Abnehmen mit Diabetes-Medikament: Spritze statt Sport

Um Semaglutid gibt es einen Hype. Der Wirkstoff senkt den Blutzucker bei Diabetes – und hilft beim Abnehmen. Doch Medikamente mit ihm bergen Risiken.

Zwei nackte Füße vor einer Waage auf einem runden Teppich, offenbar in einem Badezimmer

Von vielen gefürchtet und regelmäßig genutzt: Die Waage Foto: owi/plainpicture

Da ist sie also, die lang ersehnte Wunderpille, die die Fettpolster schmelzen lässt, ohne sich dabei extrem kasteien zu müssen. Der Wirkstoff Semaglutid, der eigentlich zur Blutzuckersenkung bei Diabetikern entwickelt wurde und dafür unter dem Namen „Ozempic“ seit Jahren zugelassen ist, hat in aktuellen Studien erstaunliche Effekte auf das Körpergewicht: Bei Jugendlichen zum Beispiel hat eine wöchentliche Spritze über 16 Monate in Kombination mit einer Verhaltenstherapie zu einem Gewichtsverlust von mindestens 20 Prozent bei einem Drittel der Teilnehmenden geführt. Ähnliches belegen Studien mit erwachsenen Probanden.

Nichts weniger als ein „Gamechanger“ sei es, sagen Mediziner, mit dem man vielen Patienten helfen könne. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat das Mittel in einer anderen Dosierung unter dem Namen „Wegovy“ darum 2021 ab einem BMI von mehr als 30 zugelassen, 2022 folgte die europäische EMA dieser Entscheidung. Seither kann Wegovy vom Arzt verschrieben werden, auch bei chronisch kranken Menschen.

Doch die Diätspritze hat sich zu einem Lifestyle-Medikament für nicht dicke Menschen gemausert. Gepusht durch Erfahrungsberichte in den sozialen Medien ist ein regelrechter Hype um Semaglutid entstanden: Elon Musk hat laut eigenen Angaben auf Twitter damit einige Pfunde verloren, Kim Kardashian wird es zumindest unterstellt, und sogar auf der Oscarverleihung vergangenen März wurde es thematisiert. Moderator Jimmy Kimmel scherzte am Anfang der Show: „Wenn ich mich hier so umsehe, frage ich mich, ob Ozempic auch das Richtige für mich ist.“ Allein auf TikTok haben mehr als 600 Millionen Menschen die Hashtags #Ozempic oder #Wegovy aufgerufen.

Zwar gab es auch schon vorher Diätpillen, diese hatten jedoch starke Nebenwirkungen oder waren wenig effektiv. „Wir hatten noch nie Medikamente, die auch nur in der Nähe einer Effektivität waren, wie wir es jetzt erleben“, sagt Jens Aberle, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG).

Semaglutid aktiviert Bauchspeicheldrüse

Die Arznei funktioniert so gut, weil sie dort ansetzt, wo der Hunger entsteht, nämlich im Gehirn. Dockt der Wirkstoff an bestimmten Hormonrezeptoren im Hypothalamus an, wird über Signalkaskaden mehr Insulin aus der Bauchspeicheldrüse entlassen, der Blutzucker sinkt, zugleich wird das Hungergefühl gedrosselt.

Das Medikament wird einmal wöchentlich über einen Fertig-Pen gespritzt und man hat dann laut diversen Erfahrungsberichten einfach keinen echten Hunger mehr und ist auch schneller satt. Konservative Strategien wie Fasten und Bewegung sind hingegen selten wirksam, von rund 10 Abnehmwilligen schafft es im Schnitt einer, langfristig das Gewicht zu halten. Nur die operativen Therapien wie Magenverkleinerung zeigen bessere Erfolge, sind aber auch nur für stark Übergewichtige ratsam.

Die häufigsten Nebenwirkungen der neuen Medikamente sind Übelkeit und Durchfall oder Kopfschmerzen. „Semaglutid ist zwar insgesamt gut verträglich“, sagt Aberle, „anders als in der Berichterstattung und in den sozialen Medien teilweise vermittelt wird, sind die neuen Medikamente aber keine leichtfertig einzusetzenden ‚Abnehm-Spritzen‘ für die Allgemeinbevölkerung.“

Denn noch ist unbekannt, was die Medikamente bei gesunden Personen bewirken. Zwar ist Ozempic verschreibungspflichtig, dennoch ist die Arznei offenbar so häufig ausgehändigt worden, dass der Hersteller Novo Nordisk die Nachfrage nicht mehr bedienen kann und die Arznei nun auch für Diabetiker Mangelware ist.

