1. Mai in Berlin: Die Zukunft ist nicht unser Freund

Protestrituale wie der Maifeiertag leben von Revolutionsromantik. Für den Rest des Jahres wäre es schlauer, sich auf das Erreichbare zu konzentrieren.

Polizisten und Demonstranten treffen bei der «Revolutionären 1. Mai-Demonstration» aufeinander.

Auseinandersetzungen mit der Polizei am Ende der revolutionären Abenddemo im vergangenen Jahr Foto: dpa

Es ist ein wenig paradox: Linksradikale Gruppen werden zum 1. Mai wieder alles auffahren, was sie an Revolutionsromantik zu bieten haben. Scharf formulierte Aufrufe, die die Abschaffung von Kapitalismus und Patriarchat fordern; Rauchtöpfe, Pyrotechnik und am Ende den ein oder anderen Flaschenwurf und Keilerei mit der Polizei.

Doch auch in diesem Jahr wird die Revolution ausbleiben. Am 2. Mai wird mit ziemlicher Sicherheit alles so sein wie vorher (nur ein klein wenig schlimmer).

Eine andere Gruppe, die Letzte Generation, gibt sich hingegen äußerst moderat. Sie fordern keinen Systemwandel, sondern nur banale Dinge wie ein Tempolimit auf Autobahnen oder einen beratenden Gesellschaftsrat – und natürlich, dass der Staat die Klimaschutzmaßnahmen umsetzt, die er beschlossen hat.

Trotzdem versucht die Letzte Generation mit äußerster Entschlossenheit seit über einem Jahr ihre Ziele umzusetzen. Und obwohl sie noch keine konkreten politische Erfolge erzielen konnte, schafft sie es wie kein anderer Akteur der Bewegung, der klimazerstörerischen Politik der Bundesregierung etwas entgegenzusetzen.

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Von der Letzten Generation lernen

Im direkten Vergleich wirkt die radikale Linke mit ihrer Revolutionsfolklore am 1.-Mai fast schon etwas konservativ. Ein Grund für diesen Gegensatz ist, dass sich viele Gruppen nach Jahren des politischen Abwehrkampfes an die Hoffnung klammern, dass es in Zukunft schon irgendwie besser wird und der erhoffte Wandel doch noch kommt.

Fragt man in linken Kreisen einmal konkret nach, wie denn die sozial-ökologische Wende aussehen soll, bekommt man allerhand schön klingende Antworten: Arbeiter:innen, die sich spontan erheben, ihre Betriebe kollektivieren und auf ökologische Produktion umstellen; eine internationale sozialistische Bewegung, die das Großkapital enteignet; oder vielleicht gleich die Abschaffung von Nationalstaaten und die Einführung einer Rätedemokratie.

Es ist lohnenswerte, auf all diese Utopien hinzuarbeiten. Für die Lösung aktueller Krisen, allem voran der Klimakrise, bieten sie allerdings keine Antworten. Eine wichtige Erkenntnis, die sich linke Bewegungen von der Letzten Generation abschneiden können, ist, dass Zeit nicht ihr Freund ist.

Denn die Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen fahren eine radikale Politik des Jetzt: Angesichts der Klimakrise mache es keinen Sinn, auf die Zukunft zu hoffen. In der Gegenwart muss alles versucht werden, was möglich ist, um die Folgen der Klimakrise zumindest abmildern zu können.

Infografik: infotext

Kleine Ziele, radikale Mittel

Dieses Prinzip lässt sich auf andere Kämpfe in den sozialen Bewegungen übertragen. Mit einer CDU-geführten Regierung droht Deutsche Wohnen und Co. enteignen endgültig zu versanden, ähnlich sieht es aus mit der Verkehrswende, wenn das Mobilitätsgesetz kassiert und die A100 gebaut werden soll.

Darauf, dass die Zeit schon Fortschritt bringen wird, ist kein Verlass mehr. Was es jetzt braucht, ist beharrlicher, störender und ungehorsamer Protest – vielleicht nicht in Form von Straßenblockaden, dafür als Hausbesetzungen, Baustellenblockaden, Mietstreiks.

In diesem Sinne wäre es schön, wenn die 1.Mai-Demos in diesem Jahr den Auftakt bilden für kämpferische und bewegte nächste Jahre, an dessen Ende nicht die Revolution, aber vielleicht der ein oder andere kleine politische Erfolg stehen könnte. In diesem Sinne spricht nichts dagegen, auch in diesem Jahr wieder das volle 1.-Mai-Programm mitzunehmen.

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