Bremen vor der Wahl: Angenehm unambitioniert

Am Sonntag wählt Bremen seine Bürgerschaft neu. Große Ambitionen sind selten und genau das passt zur SPD: Wenig läuft super, es ginge aber auch schlechter.

Eine Person mit Rad wartet auf eine Fähre über einen Fluss

Eben mal die Fähre nehmen? Ach, vielleicht doch lieber verweilen Foto: Kay Michalak /fotoetage

Nur ein Wort braucht der Freund, um Bremen zu charakterisieren. „Unambitioniert“ seien die Stadt und ihre Bewohner:innen, sagt er, durchs Telefon höre ich Gelächter. Er sitzt im Bus auf dem Rollfeld eines Großstadt-Flughafens, auf dem Weg zurück von einem Meeting nach Bremen. Seine Mitreisenden hätten ihm zugestimmt, sagt er. Aber vielleicht seien Menschen auf Inlandsflügen nicht repräsentativ.

Er hat recht. „Ambitioniert“ meint nicht einfach „ums Vorwärtskommen bemüht“. Laut dem Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache bedeutet das lateinische ambīre in seinem Ursprung „um etwas herumgehen“. „Ambitio“ wurde später verstanden als das „Streben nach Ehre und Rang“. Wer ambitioniert ist, möchte gesehen werden. Eine solche Haltung geht Bremer:innen, selbst wenn sie nicht mit bloßem Überleben beschäftigt sind, überwiegend ab.

Auch deshalb bekommen FDP und CDU in der Stadt kein Bein an den Boden. Die meisten ihrer Prot­ago­nis­t:in­nen wirken zu ehrgeizig, klingen zu sehr nach „Make Bremen great again!“ Nicht viel besser ist der aktuelle Wahlslogan der FDP: „Zeigen wir, wie’s geht“ erinnert an einen Abiturienten, bereit, die Eltern stolz zu machen mit einem Studium zum Wirtschaftsingenieur.

Zum Bremer Lebensgefühl passt viel besser die SPD, der es reicht, wenn alle Kinder irgendwie in die Schule gehen, Klima, Wirtschaft und Arme ein bisschen geschützt werden. Wer unter ihr mitregiert, ist egal, Hauptsache, sie benehmen sich und bleiben ohne große Ansprüche. Kein Wunder, dass die einzige Ampelkoalition Anfang der 90er Jahre vor ihrem Ende zerbrach. Und kein Wunder, dass die derzeitige rot-rot-grüne Koalition vier Jahre so harmonisch funktioniert hat, behalten doch alle ihre Ambitionen weitgehend für sich.

Bremen stört nicht weiter – trotz seines schlechten Rufs. Eine Statistik, die Bremen als Schlusslicht ausweist, ist schnell gefunden. Irgendein Bildungsmonitor, ein Armutsranking, eine Kriminalitätsstatistik. Und auch noch das: Vier Jahre lang ist Bremen von einem rot-grün-roten Senat regiert worden. Die Aufregung um das bisschen Kommunismus im traditionell SPD-roten Bremen war schnell verklungen, als klar war, dass dieses in einem rein westdeutschen Bundesland einmalige Experiment ganz passabel funktioniert hat. Es taugt zum Hingucker.

So wie die ganze Stadt.

Zur Neuwahl der Bremer Bürgerschaft am 14. Mai schaut die taz daher in einem Dossier genau hin. Was macht das Lebensgefühl aus? Wieso ist Bremen die Raucherhauptstadt? Warum nochmal ist Bremerhaven wichtig? Und was macht Werder?

Alle Texte des Dossiers werden unter dem Link taz.de/bestofbremen gesammelt.

Nur Werder-Spieler sind Stars

Deshalb müssen alle, die nicht einfach Geld verdienen oder ihr Erbe vermehren wollen, die Stadt verlassen – das gilt noch mehr für den zweiten Landesteil Bremerhaven, das 120.000 Einwohner:innen-Anhängsel 60 Kilometer vor Bremen, das nicht bloß am Fluss, sondern am Meer liegt, aber einem recht ambitionslosen. Auch der in Bremen aufgewachsene Freund hat Karriere in anderen Städten gemacht, bevor er zurückkehrte. Das Grünen-Paar Marieluise Beck und Ralf Fücks (mitverantwortlich für das vorzeitige Ampel-Aus) ging nach Berlin, und Jan und Benjamin und wie die kleinen großen Jungs so heißen, gehen hauptsächlich weg.

Aber sie haben ja recht. In Bremen werden nur Werder-Spieler als Stars gefeiert. Der letzte aus einer anderen Branche war wahrscheinlich der Regisseur Peter Zadek, als er in den 60er Jahren ein paar Stücke am Bremer Theater inszenierte. Die größte Werbeikone der Stadt ist immer noch Ailton, der moppeligste Stürmer, der je zum Fußballer des Jahres gewählt wurde. 2004 war das. Dass mir außer der Schriftstellerin Nora Bossong keine Frauen einfallen, liegt hoffentlich nur daran, dass das Talent von Frauen generell seltener anerkannt wird als das von Männern.

