Gewalt gegen Geflüchtete in Tunesien: Menschen ins Meer gejagt

Mit Hetzjagden begann im Februar die Gewalt gegen Geflüchtete. Nun löst die Polizei Geflüchtetenlager vor UN-Gebäuden in Tunis auf.

Erwachsene und Kinder mit Gepäck auf einer Straße

Mi­gran­t:in­nen verlassen ein Camp vor dem Gebäude der UNHCR in Tunis am 11. April Foto: Hassene Dridi/ap

TUNIS taz | Mit Tränengas und Schlagstöcken haben Polizisten in der tunesischen Hauptstadt am Dienstag den Protest von mehreren Hundert Mi­gran­ten aus Subsahara-Afrika aufgelöst. Vor dem Gebäude des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR im Büroviertel Lac 1 hatten die in den letzten Wochen vertriebenen Menschen in Zelten und auf Decken im Freien übernachtet.

Es war die jüngste Eskalation in der Krise, die mit einer Rede von Präsident Kais Saied am 21. Februar begonnen hatte. Die illegal im Land lebenden Mi­gran­ten aus afrikanischen Ländern – über 50.000 Menschen aus West-und Zentralafrika – seien Teil einer Verschwörung gegen Tunesien, so Said.

Saieds Rede führte zu einer Verhaftungswelle. Die meisten Migranten hatten zwar Arbeit und Unterkunft, aber keinen offiziellen Aufenthaltsstatus. Seit der Ausreisewelle junger Tunesier nach Europa suchen viele Restaurant- und Cafébesitzer händeringend Service- oder Reinigungskräfte. Die Mi­gran­ten akzeptierten anders als viele Tunesier Bezahlung unter Mindestlohnniveau.

Nachdem die Polizei sogar an Universitäten eingeschriebene Studenten allein aufgrund ihrer Hautfarbe von der Straße verschleppte und in Abschiebehaft brachte, suchten immer mehr Menschen Schutz bei den Vereinten Nationen. Vor den Mauern der Bürogelände der Organisation für Migration (IOM) und des UNHCR sammelten sich Migranten, die von Mobs aus ihren Wohnvierteln vertrieben oder von ihren Vermietern rausgeworfen wurden.

„In der anhaltenden Wirtschaftskrise waren Migranten ein willkommener Sündenbock“, sagt Asma Moussa, die Besitzerin eines Restaurants in der Menza 5, einem Stadtteil von Tunis. „In den letzten Tagen schien sich die Lage zu normalisieren, einige meiner Angestellten trauten sich wieder zurück zur Arbeit.“

Die Lage schien sich zu beruhigen, nachdem die Regierungen der Elfenbeinküste, Guineas und anderer Länder Staatsbürger aus Tunesien ausgeflogen hatten. Wegen der überfüllten Gefängnisse stellte die Polizei die Verhaftungen ein, immer mehr Menschen aus Subsahara-Afrika trauten sich wieder auf die Straße. Private Initiativen versorgen diejenigen, die sich aus Angst vor Übergriffen zu Hause verschanzen.

Mit dem Tränen­gas­ein­satz vom Dienstag scheint eine Kompromisslösung nun wieder in weiter Ferne. UNHCR und IOM verhandeln mit der Regierung bisher erfolglos über Übergangsfristen und Legalisierung für die Migranten, die aus Kriegsgebieten kommen oder aus anderen Gründen nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Weil Tunesien keine Asylgesetzgebung hat, gibt es für Schutzsuchende nur Ausweise des UNHCR, die Tunesien nicht anerkennt.

Die sture Forderung der Behörden, von allen Migranten die nach drei Monaten fällige Strafgebühr für die Überziehung des Dreimonatsvisums zu verlangen, treibt viele in die Schmugglerboote nach Italien. Denn wer nach mehreren Jahren Arbeit in Tunesien zurück in die Heimat fliegen will, muss sonst neben dem Flugticket auch bis zu 4.000 Euro Strafe zahlen. Ein Platz auf einem Boot nach Italien ist dagegen derzeit bereits für umgerechnet 1.000 Euro zu haben.

Kanneh versteckt sich bei Freunden

Die Migranten vor dem UN-Gebäude sehen in dem Polizeieinsatz vom Dienstag die Aufforderung, Tunesien schleunigst zu verlassen. „Bis gestern hatte ich noch gehofft, meinen Job in einer Autowerkstatt wieder beginnen zu können“, sagt Youssuf Kanneh aus Liberia. Sein Schlafsack und Zelt wurden am Dienstag zusammen mit dem Hab und Gut der anderen zum UNHCR Geflüchteten von städtischen Angestellten unter Polizeischutz abtransportiert. Nun versteckt sich Kanneh bei Freunden.

Kioskbesitzer Haikel Hamrouni inspiziert die Schäden der Auseinandersetzung. Sein Laden befindet sich direkt gegenüber dem UNHCR-Gebäude in Lac 1. Bei der Flucht vor der Polizei warfen einige Migranten Steine auf vorbeifahrende und parkende Autos. Das von Hamrouni aufgenommene Handyvideo vom Polizeieinsatz und von kaputten Autoscheiben wurde auf sozialen Medien im ganzen Land tausendfach geteilt. Am Abend waren die Sachbeschädigungen der Migranten Hauptthema in den Nachrichtensendungen.

„Ich weiß nicht, warum in den letzten Monaten immer mehr Migranten kamen“, sagt Hamrouni. „Mitten in der Wirtschaftskrise hätte die Politik schnell reagieren müssen, um die Lage zu entschärfen. Eigentlich hatte niemand hier etwas gegen die Migranten. Aber mit den zerbrochenen Autoscheiben ist jetzt viel mehr als nur Glas kaputtgegangen.“

Der Liberianer Youssef Kanneh will sich wie viele seiner Landsleute nun auf den Weg in die Hafenstadt Sfax machen. Mit dem besser werdenden Wetter hofft er auf einen Platz in einem Boot nach Sizilien.

Diese Überfahrt bleibt lebensgefährlich. Am Mittwoch meldete die tunesische Küstenwache, sie habe zehn ertrunkene Flüchtlinge vor Sfax geborgen und 72 gerettet. 20 bis 30 werden nach Angaben der lokalen Behörden noch vermisst. Ende März waren 29 ertrunkene Migranten aus afrikanischen Ländern aus dem Meer geborgen worden, Ende vergangener Woche erneut 27.

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