Werder Bremen gegen Rechts: Die Utopie im Stadion

Nachdem vor 20 Jahren noch rechte Hooligans den Ton angaben, haben Werder-Ultras die Fankurve nazifrei gekämpft. Mit Rückendeckung des Vereins.

Ein BremenFan hält einen Schal hoch. darau fsteht "Werderfans gegen Rassismus"

Der erste Schritt soll nazifrei, der zweite Schritt diskriminierungsfrei sein Foto: Focke Strangmann/efe/epa

Immer wenn es angesichts des gesellschaftlichen Rechtsrucks heißt, dass es eine wehrhafte Demokratie brauche, gibt es auch Forderungen nach einer lebendigen Zivilgesellschaft, die sich dem rechten Kulturkampf und der politischen Landnahme entgegenstellt. In Bremen, wo Fußball einen hohen Stellenwert hat, es aber auch eine wache und eher linke Stadtgesellschaft gibt, zeigt sich im Stadion, wie das konkret aussehen kann. Denn in der Ostkurve des Weserstadions von Werder Bremen, wo die Ultras stehen, haben engagierte junge Fans vorgemacht, wie rechte Hegemonie gebrochen werden kann.

Bis heute hat Werder eine aktive politische Fanszene, die sich zum Großteil als antirassistisch definiert. Gilt anderswo noch immer in vielen Kurven und Ultra-Gruppen das Gebot des vermeintlich Unpolitischen – was nichts anderes bedeutet als achselzuckendes Ertragen von Alltagsrassismus mit Das-wird-man-ja-noch-sagen-dürfen-Attitüde – erntet man in der Ostkurve Widerworte.

Bremen stört nicht weiter – trotz seines schlechten Rufs. Eine Statistik, die Bremen als Schlusslicht ausweist, ist schnell gefunden. Irgendein Bildungsmonitor, ein Armutsranking, eine Kriminalitätsstatistik. Und auch noch das: Vier Jahre lang ist Bremen von einem rot-grün-roten Senat regiert worden. Die Aufregung um das bisschen Kommunismus im traditionell SPD-roten Bremen war schnell verklungen, als klar war, dass dieses in einem rein westdeutschen Bundesland einmalige Experiment ganz passabel funktioniert hat. Es taugt zum Hingucker.

So wie die ganze Stadt.

Zur Neuwahl der Bremer Bürgerschaft am 14. Mai schaut die taz daher in einem Dossier genau hin. Was macht das Lebensgefühl aus? Wieso ist Bremen die Raucherhauptstadt? Warum nochmal ist Bremerhaven wichtig? Und was macht Werder?

Alle Texte des Dossiers werden unter dem Link taz.de/bestofbremen gesammelt.

Das letzte Mal, als bekannte Neonazis sich vor über fünf Jahren offen ins Weserstadion trauten, kam es zu einer Massenschlägerei. Seitdem wurden die Rechten bei Spielen nicht mehr gesehen – die Symbole und Fahnen der offiziell aufgelösten Neonazi-Fangruppen „Standarte“ und „Nordsturm“ sind eh im Stadion verboten. Praktisch geächtet sind rechte Fangruppen spätestens seit einem Auswärtsspiel in Bochum 2008, als rechte Hools im Auswärtsblock ihr Banner entrollten und dann unter Polizeischutz und „Nazis raus“-Rufen die Kurve verlassen mussten. Kim* ist Teil der aktiven Fanszene und hat sich bereit erklärt, mit der taz über das Selbstverständnis der Fans zu sprechen.

Ein Schlüsselmoment sei damals der brutale Überfall von Neonazi-Hooligans auf eine Geburtstagsfeier der sich als links definierenden Ultragruppe Racaille Verte im Ostkurvensaal im Fanprojekt gewesen, sagt Kim. Der sei nach langem Einwirken der linken Ultras von Vereinsführung und Stadtgesellschaft eben nicht als unpolitische Auseinandersetzung zwischen Fußballfans abgetan worden, sondern als das, was er war: rechte Gewalt und hegemoniales Auftreten von Neonazis – mit dem Ziel, die jungen und politisch unliebsamen Ultras mundtot zu machen oder zu vertreiben.

