Protest der Letzten Generation in Berlin: Klebriger Vorgeschmack in Berlin

Mit einer Blockade des Regierungsviertels wollte die Letzte Generation in Berlin protestieren. Doch dann zogen die Aktivisten an anderen Stellen auf.

Rabiater Griff: Ein Polizist führt einen Demonstranten am Donnerstag auf der Straße des 17. Juni ab Foto: Christian Mang/reuters

BERLIN taz | Morgens kurz vor 7 Uhr in einer Ferienwohnung in der ersten Etage eines unsanierten Altbaus nahe dem Berliner Alexanderplatz: Eine Gruppe von neun Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation macht sich am Donnerstag für den Protest bereit. Im Flur beim Anziehen der Schuhe die letzten Absprachen: „Wer packt die Erdnüsse ein?“ „Hast du Lust, das Banner zu nehmen?“ „Du klebst außen.“

Mittendrin und stets mit dem Blick auf die Uhr ist Rosa Reinisch, eine 34-jährige Studentin aus Göttingen, die seit Dienstag in der Stadt weilt, um ihren Teil dazu beizutragen, Berlin zum Stillstand zu bringen. Die Nacht habe sie „nicht so gut geschlafen“, sagt sie leise, wie immer sei die „Aufregung und Anspannung groß. Mit entschlossenem Blick fügt sie aber hinzu: „Wir wissen, was wir zu tun haben.“

Reinisch nimmt das zusammengerollte große Banner und steckt es in ihren Rucksack, an dem ein Anhänger in Regenbogenfarben baumelt. Sie lotst ihre Bezugsgruppe zur Straßenbahnhaltestelle, von der es mit Umstiegen auf S- und U-Bahn bis nach Berlin-Charlottenburg geht. „Ist das überhaupt beim Regierungsviertel“, fragt sie.

Im Zentrum der bundesdeutschen Politik wollte die Letzte Generation ihre Protesttage am Donnerstag und Freitag starten, ehe ab Montag die ganze Stadt lahmgelegt werden soll. So war es angekündigt. Mehr als 900 Ak­ti­vis­t:in­nen haben sich angemeldet. Die politische Forderung lautet: Die Bundesregierung solle einen Gesellschaftsrat mit gelosten Mitgliedern einsetzen, der Pläne für die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels der maximalen Erderwärmung erarbeiten soll.

Ein Führungsstab organisiert

Kurz nach halb 8 kommen die Ak­ti­vist:innen, nahezu ohne ein Wort gesprochen zu haben, am U-Bahnhof Deutsche Oper an. „Früh“, sagt Reinisch. Für einige Minuten stehen die überwiegend jungen Menschen fast regungslos auf dem unterirdischen Bahnsteig, teils skeptisch beäugt, ehe sie nach oben gehen und auf einem Platz gegenüber der Oper auf weitere Mitstreiter:in­nen treffen. Schnell wird noch Sekundenkleber ausgetauscht.

Den Treffpunkt hat Reinisch erst am Vorabend kommuniziert bekommen. In der hierarchisch aufgebauten Gruppe gibt es einen kleinen Führungsstab, der für die strategische Planung zuständig ist und die Direktiven für Proteste jeweils erst kurz vor den Aktionen an die Masse der Ak­ti­vis­t:in­nen herausgibt. Verhindert werden soll damit das Durchstechen von Informationen über Blockadeorte an die Sicherheitsbehörden. Vereinzelt ist dies in der Vergangenheit schon vorgekommen.

Zur Verbreiterung sowohl der Führungsebene, aber auch zur Gewinnung neuer Blo­ckie­re­r:in­nen hat sich die Klimagruppe zuletzt spezialisiert. Das Bundesgebiet wurde dafür in sechs Regionen aufgeteilt, in denen eigenständige Organisationen entstanden. Die Folge: die Verbreitung der zunächst berlinzentrierten Protestaktionen auch in Hamburg, Freiburg oder Dresden. Weil der Ort der Ent­schei­de­r:in­nen über die deutsche Klimapolitik aber Berlin ist, und auch, weil sich ein halbes Dutzend Ober­bür­ger­meis­te­r:in­nen etwa aus Hannover und Bonn mit deren Zielen solidarisierten, hat die Letzte Generation nun all ihre Ak­ti­vis­t:in­nen in der Hauptstadt zusammengezogen.

Uniform gegen Warnweste: Ein Polizist holt am Donnerstag einen Demonstranten von der Fahrbahn Foto: Christian Mang/reuters

Gegen 8 Uhr betritt die inzwischen fast 30-köpfige Gruppe die Bismarckstraße im Berliner Westen. Alle ziehen sich orangefarbene Warnwesten über; Banner werden ausgerollt. In drei Reihen bewegen sich die Blo­ckie­r:in­nen langsam die Straße entlang. Reinisch läuft in der Mitte, Blickrichtung nach vorne. Ankleben werde sie sich heute nicht, hatte sie vorher gesagt und: „Vor der Festnahme habe ich keine Angst, der Rechtsstaat funktioniert gut, aber die Konfrontation auf der Straße wird immer schlimmer.“

Schon das erste Auto, das auf die Gruppe zufährt, beschleunigt noch kurz vorher. Es ist ein Moment, in dem sich der Gedanken an Benno Ohnesorg aufdrängt, der an diesem Ort 1967 bei Protesten gegen den Schah von Persien erschossen wurde und die nachfolgende Protestbewegung radikalisierte. Nur Zentimeter vor den Blo­ckie­re­r:in­nen bremst der Lieferwagen eines Unternehmens für Reinigungsleistungen ab, touchiert aber einige der Aktivist:innen. Diese setzen sich auf die Straße.

