Entkriminalisierung von Cannabis: Büro­kratisches Kiffen

Die Ampel will Anbau und Besitz von Cannabis entkriminalisieren. Ein früher Gesetzentwurf zeigt, wie kompliziert es werden könnte.

Großaufnahme einer Cannabispflanze

Gekifft wird nicht im Club! Foto: imago

Entkriminalisierung statt Legalisierung – was bedeutet das?

Ein früher Gesetzentwurf zur Cannabislegalisierung ist durchgesickert. Im Koalitionsvertrag geplant war die „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“. Wie der Gesetzentwurf zeigt, wird daraus wohl erst einmal nichts. Mitte April hatten SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Grünen-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir die Eckpunkte des Gesetzes vorgestellt. Am Montag berichtete die Deutsche Presseagentur über den frühen Entwurf des Gesundheitsministers, der aktuell regierungsintern beraten wird. Kurz darauf kursierte das Dokument auf der Social-Media-Plattform Twitter. Vom freien Verkauf in lizenzierten Geschäften ist darin kein Rede.

Wie Lauterbach Mitte April erklärte, sind die strengen Richtlinien der EU der Grund dafür. Deutschland würde mit lizenzierten Geschäften gegen EU-Recht verstoßen. Stattdessen soll es zunächst eine Entkriminalisierung von Cannabisbesitz geben. Dieser ist dann zwar noch nicht legal, aber straffrei. Man handelt also rechtswidrig, wird dafür aber nicht bestraft. Längerfristig ist die Einrichtung sogenannter Modellregionen für den freien Verkauf von Cannabis geplant: als Vorzeigeprojekt für die EU und als eine Art Vorstufe für die Legalisierung.

Wie viel darf ich besitzen?

Straffrei soll der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis sowie drei weiblichen Cannabispflanzen pro Person pro Jahr werden. Wer mit mehr erwischt wird, muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe rechnen. Wie der private Anbau kontrolliert werden soll, bleibt vorerst unklar. Ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland Mitte April, dass der Besitz von maximal drei Pflanzen „prinzipiell nicht kontrollierbar“ sei. Eine polizeirechtliche Grundlage für das Zählen von Cannabisblumentöpfen in Privatwohnungen werde es sicherlich nicht geben.

Wo kriege ich mein Zeug her?

Neben dem privaten Anbau soll man Cannabis nur in sogenannten Anbauvereinigungen erwerben können, besser bekannt als „Cannabis-Clubs“. Diese sollen als Vereine mit bis zu 500 Mitgliedern organisiert sein. Ab 18 Jahren darf man beitreten. Die Clubmitglieder dürfen gemeinschaftlich Gras anbauen und dieses an ihre Mitglieder verkaufen: pro Person maximal 25 Gramm am Tag und bis zu 50 Gramm im Monat. Daraus lassen sich rund 100 Joints bauen. Bei Menschen unter 21 Jahren ist es etwas weniger, sie dürfen maximal 30 Gramm pro Monat erwerben.

Gekifft werden darf weder innerhalb der Cannabis-Clubs noch in einem 250-Meter-Radius drumherum. Der Sprecher des Hanfverbands Deutschland, Simon Kraushaar, findet das problematisch. „Menschen zum Kiffen in ihre eigenen vier Wände zu schicken, ist keine gute Idee. Dort fehlt jegliche soziale Regulation und Unterstützung. Zu Hause ist vielleicht niemand, der dir sagt: Jetzt reicht es aber langsam, du hattest genug.“ Die soziale Komponente in den Clubs fehle völlig. Außerdem würden viele Kon­su­men­t:in­nen gezwungen sein, einem Club beizutreten, um ihren Bedarf zu decken.

