Der höchste Orden der Bundesrepublik: Danke, Merkel?

Ex-Kanzlerin Angela Merkel wird mit dem „Großkreuz in besonderer Ausführung“ ausgezeichnet. Hat sie es verdient? Ein Pro und Kontra.

Rot-goldener Orden

Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Ja, hat sie

Hat sich Angela Merkel eigentlich schon für ihre Flüchtlingspolitik entschuldigt? Nein? Unglaublich! Und das, obwohl sie es im Sommer 2015 wagte, die Grenzen offen zu halten und mehr als eine Million Geflüchtete ins Land zu lassen? Aus Sicht von vielen Rechten hat es Merkel sicher nicht verdient, das „Großkreuz in besonderer Ausführung“ zu bekommen und damit in eine Reihe mit Konrad Adenauer und Helmut Kohl gestellt zu werden. Die hämisch-dumpfe „Danke, Merkel“-Fraktion ist wieder auf 180. Umso schöner, dass die „Wir schaffen das“-Kanzlerin jetzt die höchste Ehre erhalten wird, die dieser strukturkonservative Staat vergeben kann.

Ob das unbedingt so ein militaristisch angehauchtes Kreuz sein muss, ließe sich getrost infrage stellen. Aber so lange es nur diesen Orden gibt, sollte es bei der Vergabe um das gesamte Lebenswerk der ausgezeichneten Person gehen und nicht um einzelne, aktuell gerade diskutierte Aspekte ihres Schaffens wie die Russlandpolitik. Da hat Merkel gewiss viel falsch gemacht und Putins monströses Gewaltpotenzial zu lange unterschätzt, aber damit war sie nicht allein.

Es gäbe noch mehr Gründe für Kritik. Merkel hat weder das Klima gerettet noch die soziale Ungleichheit beseitigt. Aber reicht das, um ausgerechnet der ersten Frau im Kanzleramt den Respekt zu verweigern, den ihre Vorgänger Adenauer und Kohl bekommen haben? Nein. Sie hat das Land durch ihre ausgleichende Art in vielen Krisen oft beruhigt und ist dabei, so weit man weiß, nie korrupt gewesen. Das ist, siehe Kohl und Schröder, keine Selbstverständlichkeit.

Vor allem aber hatte Merkel im Gegensatz zu den geehrten Altkanzlern der CDU den Mut, das Land gegen die Mehrheit der eigenen Partei zu modernisieren. Nicht nur beim Umgang mit Geflüchteten, auch in der Familienpolitik und beim Atomausstieg. Das bleibt ehrenwert. Und ja, Willy Brandt sollte endlich auch ein Kreuz bekommen. Wenigstens posthum.

Lukas Wallraff

Nein, hat sie nicht

Wenige Monate nach Beginn des russischen Angriffs auf die gesamte Ukraine trat Angela Merkel aus ihrem Rückzug wieder in die Öffentlichkeit. Auf der Bühne des Berliner Ensembles behauptete sie, sie sei sich bei ihrer Russlandpolitik keiner Schuld bewusst und werde sich deshalb auch nicht entschuldigen.

Im Dezember setzte sie noch einen drauf und erklärte, dass man ihre damaligen Entscheidungen gegenüber Russland und der Ukraine aus der Zeit heraus verstehen müsse. Klar, hinterher ist man immer schlauer.

Bis heute hat Merkel nicht bewiesen, dass sie an einer selbstkritischen Aufarbeitung ihrer Russlandpolitik interessiert ist. Trotz ihrer Ignoranz wird sie nun mit dem höchsten Orden der Bundesrepublik ausgezeichnet. Zu allem Übel wird dieser auch noch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überreicht: dem Mann, der als ehemaliger Außenminister in Merkels Großer Koalition die deutsche Russlandpolitik ganz im Sinne seines früheren Vorgesetzten Gerhard Schröder beeinflusste.

Als die deutsch-russische Freundschaft vor mehr als einem Jahr zerbrach, gab sich Steinmeier zwar reumütig; er gab sogar vor, Verantwortung übernehmen zu wollen – und schob die Verantwortung im nächsten Moment von sich weg. Er habe sich geirrt, gestand er zwar, betonte jedoch: „wie andere auch“.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Ordensverleihung wie eine groß inszenierte Rehabilitierung der deutschen Russlandpolitik. Ein Akt der Schande. Steinmeier wird nicht nur Merkel und ihre gravierenden politischen Fehler ehren, sondern auch sich selbst.

Den imperialen Wahn Wladimir Putins haben Merkel und Steinmeier lange nicht erkennen wollen. Wegzusehen war einfacher. Die heutige Situation in der Ukraine, der russische Krieg sind auch ein direktes Ergebnis der Unfähigkeit zum Konflikt mit Putin. Dieses Weggucken verdient keinen Orden.

Erica Zingher

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seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens

Redakteurin für Gesellschaft im Ressort taz zwei. Schreibt über postsowjetische Migration, jüdisches Leben und Antisemitismus sowie Osteuropa. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber. Freie Podcasterin und Moderatorin.

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