounfälle, mehrfach. Sie stand im Verdacht der Mitwisserschaft, als ihr erster Förderer Louis Leplée, der sie Anfang der 1930er Jahre in sein Cabaret geholt hatte, ermordet wurde. Dass sie sich von den Nazis einladen ließ, vor französischen Kriegsgefangenen zu singen, trug ihr den Vorwurf der Kollaborateurin ein, die Arbeit ihrer Assistentin in der Résistance rettete ihren Ruf. Ihre Geschichte bietet reichlich Stoff zur Legendenbildung.

Vladimir Kornéev, der als Schauspieler in TV-Produktionen vielen bekannt ist, lässt am Abend der Premiere in der Bar jeder Vernunft auch seine Aufregung spüren, nun endlich das Piaf-Programm zu machen, das lange sein Wunsch war. Er wirkt dadurch nahbar, das Publikum entwickelt Zuneigung mehr und mehr. Bei den Zugaben erzählt er Persönliches, wie er mit zwölf Jahren von seinen Eltern, mit denen er aus Georgien als Kind nach Deutschland gekommen war, seine erste Piaf-Platte geschenkt bekam. Ein Lied, über einen verunglückten Motorradfahrer, habe er so oft gesungen, bis seine Eltern es nicht mehr hören konnten.

In Porträts über ihn kann man nachlesen, dass sein Start in Deutschland als Kind, anfangs in einem Asylbewerberheim, nicht einfach war. Die Liebe zum Singen und Theaterspielen wurde wichtig, ein Instrument, um Sicherheit zu gewinnen und Anerkennung und Unterstützung zu finden. Auch deshalb liebt er sicher die Piaf und ihre Geschichte vom Straßenkind zum Star.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.