Politisch motivierte Kriminalität: Wirrköpfe sprengen die Statistik

Nicht rechts, nicht links: Bei der politisch motivierten Kriminalität in Niedersachsen sind die meisten Taten nicht zuzuordnen.

Ein Mann mit einem Aluhut auf dem Kopf

Links oder rechts: Welchem Spektrum sind Aluhüte zuzuordnen? Foto: Sebastian Gollnow/dpa

HANNOVER taz | Kritik an der polizeilichen Statistik zur ‚Politisch motivierten Kriminalität‘ (PMK) gibt es, seit diese 2001 eingeführt wurde. Über viele Jahre hinweg bestand die vor allem darin, dass zivilgesellschaftliche Organisationen monierten, dass rechte, rassistische Gewalt untererfasst wird – während sich die konservative bis rechte Seite darüber mokierte, dass es doch nicht sein könne, dass es so wenig linke Kriminalität gebe.

Zumindest in dieser Hinsicht hat Niedersachsens neue Innenministerin Daniela Behrens (SPD) in diesem Jahr Positives zu verkünden: In beiden „Phänomenbereichen“, wie es in der Statistik heißt, sind die Zahlen zurückgegangen. Die Statistik weist 1.725 politisch motivierte Straftaten von rechts aus (minus 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr) und 693 Fälle von links (minus 43 Prozent).

Auch insgesamt sind die Zahlen zurückgegangen – um elf Prozent auf 4.768 Taten. Niedersachsen steht damit ein klein wenig besser da als der Bund, wo Innenministerin Nancy Faeser schon in der vergangenen Woche die Zahlen vorstellte.

Gleichzeitig zeigt sich sowohl im Bund wie auch in Niedersachsen, wie die Statistik der Realität hinterherhinkt. Zum ersten Mal machen in Niedersachsen die Taten aus dem Phänomenbereich „Sonstige/nicht zuzuordnen“ den größten Anteil aus. 2181 Fälle entfielen 2022 auf diesen Bereich.

Vor allem Propagandadelikte

Die PMK kennt nämlich zur Zeit nur fünf Phänomenbereiche: rechts, links, ausländische Ideologie, religiöse Ideologie und eben: „nicht zuzuordnen“. Darunter tummeln sich so verschiedene Phänomene wie Reichsbürger, Querdenker, Putin-Fans und Klima-Aktivisten.

„Damit bin ich natürlich auch unzufrieden“, räumt Daniela Behrens ein. Immerhin steuert diese Statistik auch, wo Arbeitsschwerpunkte gesetzt werden und in welche Bereiche Präventionsmittel fließen. Allerdings: Die niedersächsische Innenministerin kann bei dieser Gelegenheit zwar sehr ausdrucksstark unzufrieden gucken, aber wenig tun.

Um die Definition der „Phänomenbereiche“ in der PMK, sowie der „Oberthemenfelder“ und „Unterthemenfelder“, denen die Taten dann auch noch zugeordnet werden, ringt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, und bis die sich auf Änderungen einigt, dauert es seine Zeit. Gleichzeitig führt daran kein Weg vorbei, wenn man die Zahlen halbwegs vergleichbar halten will. Sie wolle sich allerdings dafür einsetzen, hier nachzuschärfen, erklärt Behrens.

Auf den ersten Blick verblüffend wirkt, wie wenige der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter als eindeutig rechts einsortiert werden: Nur 32 von 148 Fällen sind das in Niedersachsen. „Es gibt viele Anhänger von Verschwörungsideologien, die sich nicht eindeutig dem klassischen rechten Spektrum zuordnen lassen, auch wenn ihre häufig antisemitisch und fremdenfeindlich geprägten Weltbilder viele Anknüpfungspunkte dorthin aufweisen“, versucht Behrens zu erklären.

Z-Zeichen-Verbot schafft eigenes Deliktfeld

Die Polizei sortiert sie bisher nur dann dort ein, wenn sie explizit Bezug auf völkischen Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus nehmen und dies auch zentral für die Tatmotivation oder Tatbegehung ist.

Das gilt aber beispielsweise nicht bei Reichsbürgern, die vor allem wirre Pamphlete an Amtsträger senden, in denen sie absurde Goldmarkbeträge als Schadensersatz für vermeintlich erlittenes Unrecht fordern, versucht Landespolizeidirektor Ralf Leopold zu erklären. Er sei selbst auch schon Opfer solcher Bedrohungs- und Erpressungsversuche geworden.

Gleichzeitig muss man betonen, dass tatsächliche Gewaltdelikte den kleinsten Teil der erfassten Taten ausmachen. Ein Großteil entfällt auf Propagandadelikte. Im Phänomenbereich ‚rechts‘ macht das typische Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole, also etwa Hakenkreuze und Hitlergrüße, 60 Prozent der Fälle aus.

Das gilt auch für den Bereich „Sonstige/nicht zuzuordnen“. Hier wurde mit dem Verbot des Z-Zeichens im März 2022 quasi ein neues Deliktfeld aufgemacht, das nun mit 201 Fällen zu Buche schlägt. Das Z-Symbol gilt seither als Zeichen für die Unterstützung und Billigung des russischen Angriffskrieges und ist damit strafbar nach Paragraf 140 StGB Belohnung und Billigung von Straftaten.

Zum ersten Mal sind vier männerfeindliche Straftaten verzeichnet

Auch neu in der Statistik: Bei den Straftaten aus dem Bereich der Hasskriminalität sind zum ersten Mal vier „männerfeindliche Straftaten“ verzeichnet, die Kategorie gibt es erst seit dem letzten Jahr. Nach Auskunft des Innenministeriums handelt es sich dabei um drei Farbschmierereien im öffentlichen Raum und einen Facebook-Post. Zu den Inhalten gab es keine weitere Auskunft.

Die weiteren erfassten Straftaten in diesem Bereich: 15 richteten sich gegen Frauen, 36 gegen geschlechtsbezogene Diversität und 64 gegen die sexuelle Orientierung.

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