Die SPD in Rheinland-Pfalz: Neustart nach dem Desaster

Die Mainzer SPD wählt nach der Ahrkatastrophe ein neues Vorstandstandem. Für Aufregung sorgt die Zukunft von Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

Malu Dreyer

Regierungs­chefin Malu Dreyer hält sich bedeckt. Selbst in ihrer engeren Umgebung rätseln sie über ihre Zukunftspläne Foto: Sebastian Gollnow/dpa

MAINZ taz | Nur am Rande des Parteitags der Mainzer SPD fällt der Name von Malu Dreyer, ihrer prominentesten Genossin. Seit dem Missmanagement der Landesregierung bei der Flutkatastrophe im Ahrtal ist die Ministerpräsidentin, lange Garant für strahlende Wahlsiege, in ihrer Partei nicht länger sakrosankt. Viele machen sie insgeheim für das Desaster der SPD in der Landeshauptstadt verantwortlich.

Im Oktober letzten Jahres hatte Dreyer ihren langjährigen Weggefährten Innenminister Roger Lewentz entlassen müssen. Verstörende Videoaufnahmen aus einem Polizeihubschrauber hatten belegt, dass das Ausmaß der Katastrophe den Behörden in der Flutnacht früher hätte bekannt sein müssen als behauptet. Es zeigte Menschen auf den Dächern ihrer Häuser, die mit Taschenlampen verzweifelt Notsignale aussendeten. Viele der 136 Todesopfer an der Ahr hätten gerettet werden können, wenn aus den Aufnahmen zeitnah Konsequenzen gezogen worden wären.

Die Bilder waren erst nach über einem Jahr aufgetaucht. Lewentz erklärte seinen Rücktritt, weil sie in seinem Verantwortungsbereich nicht weitergegeben worden seien. Um die Lücke schnell zu füllen, hatte Dreyer Michael Ebling, 56, als ihren neuen Innenminister präsentiert – zum Verdruss der Mainzer GenossInnen, die über Nacht ihren just in seinem Amt bestätigten Oberbürgermeister verloren.

Über die Niederlage möchte keiner sprechen

In Mainz folgte das Desaster mit Ansage. Bei der fälligen Neuwahl vor drei Monaten scheiterte die Oberbürgermeisterkandidatin der SPD, Mareike von Jungenfeld, schon im ersten Wahlgang. Nach nur einem Jahr im Amt trat sie als Parteivorsitzende des Unterbezirks zurück. Deshalb mussten nun am vergangenen Mittwoch im Mainzer Unterhaus die fast vollzählig erschienenen 140 Delegierten zu einem Parteitag zusammenkommen, um ein neues Vorsitzendentandem für den Unterbezirk wählen.

Das berühmte Kellertheater ist Heimat des Deutschen Kabarettpreises, doch zu lachen gab es an diesem Abend wenig. 78 Jahre lang hatte die SPD den Mainzer Oberbürgermeister gestellt. Nun muss die Partei als Juniorpartner in einer grün-geführten Ampelkoalition mit dem neuen, unabhängigen Oberbürgermeister Nino Haase zurechtkommen. Im Juni 2024 stehen Kommunal- und Europawahlen an. Bei einer Niederlage könnte die SPD auch ihre Regierungsbeteiligung in der Landeshauptstadt verlieren.

Mit Bob Marleys Liedzeile „Get up, stand up, don’t give up the fight“ machte der neue Vorsitzende Ata Delbasteh sich und den Mainzer GenossInnen Mut. Mit 91 Prozent wurde der 44-jährige Unternehmer, mit 85 Prozent die Chefin der Stadtratsfraktion Jana Schmöller zur Co-Chefin gewählt.

Doch über die Niederlage mag keiner so recht sprechen. „Ich finde es gut, dass wir nach vorne schauen“, sagte der frühere Mainzer Finanz- und Sozialdezernent Kurt Merkator, der die denkwürdige Versammlung leitete. Nach der Ursache der Wahlniederlage gefragt, blieb der neue Mainzer SPD-Chef Delbasteh vage: „Unsere Kandidatin hatte einfach nicht genug Zeit, sich bekannt zu machen.“ Merkator wurde deutlicher: „Dass sie uns den Oberbürgermeister geklaut haben, fand ich nicht gut.“ Ein anderer Genosse sagte: „Die Leute hier sind stinksauer.“

Dreyer schweigt beharrlich zu allen Spekulationen

Immerhin scheint die personelle Neuaufstellung des wichtigen Mainzer SPD-Unterbezirks geklärt. Fragen zur Zukunft der Landespartei waren nur inoffiziell Thema an diesem Abend. Im November läuft die Amtszeit das Landesvorsitzenden Roger Lewentz ab. Der 60-Jährige kann sich eine erneute Kandidatur vorstellen. Viele aus der Partei hätten ihn gebeten, noch einmal zu kandidieren. „Ich überlege noch“, zitierte ihn jüngst die Nachrichtenagentur dpa.

„Der Roger ist gut drauf und es tut der Partei gut, dass er nach seinem Rücktritt wieder mehr Zeit hat für die Parteiarbeit“, sagt eine aus seiner Umgebung. Seine Fans erinnern sogar an Parteiikone Willy Brandt. Der habe doch auch nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler jahrelang an der Spitze der Partei gestanden. Andere finden den Vergleich vermessen. Regierungschefin Malu Dreyer schweigt beharrlich zu allen Spekulationen. Selbst in ihrer engeren Umgebung rätseln sie über die Zukunftspläne der Ministerpräsidentin, die im Januar ihr zehnjähriges Jubiläum in diesem Amt feierte.

Tritt sie bei der nächsten Landtagswahl 2027 noch einmal an? Will sie ihr Amt nach der Kommunalwahl im nächsten Jahr abgeben, um einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin genügend Zeit zur Profilierung zu geben? Alle denkbaren KandidatInnen halten sich bedeckt, Superminister Alexander Schweitzer, zuständig für Digitales und Arbeit, und Landtagsfraktionschefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler ebenso wie der neue Innenminister Ebling. Er gilt vielen als Dreyers Favorit.

„Die Vorstandswahl auf dem Parteitag im November kommt für ihn zu früh“, sagt ein verdienter Genosse, ein anderer ergänzt: „Der muss erst mal die Dinge im Ahrtal hinbekommen“, und spielt damit auf die Krisenbewältigung an. Mit einer erneuten Kandidatur würde Lewentz der Partei und der Ministerpräsidentin Zeit verschaffen. Eine Nachfolgediskussion, rund um den zweiten Jahrestag der Flutkatastrophe im Juli, kann sie nicht gebrauchen. Die Fragen nach ihrer eigenen Verantwortung haben ihr zugesetzt. Immer wieder betont sie ihre Anteilnahme am Leid der Opfer und ihrer Angehörigen.

Zu Lewentz’ möglicher erneuter Kandidatur sagt Innenminister Ebling schmallippig: „Der Landesvorsitzende hat angekündigt, dass er sich bis zur Sommerpause erklären wird; lassen wir ihm die Zeit!“ Allein Merkator spricht Klartext: „Ich glaube nicht, dass Malu sich damit einen Gefallen tut.“ Eine erneute Kandidatur von Roger Lewentz als Landesvorsitzender, nachdem er als Innenminister zurücktreten musste, hält er für keine gute Idee. Der neue Mainzer SPD-Chef Delbas­teh, bekennender Fassenachter, wiegelt ab: „Sicher ist nur, am 11. 11. beginnt die neue Kampagne!“

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