Erwerbstätige in Deutschland: Mehr Migration bringt uns voran

In Zeiten des Fachkräftemangels sollten wir froh sein über alle Migrant*innen, die sich nach Deutschland durchschlagen, sagt unsere Autorin.

Eine Pflegekraft schiebt einen Rollstuhl, Detailaufnahme

Die Hoffnung trügt, dass viele PflegerInnen darauf warten würden, in Deutschland anzuheuern Foto: Ute Grabowsky/photothek/imago

Schon lange ist klar, dass heute Erwerbsfähige fehlen. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) prognostizierte schon 2005 in einer Studie, dass die Zahl der Erwerbsfähigen ab 2020 sinkt und diese Lücke bis 2050 auf etwa 12,3 Millionen anwächst.

Bisher liegt das Institut richtig, und diese Treffsicherheit ist kein Wunder. Denn die Kinder, die heute arbeiten sollen, waren ja damals schon geboren. Ebenso war klar, dass der spärliche Nachwuchs nicht reichen würde, um die vielen Babyboomer zu ersetzen, die jetzt in Rente gehen.

In seiner damaligen Studie hat das IAB übrigens berücksichtigt, dass Deutschland schon seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland ist – und daher angenommen, dass jährlich etwa 200.000 Erwerbsfähige zuziehen. Trotzdem, so war die Prognose, würden 2050 etwa 12,3 Millionen Berufstätige fehlen.

Schon seit Jahren sind also zwei Fakten überdeutlich: Deutschland benötigt dringend Zuwanderung – und zugleich wird der Zuzug gar nicht reichen, um den Schwund an Erwerbsfähigen auszugleichen.

Um jeden Preis nach Deutschland?

Es ist daher etwas seltsam, dass Deutschland Flüchtlinge abwimmelt oder jahrelang nicht arbeiten lässt. Stattdessen sollte man eigentlich froh sein über jeden Migranten, der sich nach Deutschland durchschlägt. Doch in der Bundesrepublik hält sich die Fiktion, dass es nützliche und unnütze Migration geben könnte.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Eher unwillkommen sind Flüchtlinge, weil sie sich eigenmächtig auf den Weg machen. Sie sind nicht „angeworben“ worden, was den Verdacht nährt, sie könnten sich nicht in die deutsche Wirtschaft integrieren. Gewünscht sind hingegen „Fachkräfte“, die anderswo auf der Welt ausgebildet wurden und dann hier passgenau eingesetzt werden sollen.

Wie jedoch schon diverse Gesundheits- und Wirtschaftsminister feststellen mussten, trügt die Hoffnung, dass weltweit ganz viele PflegerInnen oder IT-Spezialisten händeringend darauf warten würden, in Deutschland anzuheuern. Es ist ein enormer Schritt, dauerhaft seine Heimat zu verlassen. Daher sollte man sich auf jene Menschen konzentrieren, die dazu bereit sind – also die Flüchtlinge.

Zuzug schließt die Lücken nicht

Es mag zynisch wirken, den ökonomischen Nutzen von Flüchtlingen hervorzuheben. Schließlich ist es ein Menschenrecht, sich anderswo in Sicherheit zu bringen, wenn zuhause Gefahr droht. Aber die Erfahrung zeigt, dass moralische Argumente kaum Wirkung zeigen. Sonst würden wir Menschen in Not bereitwilliger aufnehmen und schneller integrieren.

In der schnöden Realität nützt es auch den Flüchtlingen, an den ökonomischen Eigennutz der Deutschen zu appellieren.

Trotzdem bleibt das Problem, dass der Zuzug allein die Lücken auf dem Arbeitsmarkt gar nicht schließen kann. Also wird sich die Gesellschaft rigoros fragen müssen, welche Tätigkeiten gebraucht werden – und welche nicht. Diese Frage ist bisher nie gestellt worden, weil es immer genug Arbeitskräfte gab. Daher ist auch noch nicht klar, wie die Antwort ausfallen wird.

Aber die Corona-Zeit mag eine erste Orientierung bieten. Damals fiel auf, dass die „systemrelevanten“ Jobs nicht unbedingt jene sind, die viel Prestige genießen und weit oben in der Hierarchie angesiedelt sind. Gebraucht wurden stattdessen PflegerInnen, LKW-FahrerInnen und die Bediensteten im Supermarkt. Für viele Chefs und Akademiker war es keine schöne Erkenntnis, dass Selbstwahrnehmung und Bedeutung auseinanderklaffen könnten.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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