Diplomat über Ukraine-Krieg: „Siegt das TV oder der Kühlschrank?“

Putin könne den Krieg nicht ewig durchhalten, sagt Rüdiger von Fritsch. Die Frage sei, ob die Propaganda oder die Bedürfnisse der Russen triumphieren.

Eine Frau schaut auf einen Fernseher, der Wladimir Putin zeigt

Noch dominiert der Fernseher, also Putins Propaganda Foto: Anatoly Maltsev/epa

wochentaz: Herr von Fritsch, im Moment warten alle auf die Gegenoffensive der Ukraine. Wir sehen die Vorbereitungen und erste Vorstöße. Verhandlungen oder gar ein Kriegsende erscheinen gerade in sehr weiter Ferne.

Rüdiger von Fritsch: Verhandlungen bedürfen immer zweier Parteien, die dazu bereit sind. Wladimir Putin aber hat klargemacht, dass er ein Ende der Kampfhandlungen – von echtem Frieden könnte man da gar nicht sprechen – ausschließlich zu seinen Bedingungen sieht. Die Ukraine will sich dieser Freiheits- und Landberaubung nicht unterwerfen. Daher müssen wir davon ausgehen, dass der Krieg noch dauern wird. Vor allem auch, weil Putin in der Ukraine mittlerweile um seine eigene Existenz kämpft. Der Krieg läuft für ihn miserabel, er darf aber nicht mit schlechten Ergebnissen heimkommen und versucht, mit aller Rücksichtslosigkeit das Blatt zu wenden.

Der Diplomat

Rüdiger von Fritsch, Jahrgang 1953, bereitete als Unterhändler in Brüssel die EU-Osterweiterung vor. Er war von 2010 bis 2014 deutscher Botschafter in Warschau und von 2014 bis 2019 deutscher Botschafter in Moskau. Heute ist er Partner der Politik- und Unternehmensberatung Berlin Global Advisors.

Das Buch

Gerade ist von ihm erschienen: „Welt im Umbruch. Was kommt nach dem Krieg?“ (Aufbau Verlag).

Es fällt im Moment schwer, sich das vorzustellen, aber wie könnte ein Kriegsende überhaupt aussehen?

Es gibt verschiedene Szenarien. Das beste, aber leider auch am wenigsten realistische: Wladimir Putin geht nach Hause. Das fatalste und zum Glück derzeit ebenfalls nicht denkbare: Wir stellen unsere Unterstützung für die Ukraine ein. Eine andere Möglichkeit: Eine der Parteien würde militärisch siegen. Das ist im Moment auch nicht absehbar. Ein weiteres Szenario: In Russland ändern sich die Machtverhältnisse. Und dann gibt es noch das Szenario eines vermittelten Friedens.

Wie könnte der zustande kommen?

Im Wesentlichen bräuchte es drei Voraussetzungen: Zum einen müssten wir der Ukraine weiter so entschlossen beistehen, auch mit Waffen, dass sie in der Lage ist, einen Waffenstillstand und dann einen Frieden auf Augenhöhe zu verhandeln, ohne sich einem russischen Diktat zu unterwerfen. Die zweite Voraussetzung wäre, dass es in Russland zu einer Abwägung kommt zwischen der Tatsache, dass der Krieg für Russland nicht mehr erfolgreich zu beenden ist, und gleichzeitig die Folgen des Kriegs im Land selbst zu einer Gefährdung der Macht führen.

Und der dritte Punkt?

Zweifellos würde es helfen, wenn wir zumindest damit beginnen würden, einen Rahmen internationaler Verabredungen zu schaffen, wie uns das auch in den 70er Jahren gelungen ist. Sprich: über Rüstungshöhen, Inspektionen, vertrauensbildende Maßnahmen. Also eine Situation, in der man Russland keine Konzessionen macht – das dürfen wir nicht tun –, sondern eine Situation schafft, von der beide Seiten aufgrund erhöhter Sicherheit profitieren. Und in der die russische Seite in einer für sie schwierigen Lage sagen kann: Hier haben wir etwas erreicht, denn wir haben ja immer behauptet, dass es uns um Sicherheit geht.

Russland hat mit seinem Angriffskrieg zahlreiche völkerrechtliche Verträge gebrochen. Wie soll man je wieder glauben, dass sich das Land unter Putin an ein Abkommen hält?

Wladimir Putin hat uns in eine radikale Konfrontation geführt. Die Aufgabe wird es sein, aus dieser zumindest eine geordnete Konfrontation zu machen. So, wie es uns in den 70er Jahren erfolgreich gelungen ist – mit Verhandlungen, vertrauensbildenden Maßnahmen, Abrüstung und schließlich dem großen Wurf der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Auch in einer Zeit tiefster Gegensätze haben beide Seiten sich damals verpflichtet, bestimmte Regeln einzuhalten. Zum Beispiel im Bereich der Menschen- und Bürgerrechte. Jenseits davon ist es an Russland, das so grundlegend Vertrauen zerstört hat, seine Haltung zu ändern. Wenn sich aber die grundsätzliche neoimperialistische Haltung nicht ändert und auch nicht die Überzeugung, immer nur Opfer der Geschichte gewesen zu sein, und nicht zu sehen, wie viele Traumata Russland und die Sow­jet­union anderen zugefügt haben, ist es nur schwer vorstellbar, dass wir wieder zu einem guten Miteinander kommen.

Das wird wohl Jahre dauern.

