Urteil gegen Bremer Standesämter: Gleiches Recht für Schwarze Kinder

Schwarze Mütter gewinnen vor dem Oberlandesgericht Bremen. Seit Jahren kämpften sie für Geburtsurkunden für ihre Kinder.

Schwarze Mütter sitzen auf Stühlen auf der Straße und halten ein Transparent hoch, auf dem steht: Birthcertificates now!

Schon vor zwei Jahren demonstrierten Mütter für Geburtsurkunden vor dem Amtssitz des Innen­senators Foto: Jan Zier

BREMEN taz | Seit mehr als drei Jahren kämpfen in Bremen Schwarze Mütter mit nicht-deutschem Pass um korrekte Geburtsurkunden für ihre Kinder. Ohne vollständige Geburtsurkunde können sie das Kind nicht krankenversichern und bekommen weder Kindergeld noch Kitaplätze.

Diesen Zustand hat das Bremer Oberlandesgericht (OLG) mit einem Urteil vom 24. März für unrecht erklärt: Um die Identität der Eltern festzustellen, reiche es aus, wenn diese einen Pass vorlegen könnten. Das gelte auch für „Pässe aus Staaten mit einem unsicheren Urkundenwesen“. Die Standesämter haben zugesagt, den Beschluss sofort umzusetzen.

Die bisherige Praxis der Standesämter kritisiert Holger Dieckmann vom Bremer Flüchtlingsrat scharf. Er spricht von „schikanösen Überprüfungen und pauschalen Unterstellungen“. Die Standesämter gingen einfach davon aus, dass die Frauen falsche Pässe und Urkunden vorlegten. Ohne konkreten Anhaltspunkt forderten die Standesämter die Frauen auf, ihre Identität und insbesondere ihren Familienstand in ihren Herkunftsstaaten beglaubigen zu lassen – auf eigene Kosten, für bis zu 650 Euro pro Urkunde.

Die Standesämter unterstellten den Müttern zudem, in ihren Heimatländern verheiratet zu sein. Nach deutschem Gesetz ist derjenige der Vater, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet war. Ist sie ledig, erklären die Eltern gemeinsam in einem relativ einfach Prozess, wer der Vater ist. Doch diese Vaterschaftsanerkennungen zweifelte das Standesamt ohne konkreten Anlass an.

Auch nicht-deutsche Pässe reichen aus

Solange die Väter, die einen deutschen Pass oder eine Niederlassungserlaubnis haben, nicht in die Geburtsurkunden eingetragen werden, kann aber die deutsche Staatsbürgerschaft des Kindes nicht festgestellt werden. Aus dieser würde sich ein Aufenthaltstitel für die Mütter ergeben.

„Das Standesamt verlangt von den Frauen das Unmögliche, nämlich zu beweisen, dass sie nicht verheiratet sind,“ kritisiert die Anwältin Swantje Meyer-Mews. „Doch den Beweis einer Negativtatsache kann man nicht erbringen“, sagt sie. Selbst wenn die Frauen sogenannte Ledigkeitsbescheinigungen einholten, erkenne das Standesamt diese nicht an. Teilweise hätten die Mütter mehrere Kinder, von denen keines eine korrekte Geburtsurkunde hat. Die Bremer Praxis habe sich unter den Frauen herumgesprochen. „Von einer Mutter weiß ich, dass sie zur Geburt ihres zweiten Kindes nach Niedersachsen gefahren ist, um dieser Schikane zu entgehen,“ sagt die Anwältin.

Meyer-Mews vertritt seit zweieinhalb Jahren insgesamt 90 Frauen, hauptsächlich mit ghanaischem und nigerianischem Pass, im Rechtsstreit gegen die Behörden. Die Frauen haben sich im Bündnis „Together We Are Bremen“ organisiert. Laut Flüchtlingsrat handelt es sich mindestens um 100 Frauen. In regelmäßigen Abständen protestierten bis zu fünfzig Menschen vor dem Standesamt und dem Amtssitz des Innensenators Ulrich Mäurer (SPD).

