Nach dem Flüchtlingsgipfel: Schwenk nach rechts

Die Grünen sind dabei, ihre Grundsätze in der Asylpolitik aufzugeben. Den Beschwichtigungen der Parteispitze ist nicht zu trauen.

Eine Person auf einem Zaun

Dieser Zaun in der spanischen Enklave Melilla trennt Afrika von Europa Foto: Jesus Blasco De Avellaneda/reuters

Mehr Abschiebungen, weitere sichere Herkunftsstaaten, ausgeweitete Befugnisse für die Behörden und Asylverfahren an der EU-Außengrenze: SPD-Kanzler Olaf Scholz verspricht den Bundesländern nicht nur eine Milliarde Euro extra für Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten, sondern gleich dazu auch einen viel res­triktiveren Kurs in der Asylpolitik. Wird umgesetzt, worauf sich Bund und Länder beim Flüchtlingsgipfel am Mittwoch geeinigt haben, dann vollzieht die Ampelkoalition einen drastischen Schwenk nach rechts.

Dass SPD und FDP bereit sind, das Ziel einer menschlicheren und moderneren Asylpolitik aufzugeben, ist erbärmlich, aber nicht überraschend. Wirklich neu und deshalb erschreckend ist, dass auch Teile der Grünen zur Zustimmung bereit scheinen. Zwar gab die Partei vor dem Gipfel zu verstehen, die Vorschläge des Kanzleramts seien mit ihr nicht abgesprochen.

Und nach dem Gipfel war die Empörung unter vielen Grü­nen­-Po­li­ti­ke­r*in­nen riesig. Der Abgeordnete Julian Pahlke etwa beklagte eine „weitgehende Aushöhlung des Rechtsstaats“. Und seine Kollegin Karoline Otte sagte: „Für mich als grüne Abgeordnete wurden hier entscheidend rote Linien überschritten.“ Nur stammen die beiden eher aus der zweiten Reihe der Fraktion. Bei den Spitzen von Fraktion und Partei kann man sich inzwischen nicht mehr sicher sein, dass sie es genauso sehen.

Das betrifft insbesondere die Ausweitung des Status „sicherer Herkunftsstaat“ auf die EU-Beitrittskandidaten Georgien und Moldau, wie sie am Mittwoch beschlossen wurde. Geflüchtete aus so deklarierten Staaten erhalten in der Regel in Deutschland kein Asyl. Bisher blockten die Landesregierungen mit grüner Beteiligung im Bundesrat sämtliche Vorstöße zur Ausweitung des Status auf weitere Staaten ab.

Schon vor dem Gipfel befand der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour aber: „Länder, die etwa den Status des EU-Beitrittskandidaten haben und Fortschritte bei der Rechtsstaatlichkeit machen, werden sicherlich anders behandelt werden müssen als Folterstaaten. Das ist im Falle Georgiens und Moldaus sicher diskutabel.“

Klingt einleuchtend, nur macht es Nouripour sich damit viel zu einfach. Laut den aktuellsten Berichten von Amnesty International gibt es in Moldau weiter Hinweise auf Folter. Und in Georgien wird die Opposition weiterhin angegriffen und eingeschüchtert.

Ähnlich zynisch wie Nouripour zum Thema sichere Herkunftsstaaten äußern sich grüne Spitzenpolitiker inzwischen, wenn es um das geplante EU-Asylpaket geht. Beim Flüchtlingsgipfel hat die Bundesregierung den Ländern zugesichert, sich für einen schnellen Beschluss der von der EU-Kommission geplanten Regelungen einzusetzen. Die sehen weiterhin keinen verpflichtenden Verteilungsmechanismus der Geflüchteten auf alle EU-Staaten vor, beinhalten aber Schnellverfahren für bestimmte Geflüchtete direkt an den EU-Außengrenzen.

Menschenrechtsorganisationen fürchten deshalb eine dramatische Verschlechterung der Lage der Geflüchteten. Länder wie Griechenland könnten sich außerdem weiter zu illegalen Pushbacks ermutigt fühlen. Die Grünen hatten sich deswegen in der Vergangenheit vehement gegen solche Pläne gewehrt. Jetzt haben die grünen Mi­nis­te­r*in­nen aber wohl ihre Zustimmung Innenministerin Nancy Faeser signalisiert, die die Pläne der EU-Kommission im Grundsatz unterstützt.

Bloß nicht noch mehr Ärger

Robert Habeck spricht von einem „pragmatischen“ Ansatz: „Niemand kann etwas dagegen haben, dass wir genau wissen müssen, wer nach Europa einreist.“ Cem Özdemir sekundiert: „Wir müssen an der euro­päi­schen Grenze wissen, wer die EU betritt, wo die Menschen herkommen und wie hoch die Bleibewahrscheinlichkeit ist.“ Es scheint, als seien die grünen Minister unter dem Eindruck von Heizungsdesaster und Graichen-Affäre bereit, ihre menschenrechtlichen Grundsätze kampflos aufzugeben. Bloß nicht noch mehr Ärger.

Sicher: Habeck, Özdemir und Nouripour knüpfen ihre Position an Bedingungen: Habeck will gleichzeitig für mehr „Humanität“ in der EU-Asylpolitik sorgen und Özdemir die Verfahren an der EU-Außengrenze nur dann akzeptieren, wenn gleichzeitig ein verbindlicher Verteilungsschlüssel kommt. Doch es wäre falsch, allein darauf zu vertrauen. Zu oft sind die Grünen in dieser Koalition schon eingeknickt, wenn es um Themen ging, die ihnen eigentlich wichtig sein sollten.

Wäre es am Ende eine Bundesregierung unter grüner Beteiligung, die weitere Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt und Asylverfahren an den Außengrenzen zulässt, wäre das mehr als peinlich für eine Partei, die sich als links und fortschrittlich verstanden wissen will. Für viele Geflüchtete wäre es eine Katastrophe.

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