Die Wahrheit: Eine Schallplatte für Gaddafi

Lang lebe die Sandinos Bar in der Water Street im nordirischen Derry – Joe Mulheron war ihre Seele. Jetzt ist er gestorben. Eine Hommage.

Plötzlich war es wie in den Siebzigern: 500 junge Leute drängten sich in den Saal, viele standen auf den Tischen, reckten die Fäuste in die Luft und feuerten die Irisch-Republikanische Armee (IRA) an. Es waren aber nicht die Siebziger, sondern es war voriges Jahr in Derry, Nordirlands zweitgrößter Stadt, und die IRA gab es da schon lange nicht mehr.

Der Saal lag über Sandinos Bar in der Water Street. Auf der Bühne spielten nacheinander drei Bands, die dasselbe Repertoire an Rebel Songs hatten, sodass man jedes Lied dreimal hören musste. Wir saßen mit unserem Freund Joe Mulheron, dem Besitzer des Ladens, am Rand der Theke, damit der Versorgungsweg kurz war. Joe war selbst ein begnadeter Sänger.

Beim Fleadh Cheoil, dem größten Musikfestival Irlands, hatte er in den achtziger Jahren in der Kategorie „moderne Balladen“ den ersten Preis gewonnen. Er konnte gar nicht verlieren, sagte er danach bescheiden: „Die Jurymitglieder waren bestochen oder eingeschüchtert.“

Joe hatte vor 50 Jahren die Band Men Of No Property gegründet, ihre Spezialität waren eigene politische Lieder. Der Name bezog sich auf Theobald Wolfe Tone, den Anführer des Aufstands von 1798 gegen die britische Besatzung, der gesagt hatte: „Unsere Stärke kommt von der großen und ehrenwerten Klasse, den Männern ohne Besitz.“ Die Band brachte drei Platten heraus, benannte sich in People Of No Property um und veröffentlichte noch eine weitere Scheibe: „Brits Out.“

Plattentransport per Ente

Davon sollte ich einst 200 Stück im Dubliner Vinylpresswerk abholen und sie mit meiner Ente nach Belfast transportieren. Man beorderte mich jedoch an die Rampe hinter dem Presswerk und lud mir die gesamte Auflage von 2.000 Platten sowie das Masterband ins Auto, weil man keinen Platz hatte, „das Zeug zu lagern“, wie der Vorarbeiter behauptete. Ich schwitzte Blut und Wasser an der Grenze, aber die britischen Soldaten winkten mich durch. Andernfalls wäre die Scheibe nie erschienen.

Auch der libysche Staatschef Gaddafi besaß Exemplare davon. Ein Foto von der Plattenüberreichung an ihn durch den nordirischen Bürgerrechtler Eamonn McCann 1987 in Libyen hing an Joes Wohnzimmerwand. Aber ein „Mann ohne Besitz“ war Joe schon lange nicht mehr, er hatte sich Immobilien zugelegt, als sie wegen des politischen Konflikts billig waren.

Sein wichtigster Besitz war aber Sandinos Bar, ein Treffpunkt für Linke, Ex-Kämpfer und Touristen. Die Schauspielerin Saoirse Ronan bezeichnete den Laden als eine der besten Kneipen Nordirlands. Wenn man Glück hatte, gab Joe eins seiner großartigen, lustigen und oft auch skurrilen Lieder zum Besten, mit denen er den Widerstand gegen die britischen Besatzer und gegen Terrorherrschaften in anderen Weltteilen feierte.

Vorigen Dienstag ist Joe im Alter von 76 Jahren gestorben. Wir werden ihn als Wirt, als Sänger und als Freund vermissen.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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