Die Wahrheit: Irisches Latein

Die Sprache der Römer erhielt ihre schriftliche Form auf der Grünen Insel – kurz vor der Geburt des Autors, der mit ihr immer auf Kriegsfuß stand.

Irische Mönche haben Amerika im 6. Jahrhundert entdeckt, sie haben den Engländern das Lesen beigebracht, und die Welt verdankt ihnen Latein als Schriftsprache. Die Römer haben zwar Latein gesprochen, aber die geschriebene Form entstand in Irland. Dabei kamen die Römer nie nach Irland. Das war vielleicht ein Vorteil, sonst hätten die Iren der lateinischen Sprache ihren eigenen Stempel aufgedrückt, so, wie sie es mit Englisch getan haben, weshalb Touristen von der Nachbarinsel bisweilen hilflos nach Dolmetschern verlangen.

Einer der letzten irischen Lateinlehrer ist neulich in Rente gegangen. Der Mönch Christopher Dillon hatte 50 Jahre lang in der Glenstal Abbey in der irischen Grafschaft Limerick unterrichtet. Als er damals anfing, war Latein für Juristen und Mediziner Pflichtfach. Heutzutage wird die Sprache nur noch in einer Handvoll Privatschulen unterrichtet.

Latein sei eine präzise Sprache, sagt Dillon: „Im Englischen hingegen gibt es eine ungefähre Kommunikation, und das kann zu Missverständnissen und zum Konflikt führen. Vielleicht gibt es deshalb so viel Wut in der modernen Welt.“ Wer lateinische Texte studiere, lerne auch etwas über Sklaverei, Vergewaltigung und Krieg, sodass man sich über Rassismus und Sexualität unterhalten könne, behauptet der Mönch.

Das kann ich nicht bestätigen. Ich habe sieben Jahre lang das Fach Latein in der Berliner Rathenau-Schule belegt, aber mir ist lediglich im Gedächtnis geblieben, dass die Römer spinnen. Mein Lateinlehrer war Alkoholiker, er kam oft zu spät und hatte grandiose Ausreden. Einmal behauptete er, der Doppeldeckerbus sei einfach umgekippt. Ein anderes Mal erklärte er, sein Wecker sei immer eine Stunde vorgegangen. Er habe ihn am Vorabend auf die richtige Uhrzeit gestellt, das am nächsten Morgen aber vergessen.

Ich gehörte nicht zu seinen Lieblingsschülern. Er ließ mich gern nach dem Pausenklingeln schnell noch einen Satz übersetzen. Schnell ging nicht, was den Unmut der Klassenkameraden hervorrief, die dringend auf den Hof in die Raucherecke wollten. Bei den Klassenarbeiten konnte ich mich durchmogeln, denn es war auch eine Interpretation des Textes gefordert. Meine Übersetzungen waren hanebüchen, aber irgendwie reimte ich mir den Sinn zusammen.

Im Abitur gab es nur eine Übersetzung, keine Interpretation. Ich war aufgeschmissen und musste zwei Monate später zur Abi-Wiederholung antanzen. Die Zeit bis dahin verbrachte ich in Ortisei in Südtirol und studierte Sallusts „Verschwörung des Catilina“.

Vielleicht glaubten meine Eltern, dass mich die Umgebung inspirieren würde, denn Ladinisch ist dort eine der Amtssprachen. Das nützte mir jedoch nichts, denn beim Ladinischen handelt es sich um eine vulgärlateinische Sprachvariante, die mit Schullatein nichts zu tun hat. Eines aber habe ich in Italien gelernt: In vino veritas.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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