Israel und Gaza: Waffenruhe der besonderen Art

In Israel und im Gazastreifen ist nach fünf Tagen Krieg mit Dutzenden Toten auf palästinensischer Seite wieder Ruhe eingekehrt. Doch für wie lange?

Ein zerstörtes Haus in Deir al-Balah, Gazasteifen

Ein zerstörtes Haus in Deir al-Balah, Gazasteifen Foto: Ibraheem Abu Mustafa/reuters

BERLIN taz | Es ist ein Waffenstillstand der besonders vagen Art: Israel und die militante palästinensische Organisation Islamischer Dschihad aus dem Gazastreifen haben sich geeinigt, dass beide Seiten „aufhören, auf Zi­vi­lis­t*in­nen zu zielen, Häuser zu zerstören und auf Menschen zu zielen“. Am Sonntag hielten sich beide Seiten zunächst an die Vereinbarung. Aber wie lange werden die Waffen schweigen?

Die Vagheit des von Ägypten vermittelten Waffenstillstands ist Konzept: Besonders umstritten war in den Verhandlungen die israelische Taktik der gezielten Tötung von Mitgliedern des Islamischen Dschihad. Mit Angriffen auf Kommandeure der Organisation war die Gewalt am Dienstag aufgeflammt. Sie forderte von Israel, die Angriffe einzustellen.

Die nun gewählte Formulierung erlaubt es Israel zu betonen, dass es der Forderung nicht zugestimmt habe, während der Islamische Dschihad das Gegenteil behaupten kann. Der Waffengang endet also nicht mit Einigkeit, die nächste Eskalation dürfte vor der Tür stehen.

Die bisherige Bilanz: Fünf Tage und Nächte lang flogen rund 1.200 Geschosse aus dem Gazastreifen auf israelisches Territorium, vor allem auf die an Gaza angrenzenden Gebiete, aber auch auf Tel Aviv und Jerusalem.

Israel bombardierte Ziele des Islamischen Dschihad im Gazastreifen. Auf israelischer Seite wurden zwei Personen durch Raketen getötet, eine Israelin und ein palästinensischer Arbeiter aus Gaza. Das israelische Militär tötete 18 teils hochrangige Mitglieder des Islamischen Dschihad, außerdem mindestens zehn Zivilist*innen, darunter Kinder. Das Gesundheitsministerium in Gaza spricht von 33 getöteten Palästinenser*innen. Laut israelischem Militär wurden einige Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in Gaza von fehlgeleiteten Raketen des Islamischen Dschihad getötet.

Hamas hielt sich heraus

Die militärisch stärkere militante Organisation im Gaza­streifen, die Hamas, beteiligte sich in dieser Runde nicht an Kampfhandlungen. Anders als der Islamische Dschihad hat die Hamas als Regierungsmacht in Gaza einiges zu verlieren. Derzeit haben 16.000 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in dem Gebiet die Genehmigung, in Israel zu arbeiten. Eskalationen mit der Hamas führen für gewöhnlich dazu, dass Israel die Genehmigungen einschränkt – für den wirtschaftlich schwer angeschlagenen Küstenstreifen ein kaum zu überschätzender Faktor.

Die Taktik der Hamas besteht seit ihrem Krieg mit Israel vor zwei Jahren darin, Gaza relativ ruhig zu halten, aber den Druck vom Westjordanland aus auf Israel zu erhöhen, etwa indem sie dort zu Anschlägen aufruft. Mehrere Anlässe in der kommenden Woche bieten der Hamas eine Gelegenheit, ihr Image als Beschützerin Jerusalems zu pflegen. Am Montag jährt sich die als Nakba bezeichnete Flucht und Vertreibung hunderttausender Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen im Zuge der Gründung Israels zum 75. Mal. Am Donnerstag feiert Israel am Jerusalem-Tag die Eroberung des Ostteils der Stadt 1967. Traditionell ziehen an dem Tag rechtsnationalistische Jüdinnen und Juden mit Israelflaggen durch die Altstadt – oft auch durch das muslimische Viertel – und provozieren mitunter mit Slogans wie „Tod den Arabern“.

Netanjahu unter Druck aus eigenen Reihen

Vor dem jüngsten Schlagabtausch zwischen Israel und dem Islamischen Dschihad hatte die Hamas gewarnt, sie werde nicht zulassen, dass Israel Jerusalem „judaisiert“. Vor zwei Jahren hatte der Flaggenmarsch am Jerusalem-Tag einen elftägigen Krieg zwischen Israel und der Hamas ausgelöst.

Der jüngste Gewaltausbruch fällt in eine Zeit einer extrem rechten Regierung in Israel. Viele Re­gie­rungs­kri­ti­ke­r*in­nen glauben, dass Premier Benjamin Netanjahu mit der Eskalation von innenpolitischen Problemen ablenken wollte. Tatsächlich hat es am Samstag zum ersten Mal seit 19 Wochen keinen Massenprotest gegen die Justizreform gegeben, sondern nur vereinzelte Demonstrationen.

Auch Druck aus der Regierungskoalition könnte demnach zu Netanjahus Entscheidung beigetragen haben, Kommandeure des Islamischen Dschihad töten zu lassen und somit die Eskalation auszulösen. Itamar Ben-Gvir, rechtsextremer Minister für Nationale Sicherheit, hatte zuletzt die Reaktion auf vorherige Raketenangriffe als zu lasch kritisiert und deshalb die Sitzungen des Parlaments boykottiert. Nach den Tötungen beendete er seinen Boykott.

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