Rassismus im Libanon​: Geflüchtete als Sündenböcke​

Der Libanon schiebt vermehrt syrische Geflüchtete in ihr Heimatland ab. Während der Wirtschaftskrise werden sie immer mehr als Last gesehen.

Ein Lieferbote fährt mit Helm auf einem Moped, auf dem eine kleine syrische Flagge im Fahrtwind weht

Syrische Geflüchtete sind vermehrt rassistischen Anfeindungen ausgesetzt Foto: Hassan Ammar/ap

BEIRUT taz | Die libanesische Regierung geht verschärft gegen syrische Geflüchtete vor. Am Dienstag beschloss der geschäftsführende Innenminister, Bassam Mawlawi, einen Zensus von nicht registrierten Sy­re­r*in­nen durchzuführen. Er verbot den Kommunen die Vermietung von Immobilien oder die Ausstellung von Dokumenten an sie. Es ist der jüngste Schritt der seit Jahren fortdauernden aggressiven Rhetorik gegen Schutzsuchende.

In den vergangenen Wochen haben die Behörden rund 450 Sy­re­r*in­nen festgenommen und mindestens 66 abgeschoben. Das berichtet die lokale Zeitung L’Orient-Le Jour. „Die Haftanstalten der Armee sind voll“, sagte ein Armeebeamter der Nachrichtenwebseite Al-Monitor. „Also musste die Armee diese Maßnahme ergreifen und sie außerhalb der libanesischen Grenzen platzieren.“

Der Geheimdienst der Armee durchsucht Unterkünfte von Sy­re­r*in­nen und nimmt Menschen fest, die keine gültigen Aufenthaltspapiere haben. Für die Mehrheit der Vertriebenen ist es unmöglich, legal im Land zu sein. Der Libanon erlaubt dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) seit 2015 nicht mehr, Sy­re­r*in­nen zu registrieren. Für eine Registrierung durch libanesische Behörden ist ein libanesischer Sponsor nötig, und die Verlängerungsgebühr beträgt 200 US-Dollar jährlich.

Der Libanon steckt in einer Wirtschaftskrise, aus der er durch politische Blockaden nicht hinauskommt. Weil es an Geldern mangelt und um von der eigenen Untätigkeit abzulenken, verschärft die Regierung die Maßnahmen gegen syrische Geflüchtete. Sie seien eine Belastung für die Bevölkerung, die selbst unter der Inflation leidet.

Die Regierung fordert, dass die Vereinten Nationen (UN) 100 US-Dollar pro libanesischem Soldat zahlen, damit sie im Gegenzug die Deportationen stoppen. Das berichtet die Webseite Orient-News. Durch den Krieg in der Ukraine musste der UNHCR die Gelder für Sy­re­r*in­nen jedoch kürzen. Gegenüber der taz bestätigten syrische Familien, dass sie im Winter von den Hilfen abgeschnitten wurden.

Anti-syrischer Rassismus hat Vorgeschichte

Tausende Sy­re­r*in­nen haben den Libanon seit 2017 mit einem sogenannten „freiwilligen Rückführungsprogramm“ verlassen, das die libanesischen Behörden in Absprache mit syrischen Behörden organisieren. Sie behaupten, Syrien sei für Rückkehrende sicher. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kritisieren das. Sy­re­r*in­nen würden gewaltsam in das Land abgeschoben, wo immer noch Krieg herrsche und ihr Leben in Gefahr sei.

Der Rassismus der Regierung spiegelt sich auch in der Bevölkerung wider. Am Dienstag postete ein syrischer Journalist auf Twitter Fotos von drei Syrern, die in unterschiedlichen Gegenden im Libanon von Li­ba­ne­s*in­nen geschlagen beziehungsweise mit Messern attackiert wurden. Die Täter sollen gesagt haben, die Syrer sollten das Land verlassen.

Der Rassismus gegen Sy­re­r*in­nen hat mit der eng verknüpften Geschichte beider Länder zu tun. Mit dem Krieg im Libanon ab 1976 und weit über dessen Ende hinaus besetzte das syrische Militär den Libanon. Viele Li­ba­ne­s*in­nen haben schlechte Erinnerungen an die Anwesenheit des syrischen Militärs. 2005 protestierten Massen gegen die Fremdeinwirkung und erwirkten das Ende der Besatzung.

Mit der derzeitigen Wirtschaftskrise empfinden es viele Li­ba­ne­s*in­nen als ungerecht, dass Hilfsorganisationen sich um die Belange von Sy­re­r*in­nen kümmern – und nicht mehr Li­ba­ne­s*in­nen helfen.

NGOs versuchen seit Jahren, dem Rassismus entgegenzuwirken. „Die Unterstützung libanesischer Familien ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung“, bestätigte eine UNHCR-Kommunikationsbeauftragte der Webseite Now Lebanon. Die Organisation habe 2022 insgesamt 74 Kommunen mit Zugang zu Strom unterstützt und Solarstrom für Gesundheitszentren, Krankenhäuser und Wasseranlagen eingerichtet. Das käme mehr als 1,5 Millionen Menschen zugute – sowohl Sy­re­r*in­nen als auch Libanes*innen.

NGOs setzen sich weiterhin dafür ein, die Kluft durch Sensibilisierungskampagnen zu überbrücken, in der Hoffnung, dass beide Parteien ein besseres Verständnis für die Not der anderen gewinnen können – und Lösungen für Probleme finden, die sie gemeinsam betreffen.

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