Dokumentarfilmwoche in Hamburg: Von Privilegien und Rassismus

Bei der 20. Dokumentarfilmwoche stehen die Fallstricke beim Umgang mit Kolonialismus und bei der Repräsentation von Sin­ti*z­ze und Rom*­nja im Fokus.

Eine Gruppe jungr Menschen in blauen T-Shirts

Opfer der NS-Mordmaschinerie: Sin­ti*z­ze und Rom*­nja besuchen Auschwitz-Birkenau, 2. August 2021 Foto: Rainer Komers/Strandfilm

„Die beste Kritik an einem Film“, hat der Regisseur Jean-Luc Godard gesagt, „besteht darin, selbst einen Film zu machen!“ Bernadette Vivuya und Kagoma Ya Twahirwa haben sich das Bonmot zu Herzen genommen, könnte man sagen: Mit der Dokumentation „Stop Filming Us But Listen“ haben die kongolesischen Re­gis­seu­r*in­nen eine Antwort gedreht auf den Film „Stop Filming Us“.

„Stop Filming Us“ hieß 2020 ein Film des Niederländers Joris Postema, der mit einem europäischen Team ein Porträt der Kunst- und Filmszene im Kongo drehen wollte. Der Dreh stieß damals auf Widerstand: Etliche kongolesische Künst­le­r*in­nen stießen sich am offenbar nicht zu vermeidenden postkolonial-europäischen Blick auf Afrika. Also machte Postema einen Film über genau diesen Konflikt; er stellte also seine eigene Position, die Privilegien eines westeuropäischen Filmemachers, infrage.

Der Film lief vor zwei Jahren auf der Hamburger Dokumentarfilmwoche und wurde eingehend diskutiert. Denn bei allem guten Willen Postemas blieb das zentrale Problem ja bestehen: Den Film drehten durchweg weiße Europäer*innen. Wiederum auf dem am Montag beginnenden Festival zu sehen ist nun also „Stop Filming Us But Listen“, ein Gegenentwurf oder besser: eine Ergänzung. Bernadette Vivuya und Kagoma Ya Twahirwa vom Kulturzentrum Yolé!Africa in Goma haben zum Teil eigene Aufnahmen gedreht, aber auch Teile von Postemas Film neu montiert.

Zunächst schildert Vivuya, was sie eigentlich vorgehabt hatte: Sie wollte von einer kongolesischen Frau erzählen, die nach Belgien reist, die einstige Kolonialmacht. Dort allerdings bekam sie keine Fördergelder bewilligt, ihr Film blieb bloßes Konzept. Nochmals also führt sie die Asymmetrie vor zwischen afrikanischen und europäischen Fil­me­ma­che­r*in­nen.

20. Dokumentarfilmwoche Hamburg: 24.– 30. 4., div. Kinos; Eröffnung mit Film „Eigentlich eigentlich Januar“: heute, 20 Uhr, Metropolis.

Ausstellung „Die fünfte Wand. Navina Sundaram – Innenansichten einer Außenseiterin oder Außenansichten einer Innenseiterin“: bis 30. 4., Festivalzentrum, fux, Zeiseweg 9.

Das ganze Programm und alle Infos: www.dokfilmwoche.com

Wenn es in „Stop Filming Us But Listen“ nicht gelingt, einen ganz anderen, „afrikanischen“ Blickwinkel einzunehmen, ist dies wohl auch dem Mangel an Ressourcen geschuldet. Wie groß oder klein die Unterschiede auf der Bildebene sind, davon können Fes­ti­val­be­su­che­r*in­nen sich selbst überzeugen: Sowohl Postemas als auch Vivuya/Twahirwas Film sind dort nun zu sehen.