„Seit Beginn 2022 wird ein stetiger Anstieg des Verbrauchs beobachtet, der unter anderem durch den Off-Label-Einsatz dieser Arzneimittel in der Behandlung der Adipositas hervorgerufen wird“, sagt ein Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Anfrage der taz. Auch die Markteinführung von Wegovy ist aufgrund von Lieferengpässen noch nicht erfolgt.

Abnehmen mit Risiko

Die Tatsache, dass die Spritzen in der Fachwelt so einen guten Ruf haben, ist einer der Gründe für den medialen Hype. „Diäten und das Bedürfnis, schlank und schön zu sein, sind ja schon lange Themen, die viele Menschen in den sozialen Medien beschäftigen“, sagt Eva-Maria Endres, Ernährungswissenschaftlerin und Autorin des Buchs „Ernährung in Sozialen Medien“.

„Auf dieses Thema trifft nun eine gut getestete und wirkungsvolle Wunderpille, die auf dem Weg zum Wunschgewicht zudem nicht mehr mit Restriktionen und hartem Work­out verbunden ist.“ Bei der ganzen Berichterstattung in TikTok, Insta und Co geht allerdings unter, dass Semaglutid allein nicht so viel hilft, sondern trotz allem eine gewisse Anpassung auch beim Essen oder im Fitnessstudio vonnöten ist.

Verfolgt man die Erfahrungsberichte in den sozialen Medien, häufen sich in letzter Zeit dann auch Warnungen: Durch die schnelle Gewichtsreduktion hängt zum Beispiel die Haut schlaff an bestimmten Körperpartien, wo vorher Fett von innen straffte, etwa im Gesicht. „Ozempic face“ ist darum ein immer häufiger auftretender Begriff geworden.

In einigen Fällen ist es zum Darmverschluss gekommen, zudem droht beim Absetzen der bekannte Jo-Jo-Effekt. Doch das hält die Use­r:in­nen nicht ab. „Viele Menschen leiden ja sehr unter dem Schlankheitsdiktat, sie denken: Wenn ich dünn bin, wird alles gut, da nimmt man auch Risiken in Kauf“, so Endres.

Wenige Fachkräfte auf Social Media

Auch der Kommunikationswissenschaftler Joachim Allgaier von der Universität Fulda glaubt nicht, dass negative Berichte den Hype bremsen können: „Wegen des sogenannten confirmation bias hört man nur, was man hören will.“

Zudem gebe es gerade im Ernährungsbereich wenige Fachkräfte, die in den sozialen Medien aktiv und präsent seien. „Das Thema wurde einfach von den Experten verschlafen“, so Allgaier. „Zwar gibt es mittlerweile eine gute Wissenschaftskommunikation vor allem auf YouTube und Instagram, aber TikTok ist wieder ein Feld, das besonders offen ist für jedwede Art von Behauptungen und Fehlinformation.“ Die DAG ist etwa nur auf Twitter präsent. „Wir sind nicht auf allen sozialen Netzwerken und haben dafür auch keine Kapazitäten“, erklärte die DAG auf Anfrage der taz.

Großer Schaden

Der gesellschaftliche Schaden ist derweil immens. Einerseits kommt es durch dieses Ungleichgewicht zu einer Erosion der Expertise. „Es wird den echten Wissenschaftlern nicht mehr geglaubt“, sagt Allgaier. „Mit allen negativen gesundheitlichen Konsequenzen, wenn man etwa eine gefährliche Diät macht, die irgendein Heilpraktiker empfiehlt.“ Andererseits steigt die Gefahr für Essstörungen sowie damit zusammenhängenden psychischen Leiden wie Angststörungen und Depressionen bei Menschen, die viel in sozialen Medien unterwegs sind. Das zeigen immer wieder Studien.

Auf TikTok erreicht die Diskussion über das Abnehmpräparat nun ein sehr junges Publikum, das teils noch in der Pubertät steckt und erheblich beeinflussbar in Sachen Körperidentität ist. Psychologen fürchten, dass das den Druck Richtung Schlankheit nochmals erhöhen wird.

Auf der anderen Seite können dicke Menschen, die bereits mit Folgekrankheiten zu kämpfen haben, von der Spritze profitieren. Ein gefährlicher Hype für die einen, für die anderen ein Medikament, das sie gesünder macht.

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