Gewalt gegen Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen: Grenzen der Notwehr ungeklärt

Wer mit Gewalt gegen Straßenblockierern:in­nen vorgeht, muss mit polizeilichen Ermittlungen rechnen. Einen Freibrief für „Notwehr“ gibt es nicht.

München: Klimaaktivisten haben sich am Karlsplatz in der Innenstadt auf die Fahrbahn geklebt und blockieren die Straße. Seit dem Sommer machen Klimaaktivisten mit drastischen Aktionen Schlagzeilen.

Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen haben sich am Karlsplatz in München auf die Fahrbahn geklebt Foto: Foto: Lennart Preiss/dpa

FREIBURG taz | In den kommenden Tagen sollen in Berlin wieder massive Blockaden der Kli­ma­schüt­ze­r:in­nen von Extinction Rebellion und Letzte Generation stattfinden. Letztere wollen die „Stadt zum Stillstand bringen“ und „so viele Straßenblockaden wie möglich“ durchführen. Zu befürchten ist, dass sich auch Au­to­fah­re­r:in­nen zunehmend radikalisieren.

Schon jetzt werden Blockierende regelmäßig bedroht, von den Straßen gezerrt oder gar getreten. Anerkannte Rechts­pro­fes­so­r:in­nen wie Elisa Hoven und Eric Hilgendorf halten diese Form der Selbsthilfe sogar für rechtmäßig, denn es handele sich um Notwehr gegen rechtswidrige Angriffe auf die Freiheit der Autofahrer:innen.

Tatsächlich werden die Straßenblockaden der Letzten Generation von den Gerichten fast immer als rechtswidrige Nötigung eingestuft. Ein Freibrief für Notwehr ist das allerdings nicht. So geht die Berliner Staatsanwaltschaft davon aus, dass beim Vorgehen von Au­to­fah­re­r:in­nen gegen Blockierende in der Regel keine Notwehr vorliegt. Es sei zumutbar, auf ein zeitnahes Eintreffen der Polizei zu warten, so Staatsanwältin Karen Sommer. Ausnahmen gälten nur, bei „besonders dringenden“ Fahrten. Das könnte etwa dann der Fall sein, wenn bei einer Schwangeren die Wehen eingesetzt haben. Dass jemand zu spät zur Arbeit komme, rechtfertige dagegen keine Notwehr, erklärt Sommer.

Die Berliner Linie ist relevant, denn nirgends finden so viele Klimablockaden statt wie in der Hauptstadt. Bis Mitte Februar gab es in Berlin schon über 1.300 Ermittlungsverfahren gegen Blockierende und auch „einige“ Verfahren gegen Autofahrer:innen.

Bundesweit zahlreiche Verfahren

In anderen großen Städten gibt es keine so eindeutige Linie wie in Berlin, dort betrachtet man jeweils den Einzelfall. Doch auch dort gibt es vereinzelt bereits Ermittlungsverfahren wegen Gewalt gegen Blockierende. So wird in Hamburg gegen einen 41-jährigen LKW-Fahrer ermittelt, der Ende März bei der Blockade einer Elbbrücke ausgerastet war. Er schleifte einen Blockierer nicht nur von der Straße, sondern trat ihn auch in den Bauch. In Leipzig läuft ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung gegen einen Autofahrer, der am 8. März einer Frau über den Fuß fuhr, als er durch eine Gruppe noch stehender Aktivistinnen fuhr.

In München gab es nach einem Vorfall im Mai 2022 zwei Ermittlungsverfahren. Dort hatten Autofahrer Blockierende von der Straße gezerrt, einer der Männer soll dabei sogar mit einem Schlagstock gedroht haben. Dagegen sind in anderen größeren Städten wie Köln, Frankfurt/M. und Freiburg noch keine Verfahren bekannt.

Bedingung schwer zu erfüllen

Noch aber gab es – soweit ersichtlich – keine Gerichtsentscheidungen zu solchen Vorfällen, also weder Verurteilungen noch Freisprüche. Wo in solchen Fällen die Grenzen der Notwehr verlaufen, ist also noch offen.

Interessant ist vor allem, ob die Gerichte den Verweis der Berliner Staatsanwaltschaft akzeptieren, man solle auf das Eintreffen der Polizei warten. Zwar hat auch der Bundesgerichtshof 2021 Notwehr für unzulässig gehalten, wenn man (im Fall einer Erpressung) auch die Polizei rufen kann – allerdings nur, wenn dies nicht zu einer Verschlechterung der eigenen Position führt. Diese Bedingung ist jedoch schwer zu erfüllen. Denn das Loslösen von angeklebten Blockierenden mit Speiseöl dauert rund 15 bis 45 Minuten. Brutale Selbsthilfe ist deutlich schneller.

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