Restdörfer am rheinischen Kohlerevier: Gerettet, aber noch keine Zukunft

In den von den Baggern verschonten Orten im rheinischen Braunkohlerevier wächst die Verzweiflung. Lützerath ist weg – und plötzlich brennt eine Kirche.

Brennende Kirche in Morschenich

Das Herz des Ortes getroffen: Brennende Kirche in Morschenich Foto: dpa

AACHEN taz | Lützerath ist längst geschleift. Wo bis Mitte Januar noch Häuser standen und Menschen wohnten, klafft ein tiefes Loch. Die Braunkohlebagger haben mittlerweile auch das Gelände der Demonstration vom 14. Januar gefressen – und graben sich nun rund um die Uhr weiter westwärts.

Derweil wachsen in den vor den Baggern „geretteten“ Nachbardörfern am Tagebaugebiet Garzweiler Unruhe und Verzweiflung. Die Orte verrotten. Was dort wird, weiß noch niemand. Aber die Ahnungen sind düster. Viel ist von Industrie die Rede, von Technologieparks, neuer Infrastruktur. Alles umrahmt von gigantischen Kunstseen in 50 oder 60 Jahren, mit hergepumptem Rheinwasser.

Im vergangenen Herbst hatten Politik und der Energiekonzern RWE einen vorgezogenen Kohleausstieg für die Region vereinbart. Fünf zur Stadt Erkelenz gehörende Dörfer sollen danach erhalten werden.

Aber wie? Ideen von Klimaorganisationen, den BewohnerInnen und dem Diözesanrat im Bistum Aachen sind unbeachtet verhallt. Der katholische Verband spricht inzwischen von „simulierter Demokratie“, weil Planungen intransparent ohne ernsthafte Beteiligung der Zivilgesellschaft ablaufen würden.

„Ein Ort der Zukunft“

Auch Morschenich, 20 Kilometer südlich am Tagebau Hambach, bleibt erhalten. Aber auch hier sind die meisten Menschen weggezogen, die Häuser verfallen. Die Pfarrkirche St. Lambertus, 2019 entwidmet, stand immer wie ein Mahnmal mitten Ort. In der Nacht zum vergangenen Montag ist sie lichterloh niedergebrannt. Der CDU-Bürgermeister, der hier, durchaus engagiert, einen „Ort der Zukunft“ bauen will mit ökologischen Projekten und wissenschaftlichen Forschungsstellen, sprach von einem „Treffer mitten ins Herz“.

Sofort gab es Spekulationen. Hatte sich ein vergessener Hostienvorrat in der Sakristei selbst entzündet? War es Brandstiftung? Bekiffte Jugendliche? Hat etwa die Käuferin RWE Power das Symbol zerstört? Laut Polizei sind wegen der großen Hitze alle Spuren vernichtet. Vermutlich werde man die Ursache nie finden.

Ähnlich war es vor drei Jahren bei der Westricher Mühle, gebaut 1660, samt prächtigem altem Vierkanthof. Das Gehöft nahe dem heutigen Ex-Lützerath war nächtens ebenfalls komplett niedergebrannt. Der Grund, so die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach zur taz, sei unklar, wohl aber sei laut Polizeiakten „Brandstiftung wahrscheinlich“.

RWE denkt nicht an Verkauf

Direkt nebenan in Keyenberg haben Klaus E. und Familie ihr Haus 2019 verkauft und sind 15 Kilometer entfernt nach Mönchengladbach gezogen. Derzeit leben in Keyenberg nicht mal 150 Menschen, vor sieben Jahren waren es noch über 800. E. hat immer gesagt, falls der Ort doch bleibe, wolle man zurückkaufen. Die Vereinbarung mit RWE sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor, das Ziel: Dörferwiederbelebung. Aber RWE denkt nicht an Verkauf. E. sagt, er habe auch sonst kaum wen gefunden, der zurückwill in sein fast völlig entsiedeltes Heimatdorf.

Er steht also allein da. Er habe „eine schwierige Entscheidung“ treffen müssen, schrieb er diese Woche. „Ausgelöst wurden meine Zweifel durch den Brand der Kirche in Morschenich. Es kommen Erinnerungen hoch an die Westricher Mühle. Immer waren Bauwerke im Weg, die in der Öffentlichkeit standen.“ Und so habe er „größte Bedenken, dass auch unser Haus in Flammen aufgeht“. Und: „Das unendliche Aufschieben der Dörferwiederbelebung ist ein wiederholtes Spiel der Politik und RWE. Mein Vertrauen in die Politik ist seit Langem zerstört.“ Also plant er keinen Rückkauf – und gibt so seine Heimat ein zweites Mal auf. Seinen Namen will Klaus E. nicht in der Zeitung gelesen sehen, „Tarnung muss leider sein“.

Die Bagger stehen derweil kurz vor der Landstraße L12, die Keyenberg mit Holzweiler verbindet. Ab Juni soll die drei Kilometer lange Straße Teil des großen Lochs werden, enden wird der Tagebau keine hundert Meter dahinter. Ohne die L12 haben die BewohnerInnen vor allem in Holzweiler Sorge, dass sie von der Außenwelt abgeschnitten werden: Es drohen Umwege von mehr als zehn Kilometern. „Wir werden ein toter Ort.“

40 Millionen für den Ausbau eines Sportparks

Statt der Straße wurde ein schmaler, maroder Feldweg als Alternative ausgewiesen, nur einspurig mit Ausweichbuchten. Ein Landwirt sagt: Da passe nicht mal ein Trecker rein, geschweige denn ein Lkw. Die Menschen hängen derweil Protestplakate an ihre Häuser und die ortsüblichen gelben Kreuze. Beides, berichtet ein Anwohner der taz, sei häufig am nächsten Morgen verschwunden.

Hunderte Millionen Euro will der Bund hier bis 2038 jedes Jahr für den Strukturwandel bereitstellen. Details sind noch unklar – mit einer Ausnahme: Nach Aachen, 30 Kilometer vom nächsten Tagebauloch entfernt, fließen 40 Millionen Euro. Und wofür? Für den Ausbau des Sportparks Soers mit Multifunktionsarena und einem neuen Stadion für das Pferdespektakel Chio. Dennoch lobt das grüne NRW-Wirtschaftsministerium die „Passgenauigkeit zum Strukturprogramm“.

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