Eingeschränkte Bürgerbegehren: Breite Front gegen Demokratie-Abbau

Schleswig-Holsteins CDU und Grüne schränkten per Gesetz Bürgerentscheide und die Rechte kleinerer Parteien ein. FDP und SSW klagen nun dagegen.

Bus mit einem Plakat "Flensburg fossil-frei bis 2030"

Soll nicht mehr durch Schleswig-Holstein tuckern: Omnibus für direkte Demokratie in Flensburg Foto: Willi Schewski/Imago

RENDSBURG taz | Unter dem Motto „Rettet den Bürgerentscheid“ sammelt seit Mitte April eine Volksinitiative in Schleswig-Holstein Unterschriften gegen ein neues Gesetz, mit dem die Landesregierung aus CDU und Grünen die Regeln für die direkte Demokratie verschärft und die Rechte von kleineren Parteien und Wählergemeinschaften in den Kommunen schmälert.

Als weiterer Baustein in der Mauer gegen das „Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften“ kommt nun eine Klage dazu, die die Fraktionen von FPD und Südschleswigschem Wählerverbands (SSW) beim Landesverfassungsgericht einreichen wollen. Eine erste Entscheidung könnte schon vor der anstehenden Kommunalwahl fallen.

Mitte Mai stimmen die Wahlberechtigten im Norden über ihre Gemeinderäte, Stadtversammlungen und Kreistage ab. Wie die Kommunalparlamente künftig zusammenarbeiten und ob die Bür­ge­r*in­nen per Volksentscheid mitbestimmen dürfen, wird künftig von einem Gesetz bestimmt, das die schwarz-grüne Regierungsmehrheit im März beschlossen hat.

Die neue Regel setzt die Größe für Fraktionen herauf, was die Arbeit für kleinere Parteien erschwert, da der Fraktionsstatus einige Rechte mit sich bringt. Zudem soll es keine Bürgerbegehren zu Bauleitplanungen mehr geben, die mit Zwei-Drittel-Mehrheit von der Kommunalvertretung beschlossen wurden.

Regierung will Klimaprojekte beschleunigen

Damit stelle die Regierung „das Funktionieren der Kommunalvertretungen in den Mittelpunkt“, sagte Thomas Jepsen (CDU) im Landtag. Die Grünen tun sich schwerer mit der Regelung, stehen aber dazu: Es gehe darum, etwa bei Klimaprojekten „schneller zu werden“, sagte der Landtagsabgeordnete Jan Kürschner.

Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) erinnerte in der Landtagsdebatte an die ausführlichen Beratungen, in deren Verlauf einiges geändert und abgeschwächt wurde. So sei die Regierung bei der Frage der Fraktionsgröße den kommunalen Verbänden gefolgt. „Das Gesetz ist in der Gesamtschau ausgewogen“, so Sütterlin-Waack.

Die Opposition sieht dagegen einen „fatalen Demokratieabbau“, so Christoph Vogt (FDP). Die Liberalen und der SSW haben daher Klage beim Landesverfassungsgericht in Schleswig eingereicht. Das Gesetz führe eben nicht zu mehr Geschwindigkeit, sondern zu „mehr politischer Fragmentierung, zu mehr fraktionslosen Mandatsträgern und zu erhöhtem Beratungs- und Koordinationsbedarf“, befürchtet Lars Harms (SSW).

Das Verfahren wird wahrscheinlich erst zum Jahresende entschieden, aber der Verwaltungsrechtler Moritz von ­Rochow, der die Fraktionen vertritt, rechnet angesichts der bevorstehenden Kommunalwahl mit einer vorläufigen Eil-Entscheidung des Gerichts. Denn: „Alle Entscheidungen nach der Wahl stehen unter dem Damokles-Schwert der Nichtigkeit.“

Eil-Entscheidung erwartet

Falls nämlich das Gericht das Gesetz aufhebt, könnten davon Betroffene, also Klein-Parteien ebenso wie Bürger*innen, gegen Beschlüsse ihrer Kommunalparlamente vorgehen. Dass die Klage so knapp vor der Wahl erfolgt, sei nicht die Schuld von FDP und SSW, betont Harms: „Nicht wir, sondern CDU und Grüne waren spät dran. Wir wehren uns nur.“

Die größte Oppositionspartei im Landtag, die SPD, klagt nicht mit. Geredet hätten die Fraktionen durchaus darüber, sagt Harms. Doch bei dem Punkt der Fraktionsgröße habe die SPD nicht mitgezogen. Das bestätigt Kai Dolgner (SPD). Die SPD teile aber die Kritik weitgehend: „Es dürfte niemanden überraschen, dass wir SSW und FDP viel Erfolg bei ihrer Klage wünschen“, so Dolgner.

Beteiligt sind die Sozialdemokraten an einem Volksentscheid, den der Verein „Mehr Demokratie“ ins Leben gerufen hat. Unter dem Motto „Rettet den Bürgerentscheid“ sammelt ein Bündnis aus Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen Unterschriften gegen das neue Gesetz. Erstunterzeichnerin und Vertrauensperson ist die SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli.

„Die Landesregierung hat ohne Not und gegen jede Vernunft die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger beschnitten. Deshalb müssen wir jetzt diesen Weg gehen. Und wir sind viele!“, sagte sie nach ihrer Unterschrift im Kieler Rathaus.

Nicht nur auf Landesebene formiert sich der Widerstand, sondern auch die Kommunen selbst haben Probleme mit der neuen Regelung. Der Kreistag in Plön beschloss bei seiner Sitzung im April mit klarer Mehrheit eine Resolution, in der das Land aufgefordert wird, den Beschluss rückgängig zu machen. Eine „denkwürdige“ Sitzung sei das gewesen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Linken-Fraktion und der Fraktion der lokalen Wählergemeinschaft „Gemeinsam vor Ort“, die die Resolution einbrachten.

„Der Kreistag Plön wendet sich gegen die im Schleswig-Holsteinischen Landtag beschlossene Einschränkung der Mitwirkungsrechte kleinerer Parteien und Wählergemeinschaften und den Abbau der direkten Demokratie“, heißt es im Antrag, für den am Ende ein Bündnis von Linken über SPD bis FDP zustimmte. Die CDU stimmte dagegen, die Grünen im Kreistag enthielten sich. „Ihnen scheint mit dem, was da seitens der Grünen in der Landesregierung vertreten wird, nicht wohl zu sein“, heißt es in der Pressemitteilung von Wählergemeinschaft und Linken.

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