Letzter Tag der deutschen Atom-Ära: „Schwarzer Tag für Deutschland“

Am Samstag werden die letzten drei Atomkraftwerke abgeschaltet. Die einen feiern, während Union und manche Wissenschaftler den Ausstieg kritisieren.

Ein Kühlturm wird gesprengt

Unwiederbringlich abgeschaltetes AKW: Sprengung des Kühlturms in Biblis im Februar Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

BERLIN dpa/taz | Für sie ist der Samstag ein Feiertag: Zahlreiche Anti-Atomkraftbürgerinitiativen bereiten sich auf die bevorstehende Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke vor. In der Nähe des AKW Emsland im niedersächsischen Lingen wollen etwa das Bündnis Atomkraftgegner_innen im Emsland (AgiEL) und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz demonstrieren.

Sie haben lange für den Atomausstieg gekämpft. Wunschlos glücklich sind sie aber nicht: Die örtliche Brennelementefabrik würden sie auch gern stillgelegt sehen. Diese darf trotz Atomausstieg weiterlaufen und AKW in anderen Ländern beliefern.

Neben dem AKW Emsland stehen die Anlagen Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg sowie Isar 2 in Bayern vor dem Aus. Derweil ist die Stimmung in Deutschland gemischt. Eine Mehrheit der Deutschen steht dem am Samstag geplanten Atomausstieg laut Umfragen kritisch gegenüber. Mit 59 Prozent hält mehr als die Hälfte die Entscheidung der Politik für falsch, lediglich rund ein Drittel für richtig, wie die Befragung Deutschlandtrend für das ARD-“Morgenmagazin“ ergab.

Kurz nach der Atom-Katastrophe im japanischen Fukushima im Jahr 2011 war es ungefähr andersherum gewesen. Damals hatte der Deutschlandtrend eine Mehrheit von 53 Prozent für einen raschen Atomausstieg ergeben, bei 43 Prozent dagegen. Das ZDF-Politbarometer kam damals sogar auf 60 Prozent für einen schnellstmöglichen Atomausstieg.

Junge Menschen sind für den Atomausstieg

Unter den jungen Menschen, nämlich in der Gruppe der 18- bis 34-Jährigen, gibt es auch heute noch überwiegende Zustimmung für den Atomausstieg. Mit den Problemen, die auf diese Generation noch zukommen, begründet auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke, warum sie den Schritt für richtig hält.

„Vor uns liegen nun einerseits Jahrzehnte voller Herausforderungen, bis wir die atomaren Hinterlassenschaften sicher und verantwortbar beseitigt haben“, sagte die Grünen-Politikerin. Nach wie vor gibt es keinen Standort für ein Endlager, in dem hochradioaktiver Atommüll gelagert werden kann. Die bisherigen Endlager für leicht und mittel radioaktiven Atommüll sind marode. 2027 soll ein neues in Betrieb gehen. „Der Atomausstieg macht unser Land sicherer, die Risiken der Atomkraft sind letztlich unbeherrschbar“, resümierte Lemke.

Das sieht CDU-Chef Friedrich Merz anders. Er nannte den Samstag gegenüber dem Sender NDR Info einen „schwarzen Tag für Deutschland“. Auch der CSU-Vorsitzende Markus Söder übte erneut scharfe Kritik. „Das ist ein ganz trauriges Kapitel deutscher Energiepolitik“, sagte er in der Sendung Frühstart von RTL/ntv.

Söder argumentierte damit, Deutschland solle auf eine Diversifizierung der Energieversorgung setzen, um auf Energiekrisen besser reagieren zu können. Außerdem seien AKW klimafreundlich.

Wis­sen­schaft­le­r:in­nen schreiben offenen Brief

So argumentieren auch einige Wis­sen­schaft­le­r:in­nen in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), den sie auf der Website der Organisation Replanet DACH veröffentlichten. Mit dabei sind etwa der US-amerikanische Klimaforscher James Hansen, der deutsche Physik-Nobelpreisträger Klaus von Kitzing. Die Gruppe fordert den Weiterbetrieb der AKW aus Klima-Gründen.

Dabei überschätze sie aber den CO2-Einspareffekt, den die drei Anlagen hätten, kritisierte etwa der Klimapolitikwissenschaftler Niklas Höhne auf Twitter. Der methodische Fehler: Die Ver­tre­te­r:in­nen des offenen Briefs würden davon ausgehen, dass die AKW ausschließlich die klimaschädlichen Kohlekraftwerke ersetzen würden – und nicht etwa auch klimafreundlichen Windstrom.

Im vergangenen Jahr stammte fast die Hälfte des in Deutschland produzierten Stroms aus erneuerbaren Quellen. Es könnte jedoch mehr sein. Wenn die Stromnetze überlastet sind, müssen immer wieder Windräder und teils auch Solaranlagen abgestellt werden. Kohle- und Atomkraftwerke können nicht so schnell runter- und hochgefahren werden und sind deshalb weniger flexibel einsetzbar.

Eine am Freitag vorgestellte Studie des Analyse-Instituts Enervis im Auftrag des Umweltverbands Greenpeace und des Ökostromunternehmens Greenpeace Energy legt auch nahe, dass der positive Klimaeffekt der drei AKW eher marginal ist. Die Ana­lys­t:in­nen haben untersucht, wie es sich ausgewirkt hat, dass die Anlagen erst jetzt vom Netz gehen anstatt wie ursprünglich angedacht Ende 2022.

Das Ergebnis: Die Laufzeitverlängerung führte zu einer Einsparung von 1,5 Millionen Tonnen CO2. Zum Vergleich: Das entspricht 0,2 Prozent der deutschen Emissionen aus dem vergangenen Jahr. Auch für die Versorgungssicherheit seien die AKW während ihres Streckbetriebs zu keinem Zeitpunkt entscheidend gewesen.

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