Eine Marihuanapflanze wirft unter Gewächshausbedingungen etwa 35 Gramm Cannabis ab. Pro Jahr mit drei Pflanzen wären das um die 100 Gramm. „Wenn man sich dann anschaut, dass Cannabis-Clubs pro Monat 50 Gramm an ihre Mitglieder abgeben dürfen, sieht man, dass da ein Missverhältnis besteht.“ Konsument:innen, die größeren Bedarf haben, bliebe nur die Mitgliedschaft in einem Club. „Niemand sollte gezwungen sein, in irgendwelche Clubs zu gehen, Mitgliedsbeiträge zu bezahlen, vielleicht noch ehrenamtliche Arbeitsstunden leisten zu müssen.“

Fraglich ist auch, ob die Clubs den Gesamtbedarf überhaupt werden decken können. Schätzungsweise 4,5 Millionen Menschen in Deutschland konsumieren Gras. Teilt man diesen Wert durch 500, also die maximale Anzahl der Mitglieder in einem Club, kommt man auf 9.000 Clubs, die gegründet werden müssten. „Wenn man einberechnet, dass manche selbst anbauen und nicht in Clubs gehen, bräuchte es vielleicht nur um die 5.000 Clubs“, schätzt Kraushaar.

„Aber das ist trotzdem noch eine ganze Menge.“ Zum Vergleich: Die Supermarktkette Rewe hat 3.700 Märkte in Deutschland. „All diese Clubs müssen gegründet, kontrolliert und reguliert werden. Ich weiß nicht, wie die deutsche Verwaltung das so schnell und langfristig gebacken bekommen will“, sagt Kraushaar.

Wieso gibt es Cannabis nicht einfach frei verkäuflich wie in den Niederlanden?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

„Das niederländische Modell ist für uns kein Vorbild“, sagte Lauterbach Mitte April. Gras ist dort frei verkäuflich. In Coffeeshops können Menschen diverse Cannabisprodukte kaufen. Das Problem: „Sämtliches Cannabis, das in den Shops in den Niederlanden verkauft wird, kommt aus illegalen Quellen“, sagt Kraushaar. Dass es so auch in Deutschland kommt, wolle man auf jeden Fall vermeiden, sagte Lauterbach im April. Erst mal soll es deshalb Modellre­gio­nen in Deutschland geben, in denen der freie Verkauf in lizenzierten Geschäften genehmigt wird. Erste Überlegungen dazu, wo und wie groß die Regionen sein werden, gibt es wahrscheinlich im Spätsommer.

Wie gründe ich einen Cannabis-Club?

Für die Clubs gibt es laut Gesetzentwurf strenge Auflagen. Insbesondere in Großstädten dürfte sich die Standortsuche als schwierig erweisen. Dabei muss nämlich zu allen Schulen, Kitas, Spielplätzen, Jugendeinrichtungen und Sportstätten ein Abstand von 250 Metern eingehalten werden.

Rechnet man etwa für Hamburg für alle Schulen, Kitas, Spielplätze und Sportplätze mit einem Quadrat von 250 mal 250 Metern und addiert diese Quadrate, wäre bereits ein Viertel von Hamburg bedeckt – und damit als Clubstandort aus dem Rennen. „Wenn alle Clubs in die Peripherie verlagert werden, dann wird man dieses Angebot nicht richtig wahrnehmen“, sagt Kraushaar. „In den Innenstädten überlässt man dann dem Schwarzmarkt weiterhin das Geschäft.“

Eine weitere Klausel im Gesetzentwurf könnte die Cluberöffnung erschweren. Die Anbauvereinigung dürfe nämlich keine „Belästigung für die Allgemeinheit oder die unmittelbare Nachbarschaft“ sein. In dem Moment, dass Nach­ba­r:in­nen sich beschweren, ist der Standort also tabu. „Das wird dazu führen, dass es in Regionen in Deutschland, die konservativer geprägt sind, etwa in Mittel- und Süddeutschland, keine Cannabis-Clubs geben wird“, sagt Kraushaar.

Clubs müssen außerdem dokumentieren, wer wem wann wie viel und welches Gras verkauft hat. Diese Anforderung wird vor allem hinsichtlich des Datenschutzes kritisiert. Behörden hätten die Möglichkeit, von allen Vereinen Mitgliederlisten anzufordern. Solange Kiffen aber nur straffrei, nicht legal ist, bereitet das vielen Unbehagen.

Wann wird das neue Gesetz beschlossen?

Der Gesetzentwurf befindet sich in einem frühen Stadium. Vieles kann sich noch ändern. Gerade liegt er bei den Ministerien zur internen Abstimmung. Im Anschluss werden Fachverbände angehört, es folgen ein Beschluss des Bundeskabinetts und die Beratung im Bundestag. Mit Glück wird das Entkriminalisierungsgesetz noch dieses Jahr beschlossen.

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