Chaos bei den Hamburger Grünen: Schwer zu verstehen

Der gescheiterte Versuch, einen Untersuchungsausschuss zum NSU einzusetzen, zeigt: Den Grünen gelingen keine nachvollziehbaren Kompromisse.

Jenny Jasberg

Unter Druck: Hamburgs grüne Fraktionsvorsitzende Jenny Jasberg Foto: Georg Wendt/dpa

HAMBURG taz | Wie es die Hamburger Grünen in wenigen Tagen hinbekommen haben, sogar in der bundesweiten Öffentlichkeit für lagerübergreifendes Kopfschütteln zu sorgen, ist schon bemerkenswert: Bei ihrem Scheitern, nun auch endlich in Hamburg einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) einzurichten, ist das Entsetzen ziemlich groß.

Aus linker Sicht ist es das, weil es den Grünen an Rückgrat fehlt, wenn es um wichtige antifaschistische Anliegen geht. Mehr noch: Wer, wie die Abgeordnete Miriam Block ihrem Gewissen nach für einen Oppositionsantrag zur PUA-Einsetzung stimmt und damit gegen den ausgehandelten faulen Regierungskompromiss, wird auch noch abgestraft – die Fraktion entband sie von einigen ihrer Ämter.

Andersrum war die rot-grüne Koalition seit ihrem Bestehen einem Bruch noch nie so nahe wie in den vergangenen Tagen, weil es der Grünen-Fraktion nicht gelang, sich auf eine gemeinsame Position zu einigen. Es fehlte nicht viel, und eine ganze Schar von Abgeordneten hätte sich nicht an die eingeforderte Fraktionsdisziplin gehalten. So lässt sich nur schwer regieren. Hätte es tatsächlich bei der namentlichen Parlamentsabstimmung mehr Ab­weich­le­r:in­nen gegeben – die SPD hätte die Grünen wohl aus der Regierung geschmissen.

Wie konnte das passieren? In der Fraktion, aber auch in der Landespartei ist die Stimmung so mies wie lange nicht mehr. Am Donnerstagabend lud die Landespartei kurzfristig zu einem Mitgliederabend ein: Die Grünen-Spitze wollten ihr Handeln der vergangenen Tage erklären, Mitglieder sollten in geordneten Bahnen die Gelegenheit bekommen, Dampf abzulassen.

Hektische Krisengespräche

Rund 150 Grüne waren anwesend: von der Senatsriege bis zum einfachen Mitglied. „Es war ein kontroverser, aber auch guter Austausch“, sagte eine Parteisprecherin der taz. Auch Miriam Block war anwesend und erläuterte ihre Sichtweise.

Die Forderung, einen NSU-Ausschuss einzurichten, lag bei den Grünen jahrelang in der Schublade. Nach den vergangenen zwei Wahlen konnten sie sich in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD damit jedoch nie durchsetzen. Die So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen blocken, mit erstaunlich schwachen Argumenten, aber dafür umso vehementer, das Vorhaben seit jeher ab.

Vor zwei Jahren, nachdem der aktuelle Koalitionsvertrag unterschrieben worden war, bekräftigte jedoch der grüne Landesverband bei einer Mitgliederversammlung nochmal seinen Willen, einen PUA einzurichten. Die Fraktionsspitze um Jenny Jasberg und Dominik Lorenzen packte in Koalitionsgesprächen mit der SPD zuletzt das Thema wieder auf die Tagesordnung.

Besonders Jasberg soll auf eine parlamentarischen Aufarbeitung gepocht haben. Die SPD stellte sich aber konsequent quer. Bloß: Das bekam auch die oppositionelle Linksfraktion mit und beantragte Ende März, mitten in den Koalitionszwist hinein, die Einsetzung eines NSU-Ausschusses, über die die Bürgerschaft am 13. April abstimmen sollte.

Ein halber Rausschmiss

Nun wurde es hektisch: Der Antrag entsprach schließlich dem, was die Grünen wollen. Schnell hatte Miriam Block klar gemacht, dass sie dem Antrag zustimmen will. Und sie soll weitere Grünen-Abgeordnete dazu ermuntert haben. Als Grünen-Fraktion dem Antrag zuzustimmen, hätte allerdings automatisch das Ende der rot-grünen Koalition bedeutet. Das war der Fraktionsspitze klar.

Es folgten eine Reihe an Krisensitzungen, fraktionsintern wie mit der SPD. Das Ergebnis: Einen PUA wird es nicht geben, stattdessen soll es – das hält die Grünen-Spitze zumindest für einen zarten Verhandlungserfolg – eine wissenschaftliche Aufarbeitung des NSU-Komplexes geben.

Miriam Block stimmte dennoch dem Linken-Antrag – ohne Chance auf Erfolg – zu. Am Montag dann stimmte die Fraktion nach mehrstündiger Diskussion einem Antrag der Fraktionsspitze zu, die 33-Jährige als Sprecherin für Wissenschaft und Hochschule abzuwählen sowie aus den Ausschüssen für Wissenschaft und Inneres abzuberufen.

Blocks Stimmverhalten sei ein Affront gegen die gesamte Fraktion gewesen. Sie hätte ja gar nicht für den rot-grünen Vorschlag stimmen müssen: Fünf weitere Grünen-Abgeordnete waren bei der Abstimmung nicht anwesend. Zwei meldeten sich krank, drei verließen vor der Abstimmung den Plenarsaal.

Müder Kompromiss

Doch ist die Reaktion auf Blocks Stimmverhalten mal wieder ein müder Kompromiss: Entweder hätte Block aus der Fraktion fliegen müssen oder sie hätte ihre Ämter behalten sollen – schließlich hat sie ja nur so abgestimmt, wie es dem erklärten Willen der Mitglieder entsprach. Und trotz des Kompromisses wird das Handeln der Fraktion als unschöne Drohung gegenüber Abgeordneten gesehen werden, die in Zukunft von der Fraktionslinie abweichen wollen. In der Außenwirkung jedenfalls war die Entscheidung fatal.

Dabei half auch das dürre Statement nicht, das die Fraktion im Anschluss an die Aussprache zur Erklärung veröffentlichte, und das eher Fragen aufwarf, als es Antworten lieferte. „Ich verstehe es nicht“, twitterte Renate Künast dazu. Zu verstehen ist letztlich das komplette Vorgehen der Grünen in der Sache nicht.

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