Bremer Grüne: Jäten nach der schlechten Ernte

Die Grünen sind die Wahlverlierer in Bremen. Der Landesvorstand tritt nicht mehr an und nun gibt es auch den ersten prominenten Parteiaustritt.

Eine Sonnenblume vor dunklen Wolken

Angeschlagen: Sonnenblume vor düsterem Himmel Foto: Sebastian Willnow/dpa

BREMEN taz | Vier Rückzüge in einer Woche bei den Bremer Grünen: Gleich am Montag nach der Bürgerschaftswahl hatte die grüne Spitzenkandidatin und Umweltsenatorin Maike Schaefer ihren Rücktritt verkündet – zumindest als Senatorin, ihr Mandat fürs Parlament will sie behalten. Dann, einen Tag später, kündigten die Lan­des­vor­stand­spre­che­r*in­nen Alexandra Werwath und Florian Pfeffer an, dass sie bei der nächsten regulären Wahl noch in diesem Jahr nicht mehr antreten werden. Am Mittwoch, noch bevor das Endergebnis der Wahl feststand, der nächste Knaller: Bremerhavens Spitzenkandidatin Sülmez Çolak tritt aus der Partei aus. Ihr Mandat wolle sie aber „wahrscheinlich annehmen“.

Der Grund: Die Grünen vergessen Bremerhaven, so lautet Çolaks Vorwurf. Der taz sagt sie, sie habe den Landessprecher am Montag gefragt, ob auch Bremerhaven in den kommenden Sondierungsgesprächen vertreten sein werde – die Antwort sei Nein gewesen. Dieselbe Reaktion auf Çolaks Forderung, dass Bremerhaven künftig eine stärkere Rolle in der Landespolitik spielen solle. „Mit einer Stadt, die so viele soziale Probleme hat, geht man nicht so um“, sagt die gebürtige Bremerhavenerin. Die Wahl – vor allem das starke Ergebnis der rechten „Bürger in Wut“ – habe gezeigt, dass die Menschen Sorgen haben, sich nicht verstanden fühlen. „Man muss die Sorgen ernst nehmen, mit den Leuten ins Gespräch kommen. Es kann nicht sein, dass die Menschen vor der Politik der Grünen Angst haben, weil sie noch mehr Probleme fürchten.“ Mit ihrem Austritt wolle sie die Grünen „wachrütteln“.

Laut der Analyse zur Wanderung der Wählenden von Infratest Dimap haben die Grünen die meisten Wählenden an die SPD verloren – gleich 10.500. Je 3.000 bis 4.000 gingen zur Linken, zur CDU oder blieben der Wahl ganz fern.

Florian Pfeffer habe seine Entscheidung, nicht mehr für die Vorstandswahl anzutreten, schon vor der Wahl getroffen, sagt er der taz. „Ich glaube, ein Wechsel ist jetzt eine gute Sache. Es gibt viele junge Talente.“ Der Wahlausgang habe die Entscheidung dann noch einmal bestätigt. Ein Signal an andere Menschen in der Partei, ebenfalls ihren Posten zu räumen, sei die Entscheidung aber „auf keinen Fall“.

Sondierungsgespräche werden Werwath und Pfeffer aber noch für die Grünen führen. Auch einen Prozess der Aufarbeitung innerhalb des Landesverbandes möchte man begleiten. „Ich möchte, dass ein neuer Vorstand im Herbst mit einer sortierten Partei weitermachen kann“, sagt Pfeffer. Es werde daher Veranstaltungen geben, „in denen es nicht nur darum geht, mal zu reden“. Vielmehr will Pfeffer die Fragen nach Arbeitsstrukturen und thematischer Aufstellung stellen. „Was müssen wir tun, um in vier Jahren besser dazustehen und wie bauen wir neuen Kontakt in die Gesellschaft auf?“ Dafür werde man sich professionelle Begleitung von außen holen.

Kritik an der Wahlkampagne

„Das Interesse an einer Aufarbeitung ist groß“, sagt ein Parteimitglied der taz. Bei einem Parteiratschlag bereits am Montagabend nach der Wahl, sei das deutlich geworden. Das Treffen sei recht gut besucht gewesen und viele Mitglieder hätten die Möglichkeit genutzt, kurze Redebeiträge beizusteuern. „Es haben sich ziemlich lange Schlangen gebildet.“ Die Kritik, die an dem Abend geäußert worden sei, habe sich vordergründig an den „gesamten Prozess und die Kampagne“ gerichtet, nicht an die Spitzenkandidatin Schaefer. „Maike wurde mit dem Applaus noch mal der Respekt gezollt für ihre Arbeit sowie die Entscheidung, die Verantwortung auch zu übernehmen.“

Kritik habe sich bislang fast ausschließlich über Schaefer ergossen, sagt Matthias Güldner, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der Grünen. Unter anderem, weil Finanzsenator Dietmar Strehl und Sozialsenatorin Anja Stahmann „im Wahlkampf und während der gesamten Legislatur unsichtbar geblieben“ seien. Das monierte er gegenüber der taz.

