Wolfsmonitoring in Niedersachsen: Mehr Räuber, weniger Risse

Obwohl es mehr Wölfe gibt, nehmen Übergriffe auf Weidetiere ab. Das ergeben die neuen Zahlen der Landesjägerschaft in Niedersachsen.

Ein Wolf liegt auf einem Baumstamm

Kann durchaus konfliktarm mit Menschen und Nutztieren koexistieren: Wolf in Niedersachsen Foto: Julian Stratenschulte/dpa

OSNABRÜCK taz | „Wolf“. Wenn in Niedersachsen dieses Wort fällt, läuten die Alarmglocken. Polemisch wird es dann, populistisch. Gefahren werden heraufbeschworen, Abschüsse werden gefordert, der Ruf nach einer Herabstufung des Schutzstatus wird laut.

Nüchterne Nachrichten haben es dagegen oft schwer. Jüngstes Beispiel: Der Bericht der Landesjägerschaft Niedersachsen, Hannover, zum Wolfsmonitoring im ersten Quartal 2023. Was er vorrechnet, müsste die Wolfsriss-Debatte eigentlich beruhigen: Die Übergriffe von Wölfen auf Weidetiere haben abgenommen.

Im ersten Quartal 2023 waren es nur 89, 2022 waren es im vierten Quartal 128. Das ist ein Rückgang von über 30 Prozent. Dabei ist die Zahl der Wolfsterritorien in Niedersachsen gestiegen. Von 49 Ende 2022 auf 51 Ende des ersten Quartals 2023 – für 46 Wolfsrudel, drei Wolfspaare und zwei residente Einzeltiere. Das Monitoring soll helfen, eine „konfliktarme Koexistenz“ zu ermöglichen.

Wildbiologe Frederik Eggers, Teamleiter Natur- und Umweltschutz des Naturschutzbundes (Nabu) in Hannover, sieht den Quartalsbericht auch als Bestätigung der Weidetierschutz-Arbeit des Nabu. Die findet nicht zuletzt im Nabu-Projekt „Herdenschutz Niedersachsen“ statt, das seit 2017 in Vor-Ort-Beratungen auf die „Erhaltung von Beweidung bei Wolfspräsenz“ zielt, vom Elektrozaun bis zum Schutzhund. „Leider wird es in manchen Regionen noch nicht so gut angenommen, wie es sein müsste und sollte“, sagt Eggers der taz. „Aber das liegt vielleicht auch daran, dass es vom Nabu kommt. Manche Tierhalter haben da Vorbehalte.“

Aufgeheizte Situation

Auch das im Februar gestartete Dialogforum „Weidetierhaltung und Wolf“ der Landesregierung zeigt, dass die Debatte seit der Landtagswahl 2022 an Sachlichkeit gewinnt, durch Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne) und Umweltminister Christian Meyer (Grüne).

Zuvor, unter dem aktivistischen Umweltmi­nister Olaf Lies (SPD), war Niedersachsen bekannt dafür, für die nach internationalem, EU- und Bundesrecht streng geschützte Art bereitwillig Abschussgenehmigungen zu erteilen – wobei Jäger teils nicht die eigentlichen „Problemwölfe“ trafen, sondern Welpen. Viel Sinn hatte das nicht. Hauptsache, irgendein Wolf war tot. Im Forum kommen jetzt Naturschutzverbände und Landwirtschaft zusammen, Wissenschaft und Behörden. „Das hat sich wirklich zum Positiven verändert“, sagt Eggers.

Dennoch ist die Situation weiterhin aufgeheizt. Ein besonders verstörender Beweis dafür ist der abgetrennte Wolfskopf, der in der Nacht zum Karfreitag vor dem Eingang des Nabu-Artenschutzzentrums in Leiferde, Landkreis Gifhorn, drapiert wurde, mit einem Stock als Maulsperre und herausgeschnittener Zunge. 15.000 Euro Belohnung hat der Verein Wolfsschutz-Deutschland für Hinweise ausgesetzt, die den Fall aufklären.

„Die Diskussion wird oft noch immer auf einem sehr unfaktischen Niveau geführt“, sagt Eggers. „Und oft trifft man auf taube Ohren.“ Das Wolfsmonitoring durch die Landesjägerschaft findet er hilfreich. „So gewinnen wir eine gute Datengrundlage für ein Management.“ Wolfssichtungen zu melden, sei wichtig für den Wolfsschutz.

Gina Strampe, Geschäftsführerin der „Interessengemeinschaft der Weidetierhalter Deutschland“ (WNON) in Himbergen ist Teilnehmerin von „Weidetierhaltung und Wolf“. Sie hofft, dass das Forum rasch „klare Regeln“ findet: „Irgendwann sind die Tage des Redens vorbei“, sagt sie der taz. „Dann muss gehandelt werden.“

Die neuen Zahlen der Landesjägerschaft sind für sie kein positives Zeichen. „Das zeigt nur, dass Tierhalter Risse nicht mehr melden, weil sie fürchten, dass sie dann als unfähig angeprangert werden. Wenn nach Wolfsangriffen ein Zaun am Boden liegt, weil die Herde in Panik zu flüchten versucht und ihn dabei zu Fall bringt, ist danach ja nicht mehr ­nachzuvollziehen, ob er zuvor richtig aufgestellt war.“ Vielfach werde dann Kritik laut, von Besserwissern, die teils „echt krass“ seien und „alles keine Tierhalter“. Eine der Folgen sei: „Tierhalter geben stillschweigend auf.“

Ein abgetrennter Wolfskopf wurde in der Nacht zum Karfreitag vor dem Eingang des Nabu-Artenschutzzentrums in Leiferde drapiert

Strampe ist für „aktive Regulierung“ des Wolfsbestandes. Niedersachsen vertrage keine zusätzlichen Wölfe. Über die Begrenzung auf 500 Tiere, die Olaf Lies einst vorgeschlagen hatte, könne man reden. „Wenn wir das machen, kommt vielleicht endlich Ruhe in die Diskussion“, sagt Strampe. „Und das ist dann nicht nur zum Wohl der Weidetierhalter, auch zum Wohl der Wölfe.“ Ob ein Rudel, dem gerade die Kugeln um die Ohren fliegen, das ähnlich empfände?

Die Herdenschutz-Beratung des Nabu hält Strampe „in der Intention für gut“. Aber im Grunde sei sie überflüssig. „Die Experten dafür sind ja eigentlich wir, die Tierhalter.“ Wenn Wölfe Weidetiere reißen, eine extreme Ausnahme bei ihrer Vorliebe für Reh und Wildschwein, hat der Halter jedoch oft eine Mitverantwortung. In mehr als 50 Prozent der Fälle, die die Landesjägerschaft für 2023 listet, sei, so der Nabu, „nachweislich kein ausreichender Grundschutz“ vorhanden gewesen.

Es gelte jetzt, im Hannoveraner Dialogforum „auf Augenhöhe“ zu diskutieren, sagt Strampe. Das mag gelingen. Aber am Ende bleibt: Viele Weidetierhalter fordern Populationsreduzierung per Patrone. Das Washingtoner Artenschutzabkommen, die Berner Konvention, die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und das Bundesnaturschutzgesetz? Anscheinend alles nicht so wichtig.

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