Belarus und Ukraine beim Theatertreffen: Performance aus dem Bunker

Neben dem klassischen Programm wartet das Berliner Theatertreffen mit einer politischen Nebensparte auf. Deren Fokus liegt auf Osteuropa.

Eine kniende Frau auf einer Bühne. Hinter ihr springen zwei Männer und machen Lichteffekte

„Bunker Cabaret“ von Hooligan Art Community eingeladen zum Spartenprogramm „10 Treffen“ Foto: Steve Tanner

Eine Frau steht auf einer Behelfsbühne vor dem Haus der Berliner Festspiele; ihre Haltung kerzengerade, der Blick kämpferisch, die Abendrobe opulent. Dieses Kleid, dessen Enden sie links und rechts von ihrem Körper so in Händen hält, dass der weite Rock sich zu einem vollendeten Halbkreis entfaltet, ist nicht einfach nur ein toll geschneidertes Stück Couture, sondern ein politisches Statement.

Der Stoff, aus dem es besteht, ist bedruckt mit Schwarz-Weiß-Fotografien von Gesichtern. Es ist ein Mahnmal, eine bewegte Wand der Erinnerung. Und bei seiner Trägerin, die da oben steht und auffordert, in eine „Minute of Scream“ mit einzustimmen, handelt es sich um die polnisch-belarussische Künstlerin und Aktivistin Jana Shostak. Seit ein paar Jahren protestiert Shostak mit öffentlichen Schrei-Minuten gegen das Regime in Belarus.

Hier und jetzt während des Berliner Theatertreffens agiert sie zudem auch als der nach außen sicht- und hörbarste Beleg einer neuen Sparte innerhalb des Festivals: Denn neben der klassischen Programmschiene der zehn ausgewählten Thea­ter­inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum gibt es neuerdings die dezidiert politisch ausgerichtete Nebensparte der „10 Treffen“, die in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Goethe-Institut kuratiert wird.

Der Fokus der diesjährigen Ausgabe liegt auf dem osteuropäischen Raum, vornehmlich der Ukraine und Belarus. Die Formate haben zumeist einen im weiteren Sinne performativen Charakter; theatralische Inszenierung stellt sich in den Dienst einer dringlichen Botschaft.

Cyber-Elfen gegen russische Desinformation

Ein Beispiel dafür ist die Lecture-Performance der polnischen Regisseurin Magda ­Szpecht, die mit Beginn des Krieges in der Ukraine ihre Theaterarbeit aufgegeben hat, um sich ganz dem Kampf gegen russische Desinformation im Internet und der Recherche nach wahren Daten und Fakten zu widmen. Szpecht sitzt mit dem Rücken zu den hereinströmenden Menschen in einem abgedunkelten Raum.

Ein langer Tisch, auf dem Laptops und andere technische Geräte stehen, simuliert ihren Arbeitsplatz; ein Zimmerpflanzen-Arrangement und ein farbig dampfender Luftbefeuchter ergänzen die Einrichtung. Über große Monitore an den Seiten dieses Bühnenbilds und eine hintergrundfüllende Leinwand nimmt die Performerin Kontakt zum Publikum auf.

Als „Cyber Elf“ trägt Szpecht spitze Ohren, die aus halblangen Haaren hervorlugen, und lächelt freundlich über die Kamera ihres Laptops von der Leinwand herunter. Erst sehr spät in der Performance wird sie sich zu uns umdrehen. Ihr Vortrag, weich untermalt mit Ambient-Klang und faktisch unterfüttert mit vielen Bildern, schlägt einen Bogen vom Wirken der Cyber-Elfen, die eine weltweit tätige Freiwilligen-Armee von FaktencheckerInnen im Internet sind, über Desinformationsbeispiele russischer Machart zu Beispielen von erfolgreichen Recherchen.

Über den Verbleib von Kriegsgefangenen etwa, erklärt sie, gebe es in der Regel keine anderen Quellen als russische Propagandavideos. Der Vortrag der Info-Elfe endet mit Bildern ihrer Hündin Jola, die aus der Ukraine flüchten musste und bei der Performerin ein dauerhaftes Zuhause in Polen gefunden hat.

MitschreierInnen sind willkommen

Die Erkenntnis, dass das Private politisch ist, gehört auch zu den bestimmenden Triebkräften von „Bunker Cabaret“, einer Performance der ukrainischen Gruppe Hooligan Art Community um die drei PerformerInnen Mirra Zhuchkova, Sam Kyslyi und Danylo Shramenko. Der Bunker im Titel hängt mit dem Umstand zusammen, dass zu Beginn des Krieges Kyslyi und Shramenko nicht aus der Ukraine ausreisen konnten und erste Ideen für die Performance im Luftschutzkeller entwickelten.

Vermutlich gehört auch das Geräuscheraten dazu, eine Nummer, bei der sie abwechselnd verschiedenes Kriegsgerät nachahmen und bei den anderen detaillierte Fakten dazu abfragen. Vielleicht auch der eigentümlich reduzierte Pas de deux, den die beiden aufführen und der auf poetisch-tänzerische Weise vermutlich den Tod eines Soldaten verbildlicht. Insgesamt ist „Bunker Cabaret“ eine ungemein körperbetonte, auch sehr musikalische und häufig sehr persönlich gefärbte Performance.

Die drei DarstellerInnen leisten nicht nur physisch Beachtliches. Vielleicht liegt es an der nicht immer vollkommenen Textverständlichkeit (Englisch mit ukrainischem Akzent) im akustisch nicht als Theaterraum vorgesehenen Kassen­foyer des Hauses der Festspiele, dass das Publikum sich lange nicht traut, zwischen den einzelnen Nummern zu klatschen? Dafür fällt der Schlussapplaus um so herzlicher aus.

Bis einschließlich Montag, den 29. Mai, gibt es täglich Veranstaltungen im Rahmen von „10 Treffen“, darunter auch etliche Formate bei freiem Eintritt. Umsonst und draußen ist natürlich auch das einminütige Schreien von Jana Shostak in der Schaperstraße (noch heute sowie am 27./28. Mai um 18 Uhr). MitschreierInnen sind dabei willkommen und erwünscht.

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