OMR-Festival in Hamburg: Die Marketing-Fundamentalisten

Zum elften Mal pilgert die Marketing- und Digitalbranche nach Hamburg und huldigt liberalen Glaubenssätzen im progressiven Gewand.

Das Bild bildet eine der Messebühnen ab. Im Vordergrund ist das Publikum mit Blick auf die Bühne zu sehen. Im Hintergrund ist die Bühne mit drei großen Digitalwänden und zwei Personen auf der Bühne.

Kai Pflaume und OMR-Geschäftsführer Philipp Westermeyer begrüßen das Publikum Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | In der Hamburger Innenstadt macht sich aktuell eine radikale Glaubensgemeinschaft breit: 70.000 Unternehmer*innen, In­flu­en­ce­r*in­nen und Wer­be­r*in­nen treffen sich zum OMR-Festival in den Hamburger Messehallen. Gemeinsam wollen sie den Glauben an eine heilige Zukunft durch Fortschritt, Innovation und Technologieoffenheit in Hamburgs linken, mittlerweile jedoch zunehmend gentrifizierten Szenevierteln verbreiten.

Die Marketingmesse startete 2011 als Klüngel von 200 sogenannten Online Marketing Rockstars – eine Bezeichnung, von der sich die Festival-Veranstalter*innen aus Seriösitätsgründen mittlerweile zu lösen versuchen – in der Bucerius Law School. Mittlerweile haben sie ihren Wirkungskreis so stark gesteigert, dass sich die Mar­ke­ting­jün­ge­r*in­nen in den Hamburger Messehallen treffen.

Die Marketingmesse gleicht dabei den Megachurch-Events aus den USA: Ein oder mehrere Pre­di­ge­r*in­nen stehen auf gigantischen Bühnen und beten ihrer Anhängerschaft religiöse Glaubenssätze vor, bis diese ehrfürchtig zusammenbrechen – im Falle der OMR vor dem heiligen Geist des Liberalismus. Unter den rund 800 Bühnen-Speaker*innen ist in diesem Jahr auch Boris Becker, der bis vor Kurzem wegen vorgetäuschter Insolvenz im Gefängnis saß.

Die Zugehörigkeit zur religiösen OMR-Gemeinschaft löst bei den Be­su­che­r*in­nen so großen Stolz aus, dass sie ihre bunten Schlüsselbänder mit Ticket und Akkreditierung auch kilometerweit entfernt vom Veranstaltungsort um den Hals tragen, um zu zeigen: Ich gehöre zur Marketing-Avantgarde. So wirkt die liberale Botschaft auch weit außerhalb der Marketing-Pilgerstätte.

OMR-Festival als Heilsbringer

Diese Praxis wird durch zwei außenstehende Akteure zusätzlich gefördert: Regionale Medien hofieren das OMR-Festival durch ausgiebige Berichterstattung, und auch die Stadt fördert die Marketingmesse als Heilsbringer. So wurde für die diesjährige OMR-Ausgabe mit der Karolinenstraße die Sperrung einer Hauptverkehrsstraße für die Messe genehmigt. Die Stadt verspricht sich wohl davon, dass das OMR-Festival in Zukunft progressives Kapital heran bringt: Auch Bürgermeister Peter Tschentscher und Kultursenator Carsten Brosda (beide SPD) beehrten die Messe am Dienstag mit ihrer Anwesenheit.

Schon jetzt ist die OMR ein Garant für wirtschaftlichen Aufschwung: Jahr für Jahr geben umliegende Hotels trotz horrender Preise im Zeitraum des Festivals bekannt, restlos ausverkauft zu sein. Damit solche äußeren Faktoren die Marketingmesse in Zukunft nicht mehr begrenzen, überlegen die Ver­an­stal­te­r*in­nen, Glamping (also Glamourcamping) anzubieten und auf diese Weise noch mehr Mar­ke­ting­jün­ge­r*in­nen nach Hamburg zu ziehen.

Außerdem verspricht die OMR der Stadt ein weiteres Goodie, für das Hamburg dankbar in der Schuld steht, weil sie sich selbst nicht kümmern muss: Noch dieses Jahr wollen die OMR-Veranstalter*innen den Fernsehturm wieder für Be­su­che­r*in­nen öffnen. Ein weiterer Magnet für junge Menschen auf dem Weg in den Finanzhimmel? Auf jeden Fall muss man sich nicht über ein Viertel Erst­wäh­le­r*in­nen­stim­men an die FDP bei der letzten Bundestagswahl wundern.

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