Das liegt an Russland. Wenn sich dort die Machtverhältnisse ändern und das Land eine neue Ausrichtung bekommt, kann das möglich sein. Im Übrigen sagen auch die Vertreter der russischen Zivilgesellschaft, dass die Voraussetzungen von Russland selbst geschaffen werden müssen. Das ist eine Aufgabe, die man dem Land nicht abnehmen kann.

Aber die russische Zivilgesellschaft ist zerschlagen. Viele Akteure sind ins Exil gegangen, andere haben lange Haftstrafen bekommen. Das ist doch alles sehr deprimierend.

Es hat in den vergangenen 30 Jahren viele gute zivilgesellschaftliche Ansätze in Russland gegeben – etwa von der NGO Memorial, die sich um die Aufarbeitung der eigenen Geschichte und die Frage von Schuld und Verantwortung darin kümmerte. Wladimir Putin hat mit seinem Übergang vom autoritären Staat zur Diktatur alles zerschlagen und versetzt jeden in Angst und Schrecken, der eine abweichende Meinung hat. Insofern ist die gegenwärtige Situation extrem schwierig. Aber wieso soll es die zivilgesellschaftlichen Ansätze, die es schon einmal gab, in der Zukunft nicht wieder geben?

Viele westliche Beobachter erwarteten, dass Sanktionen der EU und der USA schnellere Erfolge zeitigen. Aber Länder wie Indien und China kauften billig Energie in Russland.

Dass Russland alles versuchen würde, wegbrechende In­ves­ti­tio­nen, Einnahmen, Exporte und Importe zu substituieren, war zu erwarten. Aber Putin hat selbst unlängst eingeräumt, dass die Sanktionen auf mittlere Sicht eine schwere Beeinträchtigung der russischen Wirtschaft bedeuten. Die Zahlen zeigen: Die russischen Einnahmen brechen weg. Die Einnahmen aus fossilen Energieträgern sind nach einem Anstieg kurz nach Kriegsbeginn jetzt wieder auf einem Niveau von vor Kriegsbeginn. Das russische Finanzministerium gab in diesen Tagen bekannt, wie groß das staatliche Defizit in den ersten vier Monaten dieses Jahres war: 40 Milliarden US-Dollar. Für das gesamte Jahr waren eigentlich 34,5 Milliarden projektiert. Und das ist eine Zahl, die sie bereits während des laufenden Krieges angenommen hatten.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Es gibt aber immer noch ein Wirtschaftswachstum.

Ein sehr geringes. Putin hat das Land in eine Kriegswirtschaft geführt. Mehr als ein Drittel der Ausgaben des Staatshaushalts dienen der Kriegsführung. Die Bereiche, in denen es noch Wachstum gibt, sind jene, die der Kriegsindustrie dienen: Maschinenbau, Rüstungsindustrie und der Pharmabereich. Putin geht eine Wette auf die Zeit ein. Seine Hoffnung ist es, den Westen auseinandernehmen zu können, unter anderem mit seinem Mittel, Angst zu verbreiten, indem er über Atomwaffen raunt. Er weiß, dass die verschiedenen Länder oft ganz unterschiedliche Interessen haben. Und er hofft, dass er so lang durchhält, bis im Weißen Haus jemand sitzt, der ihm wohler gesinnt ist. Gleichzeitig ist ihm aber klar, dass auch er diesen Krieg zu Hause nicht beliebig lang durchhalten kann.

Inwiefern?

Es gilt in Russland immer noch die alte Frage: Siegt der Fernseher oder der Kühlschrank? Triumphiert also die Propaganda, oder sind es die materiellen Bedürfnisse? Im Moment dominiert der Fernseher, aber Putin muss den Punkt fürchten, an dem der Kühlschrank siegen könnte, an dem die russischen Mütter sagen: Wo ist die Schulspeisung für unsere Kinder? Und warum habt ihr schon wieder eine Gesundheitsstation in unserer Kleinstadt geschlossen?

Davor hat er Angst?

Was Putin fürchtet, ist eine für ihn nicht vorhersehbare Entwicklung. Er fürchtet den schwarzen Schwan – er ­fürchtet nicht so sehr Alexei ­Nawalny, den hat er hinter Gittern unter Kontrolle. Er fürchtet, dass plötzlich jemand auftaucht wie der Danziger Elektriker Lech Wałęsa, den niemand auf dem Schirm hatte und der 1980 auf ein Werfttor kletterte und sagte: „Es reicht. Mir nach!“ Ein Jahr später war die Solidarność die größte Einzelgewerkschaft der Welt, die eine entscheidende Rolle für die Revolution von 1989 spielte.

Und dann könnte es schnell gehen?

Was bei uns oft als Zustimmung zu Putin gedeutet wird, ist im Grunde genommen eine mangelnde Bereitschaft zum Widerspruch. Das weiß auch Putin, weil die russische Soziologie das genau analysiert hat. Es gilt in Russland der alte Satz: Wer gesenkten Hauptes geht, dem wird der Kopf nicht abgeschlagen. Den Menschen stecken die Sowjetzeit und vor allem die Stalinzeit noch in den Knochen. Und die Instrumente der Repression werden jetzt alle wieder aufgefahren. Jeder weiß, was es bedeutet, wenn er sich auflehnt. Ein kluger russischer Gesprächspartner hat mir mal gesagt: Ja, die Menschen scheinen ihn alle zu unterstützen, aber wenn er strauchelt, geht keiner für ihn auf die Straße.

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