Berlins neuer CDU-Kultursenator: Kultur? Schnickschnack!

Berlins neuer Kultursenator Joe Chialo (CDU) wird schon jetzt von seiner eigenen Partei belächelt. Wird er die Kultur verteidigen können?

Wer sieht hier glücklicher aus? Joe Chialo und Kai Wegner beim CDU-Landesparteitag Foto: dpa

Zunächst einmal scheint die Personalie Joe Chialo, Berlins neuer Kultursenator, interessant. In Bonn ist er als Kind einer tansanischen Diplomatenfamilie aufgewachsen. Er war Ordensschüler, hat Fräser gelernt, ein paar Semester Geschichte, Politik und Wirtschaft studiert, mit seiner Metalband einen Plattenvertrag bekommen, schließlich selbst ein Label beim Musikkonzern Universal gegründet, beim European Song Contest gearbeitet.

Ein sympathischer, neuer Turnschuh-Senator, ein unbeschriebenes Blatt, ein Quereinsteiger, der erst 2016 in die CDU eingetreten ist. Hoffnung keimt auf: Vielleicht könnte einer wie dieser tatsächlich mehr reißen als nur das beklagenswert provinzielle bis tiefschwarze Image der Berliner CDU um ein paar Nuancen aufzuhellen.

Doch kaum, dass die Berliner SPD für die Koalition mit der CDU gestimmt hat, lässt Berlins künftiger Regierender und CDU-Chef Kai Wegner zur Einführung seines Wunschkandidaten Chialo am Montagabend beim CDU-Landesparteitag verlauten: Wer Manager der Kelly-Familiy gewesen sei, der könne auch die Berliner Kultur managen.

Das ist leider nicht nur eine Herabwürdigung für die Berliner Kultur. Es ist auch ein paternalistischer Übergriff auf Joe Chialo. So, als wolle die CDU, die traditionell immer ihre Kompetenz für Hochkultur betont hat, gleich mal zu Anfang klar stellen, auf wessen Expertise sich ein junger Mann aus der Schlagerecke bei Entscheidungen wie der über die anstehende Nachfolge eines Daniel Barenboim verlassen kann.

Viele Fallen

Die Skeptiker aus Berlins Off-Szene, die schon jetzt lautstark fürchten, ein Mann wie Chialo, der sich vor allem als Unternehmer bezeichnet, kenne keine Unterschiede zwischen kritischer, freier Szene und kommerzieller Kreativwirtschaft, liegen nicht falsch. Kann schon sein, dass Chialo in ähnliche Fallen tappen wird wie sein ehemaliger Firmenkollege Tim Renner (SPD), der wie er mal Musikmanager bei Universal war.

Renner hat es in seinen kurzen zwei Jahren als Berliner Staatssekretär für Kultur 2014 bis 2016 immerhin geschafft, die Volksbühne so tief in die Scheiße zu reiten, dass sie sich bis heute noch nicht davon erholt hat. Doch die Zweifel an Chialo greifen auch zu kurz. Das Amt des Kultursenators galt bis zum Amtsantritt von Kultursenator Klaus Lederer (Linke) 2016 als wenig attraktiv, weil machtlos.

Lederer hat das gründlich geändert. Er war einer der beliebtesten Politiker dieser Stadt. Dann hat er den Fokus auf lang vernachlässigte, aber brennende Themen wie Ateliernot, Clubsterben und die Verdrängung kultureller Freiräume gerichtet, die massiv den unverwechselbaren Spirit dieser Stadt bedrohen.

Er hat es auch geschafft, zahlreiche Orte und Institutionen für Kultur zu sichern, die berühmten Berliner Prekären durch die Pandemie zu hieven und Themen wie gerechte Bezahlung im Kulturbetrieb zu installieren. Vor allem aber hat er den Kulturetat von 492 auf knackige 803 Millionen Euro jährlich hochgeboxt. Dazu braucht es Durchsetzungswillen und Standing.

Ein Standing, das Chialo derzeit offenbar am wenigsten von seiner eigenen Partei zugetraut wird. Es ist nicht nur zu bezweifeln, dass sich Chialo davon frei schwimmen kann. Darüber hinaus klingt die Äußerung Wegners auch in Anbetracht der nun wieder knapperen Kassen wie ein Verweis der Kultur in ihre alten, nicht ernstzunehmenden Schranken.

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Jahrgang 1971, schrieb 1995 ihren ersten Kulturtext für die taz und arbeitet seit 2001 immer wieder als Redakteurin für die taz. Sie machte einen Dokumentarfilm („Beijing Bubbles“) und schrieb zwei Bücher über China („Peking" und "Chinageschichten“).

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