Doch der Angriff bewirkte das Gegenteil: „Es war ein Booster. Alle mussten sich entscheiden: Will man sich zurückziehen oder im Gegenteil die politischen Aktivitäten erst richtig hochfahren.“ Die meisten entschieden sich für Letzteres. Danach konnten die Neonazis im Stadion nie mehr so richtig Fuß fassen.

Diskriminierungsfreie Kurve als zweiter Schritt

Kim sagt aber auch: „Sich eine nazifreie Kurve zu erkämpfen, ist nur ein erster Schritt. Der zweite Schritt ist, an einer diskriminierungsfreien Kurve als Utopie zu arbeiten – eine Kurve, in der sich alle wohlfühlen.“ Und das tun große Teile der Fanszene aus Sicht von Kim kontinuierlich und mit viel Engagement – vor allem auch von jüngeren Menschen, die auch nach der Pandemie verstärkt Teil der aktiven Fanszene geworden sind und dort einen sozialen Fixpunkt gefunden hätten.

So haben Fans zusammen mit dem Verein ein Awareness-Konzept erarbeitet. Seither können Betroffene zum Beispiel bei sexualisierten Übergriffen im Stadion an allen Ständen oder beim Sicherheitspersonal mit dem Code „Kennst du Mika?“ niedrigschwellig nach Hilfe fragen. Ebenso gibt es mittlerweile eine selbst organisierte juristische Fanhilfe, die bei Repressionen und unverhältnismäßigen Polizeimaßnahmen aktiv wird und sich für Fanrechte einsetzt.

In Bremen nennt sie sich in Anlehnung an die Rote Hilfe „Grün-Weiße Hilfe“ und ist per Fantelefon zu erreichen. Sie klagt auch gegen illegale Maßnahmen wie zuletzt im August in Wolfsburg, wo Fans ohne Rechtsgrundlage für Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen im Polizeikessel festgehalten wurden. Die Aufarbeitung zwang Boris Pistorius, damals noch Niedersachsens Innenminister, zu einer Entschuldigung.

Klub um Dialog bemüht

Aber was auch klar ist: Ohne Rückendeckung durch den Vorstand des Vereins und ein langjähriges Engagement des Fanprojekts wäre vieles wohl unmöglich gewesen. Und tatsächlich findet nicht nur der Vereinspräsident Hubertus Hess-Grunewald, dass es ein klarer Widerspruch sei, gleichzeitig AfD zu wählen und Werder gut zu finden.

Auch die Geschäftsführung ist um Dialog und einen Schulterschluss mit den Fans bemüht. Geschäftsführerin Anne-Kathrin Laufmann ist unter anderem für den Bereich Fankultur und Antidiskriminierung verantwortlich. Sie sagt der taz: „Wir stehen jedes Spiel über Fanbetreuer im direkten Kontakt mit den Fans und sprechen anlassbezogen auch direkt mit der Fanszene. Es ist wichtig für uns, einen Dialog zu führen, die Fans und ihre Argumente anzuhören. Auch wenn es vor allem bei den Themen Pyrotechnik und Kommerzialisierung durchaus viele Kontroversen gibt.“

Laufmann findet, dass Fußballvereine eine gesellschaftspolitische Verantwortung haben. Mittlerweile schule man standardmäßig Mitarbeitende zu sexualisierten Grenzüberschreitungen, Awareness-Themen und einem diskriminierungsfreien Stadionbesuch – vieles davon auch nach Impulsen aus der Fanszene. Hier und überall gelte noch immer, was der ehemalige Präsident und Vereinslegende Klaus-Dieter Fischer mal gesagt hat: „Das SV in SV Werder Bremen steht für soziale Verantwortung.“

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