Dieser hatte sich auch von einem Urteil des Amtsgericht im September nicht beirren lassen, demzufolge auch die Pässe von nicht-deutschen Eltern beim Ausstellen von Geburtsurkunden anzuerkennen seien. Der Senator legte zusammen mit dem Standesamt Beschwerde ein. Ihr Argument, das jetzt zurückgewiesen wurde: Das Beurkundungswesen im Herkunftsland der Eltern sei unzureichend.

Anwältin Swantje Meyer-Mews

„Das Standesamt verlangt von den Frauen das Unmögliche, nämlich zu beweisen, dass sie nicht verheiratet sind.“

Der Beschluss des Oberlandesgerichts hat nun bekräftigt: Die Identitätsprüfung der Eltern mit einem Pass oder einem anderen Ausweisdokument reicht aus. Ohne begründeten Verdacht sei die umfassende Identitätsprüfung rechtswidrig.

Auf taz-Anfrage begrüßte eine Sprecherin des Innensenators die Niederlage vor dem Oberlandesgericht. Der Beschluss „sorge für mehr Klarheit im Handeln“. Dass es um Klarheit gegangen sei, bezweifelt die Anwältin Meyer-Mews. „Wenn sie unsicher in Bezug auf die Rechtslage waren, hätten sie eine Zweifelsvorlage vor Gericht einreichen können“, sagt sie. Stattdessen habe die Behörde die zweite Instanz angerufen. Immerhin habe sich nach dem erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts im September die Situation in einer Hinsicht verbessert: Es gebe deutlich weniger Fälle, bei denen die Väter in den Geburtsurkunden fehlen.

Mustafa Öztürk, innenpolitischer Sprecher der Grünenfraktion, begrüßt die Entscheidung des Oberlandesgerichtes. Er hofft, dass Kinder afrikanischer Mütter nun schneller eine ordentliche Geburtsurkunde bekommen. Es etwas deutlicher wird Sofia Leonidakis von der Linksfraktion. Sie bedauert, „dass dies auf dem politischen Wege nicht möglich war“. Die Linke gehe davon aus, dass die Rechtsprechung jetzt Einzug in die Verwaltungspraxis findet.

Der Flüchtlingsrat vergleicht das Vorgehen des Standesamtes mit verdachtsunabhängigen Personenkontrollen von Schwarzen Menschen auf der Straße: „Mir sind Fälle bekannt, bei denen die Frauen schon aufgefordert wurden, die Echtheit ihrer Urkunden überprüfen zu lassen, bevor diese dem Standesamt überhaupt vorlagen,“ sagt Holger Dieckmann. „So ein Generalverdacht gegen Menschen mit nichtdeutschem Pass ist Racial Profiling – und das ist ihnen nicht bewusst.“

Behörde muss alte Akten prüfen

Die Standesämter versichern indessen, dass es um „Zweifel an Urkunden und nicht an Personen bestimmter Hautfarben“ gehe. Auf die Frage nach den Verdachtsmomenten, auf deren Grundlage die Standesämter den Frauen die Urkunden bisher verweigerten, gibt die Pressestelle des Innensenators keine Auskunft und verweist dabei auf den Datenschutz.

Die bereits ausgestellten Urkunden darf das Standesamt nicht einfach korrigieren, denn jede Änderung solcher Dokumente muss einzeln gerichtlich beschlossen werden. Da nun klar ist, dass die bisherige behördliche Praxis nicht rechtens war, müsste das Standesamt oder dessen Aufsicht selbstständig und systematisch die alten Akten überprüfen. Die Frage, ob das geschieht, hat die Behörde binnen einer Woche nicht beantwortet.

Auch die betroffenen Mütter können die Änderungen beantragen. „Das geht zwar auch ohne anwaltliche Hilfe, ist aber nicht gerade niedrigschwellig,“ stellt die Anwältin Meyer-Mews fest. „Ich vermute, es sind noch Hunderte Fälle in der Schwebe.“

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