Auch von den in Deutschland lebenden Sin­ti*z­ze und Rom*­nja gibt es so gut wie keine überzeugenden filmischen Selbstzeugnisse – was als zu vernachlässigen erscheinen könnte angesichts der in anderer, handfester Hinsicht prekären Verhältnisse, unter denen vielen von ihnen bis heute in Deutschland leben. So war es der deutsche Schauspieler und Dokumentarfilmer Peter Nestler, der im Jahr 2022 gleich zwei Filme über die Geschichte der Minderheit gedreht hat: „Unrecht und Widerstand – Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung“ hat gerade den Grimme-Preis im Wettbewerb „Information & Kultur“ gewonnen; wie auch Nestlers anderer Film „Der offene Blick – Künstlerinnen und Künstler der Sinti und Roma“ ist er in der 3sat-Mediathek zu sehen.

„Unrecht und Widerstand“ ist ein Porträt des Vorsitzenden des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, der gleich 13 Verwandte durch die nationalsozialistische Mordmaschinerie verlor. Konsequent kämpft er dafür, dass die Bundesrepublik diesen Genozid endlich anerkennt: Mehr als 500.000 Sin­ti*z­ze und Rom*­nja wurden im „Dritten Reich“ ermordet, die Überlebenden und ihre Nachkommen werden auch heute noch diskriminiert. Ein blinder Fleck der – so gerne stolz ausgestellten – deutschen „Vergangenheitsbewältigung“.

Im Film gibt Romani Rose Beispiele für diesen strukturellen Rassismus, wenn er etwa schildert, dass in den Behörden eine Zeit lang für Sinti und Roma der Begriff „mobile ethnische Minderheit“ verwendet wurde – vor gar nicht langer Zeit hätte das vielleicht „fahrendes Volk“ geheißen. Nestler lässt Auschwitz-Überlebende zu Wort kommen und erzählt, wie etwa die „Rasseforscherin“ Eva Justin in der jungen Bundesrepublik unbehelligt Karriere machen konnte. Rassismus live im Fernsehen demonstriert ein Ausschnitt aus der Radio-Bremen-Talkshow „3 nach 9“: Da beschimpfte im Jahr 1983 der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle (CSU) Rose als einen „impertinenten Lackel“.

Einst Pionierarbeit, heute selbst problematisch

In seinem zweiten Film „Der offene Blick“ stellt Nestler eine Reihe von Künst­le­r*in­nen vor, die in Texten, Bildern und Liedern ihr Lebensgefühl ausdrücken. Interessant ist dabei auch ein kleiner Exkurs der Filmwissenschaftlerin Radmila Mladenova zu antiziganistischen Klischees in der Filmgeschichte, der bis zu den Stummfilmen von D. W. Griffith zurückreicht. Nestler selbst vermeidet es, in eine naheliegende Klischeefalle zu tappen: Die Volksmusik, für die Sin­ti*z­ze und Rom*­nja in der Populärkultur bekannt sind, lässt er ausschließlich im Kontext eines klassischen Konzerts der „Roma und Sinti Philharmoniker“ erklingen.

In Hamburg laufen beide Filme in der Reihe „Sinti*zze und Rom*­nja im Dokumentarfilm“. Der Titel weist hin auf eine bewegte Geschichte schon auf der begrifflichen Ebene: Konnte Peter Nestler 1970 einen seiner frühen Dokumentarfilme noch wie selbstverständlich „Zigeuner sein“ nennen, wird dieses „Z-Wort“ heute als hochproblematisch angesehen. Im Programm findet sich nun auch eine Dokumentation aus dem Jahr 1980 – damals betitelt: „Zigeuner in Duisburg“ – die Festivalver­an­stal­te­r*in­nen erklären wie zur Sicherheit: „Der Filmtitel und die Ausführungen im Film selbst sind ein historisches Dokument.“

Dass Rainer Komers’ Film dennoch gezeigt wird, hat aber einen Grund: Die krude in Schwarz-Weiß gedrehte Videoproduktion gilt als einer der ersten deutschen Filme, in denen die Betroffenen selbst vor der Kamera über ihre Situation sprechen, in diesem Fall: Wie sie in Duisburg systematisch aus ihrem Lebensräumen vertrieben werden. Dass Titel und teils auch der gesprochene Kommentar von heute aus gelinde gesagt befremdlich wirken, ist ja im Grunde ein gutes Zeichen.

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