Von alten Größen ist bislang noch Stahmann übrig. Sie bremste kürzlich in der Frage der Regierungsbildung. Eine erneute Beteiligung der Grünen sei noch nicht ausgemacht, sagte sie dem Medienhaus Table Media. „Eine Koalition um jeden Preis und ohne die zentralen Grünen-Inhalte wollen und können wir nicht mitmachen.“

Stahmann sprach auch von Versäumnissen im Wahlkampf. „Es ist uns nicht gut gelungen, die notwendigen und unausweichlichen Maßnahmen zum Abwenden der Klimakatastrophe mit der sozialen Frage zu verbinden.“ Die Grünen seien davon ausgegangen, dass die Bevölkerung die Notwendigkeit der Maßnahmen uneingeschränkt anerkenne und bereit sei, auch Opfer zu bringen. „Vielleicht war das ein bisschen naiv. Daran müssen wir dringend arbeiten.“

Ähnlich hatte auch die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag die Niederlage eingeordnet: Britta Haßelmann sprach am Dienstag im „ZDF-Morgenmagazin“ von Defiziten bei der Vermittlung der Klimapolitik der Partei. Als Fehler benannte sie auch das Gesetz zum Heizungstausch und die Affäre um Robert Habecks Staatssekretär Patrick Graichen. Den hat Habeck inzwischen fallenlassen.

Wie es mit Stahmann selbst weitergeht, ist auch noch unklar. Beim Parteiratschlag habe sie den Eindruck vermittelt, dass sie das auch noch nicht wisse, aber zur Verfügung stehe, „abhängig davon, ob die Partei sie möchte und braucht“. So erzählt es ein Parteimitglied. Stahmann habe das Thema von sich aus aufgebracht, als sie sich wie alle hinten anstellte in die Schlange für die Redebeiträge.

Und sollte sie bleiben – wird in einer etwaigen Neuauflage der Regierung überhaupt Platz für Stahmann sein?

Sondierungsgespräche am Freitag

In der vergangenen Legislaturperiode stellten die Grünen in der Koalition drei Senator*innen. Finanzsenator Dietmar Strehl, Sozialsenatorin Anja Stahmann und Umweltsenatorin Maike Schaefer. Mit dem jetzigen Ergebnis werden sie nur zwei Ressorts besetzen können. Strehl hatte schon vor der Wahl angekündigt, sich aus der Politik zurückzuziehen; er wird in wenigen Tagen 67 Jahre alt. Einfach an die SPD abgeben können die Grünen das Finanzressort aber auch nicht: Zu unausgeglichen wäre das Machtverhältnis innerhalb der Koalition, wenn die größte Partei das Rathaus und das Finanzressort besetzt. Wahrscheinlicher ist es, dass die SPD „Soziales“ übernimmt – derzeit besetzt von Stahmann.

56,8 Prozent der Bremer*innen haben am 14. Mai ihre Stimme abgegeben.

Vorläufiges Endergebnis:

SPD 29,8 Prozent (+ 4,9)

CDU 26,2 Prozent (– 0,4)

Grüne 11,9 Prozent (– 5,5)

Die Linke 10,9 Prozent (– 0,4)

FDP 5,1 Prozent (– 0,9)

Bürger in Wut 9,4 Prozent (+ 7)

Sitzverteilung (87 Sitze):

SPD 27

CDU 24

Grüne 11

Die Linke 10

FDP 5

Bürger in Wut 10

Bevor das weiter thematisiert wird, müsse erst einmal eine Regierung gebildet werden, meint auch Noch-Vorstand Pfeffer: „Die Frage stellen wir ein paar Wochen zu früh.“ Klar sei jedoch auch: „Mit dem Weggang von Maike ist eine potenzielle Lücke entstanden.“ Sie habe schließlich das grüne „Kernthema“ im Senat besetzt.

Sondierungsgespräche stehen nun an, das amtliche Endergebnis der Wahl steht seit Himmelfahrt fest. Der alte und neue SPD-Bürgermeister Andreas Bovenschulte hatte bislang offen gelassen, mit wem er koalieren will. Rechnerisch würde es nicht nur für Rot-Grün-Rot reichen, sondern auch für eine Große Koalition mit der CDU. Zunächst will die SPD heute mit den alten Koalitionspartnern Grünen und Linkspartei sprechen. Am Samstag schließt sich ein Gespräch mit der bislang oppositionellen CDU an, teilte die Landesgeschäftsführung am Donnerstag mit.

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