Es gelingt nicht nichts

Zudem hat die Vergangenheit gezeigt, dass allzu große Ambitionen in Bremen nach hinten losgehen. Ausgerechnet die unambitionierteste aller Regierungskonstellationen, die jetzt nach 16 Jahren wieder droht, eine große Koalition aus SPD und CDU, war für die ambitioniertesten Projekte verantwortlich. Sie wollte Bremen mit großkotzigen Investitionen in Tourismus und Dienstleistung herausführen aus Arbeits- und Bedeutungslosigkeit und versenkte dabei Millionen, unter anderem im Spacepark, einer Mischung aus Einkaufszentrum und Weltraum-Abenteuerpark.

Dabei ist es nicht so, dass Bremen nichts gelingt. So halten es einige erfolgreiche Unternehmen schon lange in der Stadt aus, aus der Luft- und Raumfahrtindustrie, Logistik, Windenergie. Und: kein anderes Bundesland hatte 2022 ein stärkeres Wirtschaftswachstum als Bremen. Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD, was sonst) ist seit seinem Amtsantritt 2019 der erste Bremer Regierungschef, der regelmäßig interviewt wird. Bisher war dessen Meinung für überregionale Medien so interessant wie die der Torwarttrainerin von Werders Frauenteam.

In der Pandemie viel richtig gemacht

Der Wandel rührt daher, dass Bremen in der Pandemie so viel richtig gemacht hat wie kein anderes Bundesland. Eine der höchsten Impfquoten sowie offene Schulen und Kindertagesstätten, was sich im Nachhinein als die bessere Strategie heraus stellte, als Kinder und Jugendliche monatelang einzusperren.Der Rest der Republik wunderte sich, als ihm das – spät – auffiel, jeder Medienbeitrag schien mit demselben Staunen verfasst wie Meldungen über Spitzenforschung an der Universität, die als „rote Kaderschmiede“ bekannt wurde, die so schon nicht mehr existierte, als der Bürgermeister dort 1994 sein Jura Studium beendete.

Erfolge passen nicht zum Image Bremens. Superlative lauten hier nicht „der größte Inlandsflughafen“, „die coolsten Clubs“, „die höchsten Ausgaben für Schulen“, „die sicherste Innenstadt“, „das geilste Alpenpanorama“. Der Zweitname des „kleinsten Bundeslands“ ist „Schlusslicht“, der Nachname „von der roten Laterne“. Das geht zurück auf die Ergebnisse der ersten Pisa-Studie im Jahr 2002, bei der Bremer Schü­le­r:in­nen im Ländervergleich am schlechtesten abschnitten. Daran hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert, und das hat viel mit dem zu tun, worin Bremen weit vorne liegt: Der Armutsquote. Laut Bertelsmannstiftung sind 41,1 Prozent aller Bremer Kinder von Armut bedroht, 28,2 Prozent aller Ein­woh­ne­r:in­nen waren nach einem Bericht des paritätischen Wohlfahrtsverbands im Jahr 2021 arm, acht Prozentpunkte mehr als im Zweitplatzierten Berlin. Arm und nicht mal sexy.

Armut kann man sehen

Die Armut kann man sehen. Wer aus dem Bremer Bahnhof tritt, läuft direkt ins Elend und zwar egal, auf welcher Seite. Es gibt keinen hässlichen Hinterausgang und eine schicke Front zur City wie in Hannover oder Hamburg. Und hierin liegt vielleicht der Grund für das Ambitionslose, was manchmal ins Kleinkarierte umschlägt, wenn jeder mit mehr als fünf Stockwerken geplante Neubau in den hutzeligen Innenstadt-Vierteln von Bürgerinitiativen als „Wolkenkratzer“ bekämpft wird.

Mit dieser nicht zu leugnenden Realität im Nacken als Kellerkind der Republik würde Bremens Stadtmarketing niemals ein Slogan einfallen analog zu dem Baden-Württembergs: „Wir können alles – außer Endsilben aussprechen.“ Eher würde es sich anlehnen an: „Bremens zweitbestes Bier – reicht doch!“ Zwar trieft aus der Lokalzeitung ein bräsig-defensiver Heimatstolz, aber ansonsten versuchen die Bre­me­r:in­nen nicht weiter aufzufallen, was nicht schwer ist, weil sich bisher nur die Finanzsheriffs im Stabilitätsrat für Bremen interessiert haben, genauer für seine Schulden.

Probleme machen demütig

Die großen Probleme erden, machen demütig. Es geht darum, trotz allem durchzukommen, sich mit dem zufrieden zu geben, was da ist. Eine okaye Kulturszene mit gelegentlichen Ausreißern nach oben, ein ganz nettes Umland ohne besondere Highlights, eine relativ tolerante Gesellschaft, in der selbst CDU und FDP im Landtag einem Gesetz zustimmen, das für mehr Abtreibungsmöglichkeiten sorgen soll, eine Stadt, in der die Wege kurz und oft mit dem Rad befahrbar sind.

Man kann es schlechter haben, denke ich, wenn ich im Sommer am Weserstrand sitze und überlege, mit der Fähre überzusetzen ins Viertel, der Mini-Edition von Kreuzberg. Meistens bleibe ich sitzen, auch wenn das Essen drüben besser wäre. Auch der Freund sagt übrigens, er fühle sich in Bremen wohl. Lange habe ich mich über die Stadtmusikanten als omnipräsente Maskottchen gewundert. Sie sind doch nie in Bremen angekommen! Wie ich sind sie einfach an einem Ort hängen geblieben, der gut zu ihnen war. Und genau deshalb sind sie das richtige Gesicht der Stadt. Wessen Motto lautet: „Etwas besseres als den Tod finden wir überall“, hängt die Messlatte nicht besonders hoch.

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