„Geht arbeiten“

Doch anstatt dass sich die Situation beruhigt, wird es hektisch. Die beiden Männer aus dem Lieferwagen ziehen rabiat einige der Ak­tivs­t:in­nen von der Straße, ein Motorradfahrer sucht seinen Weg mitten durch die Blockierer:innen, ein Lkw-Fahrer entreißt laut schreiend die Transparente. Später wird er sagen, es sei seine vierte Blockade, die er miterlebe. Bei den ersten beiden habe er noch „Respekt“ gehabt.

Ein Passant schreitet ein: „Seid ihr verrückt geworden? Das ist Körperverletzung. Seid ihr die Polizei?“, sagt er in Richtung der Männer, die hier Selbstjustiz üben.

Nach quälend langen Minuten sind die ersten Sirenen zu hören, etwa die Hälfte der Ak­tivs­t:in­nen kleben sich fest. Die ersten Po­li­zis­t:in­nen verweisen die aufgebrachten Autofahrer auf ihre Plätze. Wohl anders, als sich das Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) vorstellte, als sie am Mittwochabend im RBB sagte: „Fälle von Selbstjustiz gegen die Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen müssten „leider dann eben auch zur Rechenschaft gezogen werden“.

Auf der Gegenfahrbahn hält ein Range Rover. Aus dem Fenster gelehnt schreit der Fahrer: „Geht arbeiten!“ Reinsch sitzt derweil regungslos auf dem Asphalt. Sie sagt: „Die Nerven liegen blank. Ich nehme das nicht persönlich.“ Dann wechselt sie in den professionellen Modus, spricht über Kipppunkte und Gesellschaften, die eine Erwärmung um 4 Grad Celsius nicht überleben werden. Sie sagt: „Ich habe eine existenzielle Angst davor, dass wir die Klimakrise nicht überleben werden.“ Ein Polizist beendet das Gespräch.

Die Polizei demonstriert, dass sie – trotz ihrer politischen Führung – einen routinierten, professionellen Umgang mit den Ak­ti­vis­t:in­nen pflegt. Nach der Frage nach einem Verantwortlichen, wird ein neuer Ort für die Versammlung verfügt – auf dem Bürgersteig. Es folgen drei Aufforderungen, ehe die Sitzenden zunächst mit einer auf den Boden gesprühten Nummer versehen und fotografiert werden, dann der nicht festgeklebte Teil weggetragen wird und schließlich die Festgeklebten vom Asphalt gelöst werden. Der Einsatzleiter erklärt, man verwende Mullbinden, um die zuvor mit Öl getränkten Hände abzulösen, dies sei schonender als etwa Eiskratzer.

Rabatz am Brandenburger Tor

Auf Anfrage hatte die Polizei mitgeteilt, im Stadtgebiet mit einer Vielzahl von Einsatzkräften die „Verkehrsknotenpunkte sowie Zu- und Abfahrten zur Stadtautobahn im Blick zu behalten“. Geschützt würden auch Parlaments- und Regierungsgebäude, Medienhäuser und symbolträchtige Orte.

Während die Prozedur auf der Fahrbahn auf der Bismarckstraße ihren Gang geht, kommt es an anderer Stelle zu weiteren Protesten. Vor dem Eingang der Tagung des Lobbyverbandes der Familienunternehmen, in denen vor allem das deutsche Großkapital versammelt ist, schütten Ak­ti­vis­t:in­nen orange Farbe vor den Türen aus. Als Gäste an dieser Stelle wurden Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erwartet.

Unterdessen hat die Polizei an der Berliner Siegessäule sieben Ak­ti­vis­t:in­nen festgesetzt, überprüft die Personalien und Tascheninhalte. Dann nähert sich aus dem Tiergarten eine größere Gruppe in Funktionsjacken. An einer roten Ampel bleiben sie stehen, die Polizei ihnen gegenüber. Bei Grün geht es los: Sie holen ihre Warnwesten heraus und spannen ihre Banner auf. Protestierende werden zu Fall gebracht, Autos schieben sich durch die Menge, begleitet von Hupkonzerten.

Schnell aber beruhigt sich die Situation. Die Gruppe läuft die Straße des 17. Juni in Richtung Brandenburger Tor entlang, sehr langsam, um den Verkehr doch irgendwie aufzuhalten. Autos weichen auf eine der drei Gegenfahrbahnen aus, die Polizei lässt es zu.

Die umstehenden Menschen ohne Auto sind geteilter Meinung. Martin Baer war mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit. „Das ist ja friedlich, was die hier machen. Das erinnert mich eher an Mutlangen oder an Sit-ins in den USA.“ Dass der Verkehr beeinträchtigt wird, findet er halb so wild: „Das ist hier ja sowieso ’ne Straße, die im Jahr fünfzig- bis hundertmal blockiert wird, wegen Volksfesten, Marathons oder Demos.“ Anders sieht es eine Gruppe Gärt­ne­r:in­nen aus dem Tiergarten. „Die bringen die Leute gegeneinander auf. Was die hier herbeiführen ist so ’ne Art Mini-Bürgerkrieg“, meint einer.

Die Vorwürfe gegen die Letzte Generation dürften in den nächsten Tagen eher noch lauter werden, spätestens am Montag, wenn es voraussichtlich noch zu deutlich mehr Blockaden kommen wird. Dabei sein wird dann wohl auch wieder Rosa Reinisch. Am Donnerstagnachmittag aber befindet sie sich noch in Gewahrsam.

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