Recherche hinterfragt Strafprozess: Vorwürfe gegen Österreichs Justiz

Julian Hessenthaler ist Urheber des „Ibiza-Videos“ und saß in Österreich in Haft – wegen Drogen. Eine Recherche hinterfragt nun den Strafprozess.

Hessenthaler bekommt auf der Gerichtsbank die Hnadschellen abgenommen

Wegen Julian Hessenthalers „Ibiza-Video“ zerbrach 2019 die österreichische Regierung Foto: Georges Schneider via imago

Der Detektiv Julian Hessenthaler, Urheber des Videos hinter der Ibiza-Affäre, erhebt schwere Vorwürfe gegen die österreichische Justiz. Dies berichtet Correctiv in einer ausführlichen Recherche zum Fall. Demnach nährten interne Dokumente Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Strafprozess gegen Hessenthaler. Im Zuge der Ermittlungen gegen ihn wurde unter anderem auch die Berliner Kanzlei des bekannten Medienanwalts Johannes Eisenberg überwacht, der regelmäßig auch die taz vertritt.

Hessenthaler erklärte gegenüber Correctiv, er sei zu Unrecht zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Sein Anwalt in Österreich, Oliver Scherbaum, vermutet demnach ein politisch motiviertes Verfahren und habe Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Vor und nach der Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ hätten Beamte des Innen- und Justizministeriums sowie des Bundeskriminalamts versucht, seinen Mandanten Hessenthaler „durch eine strafrechtliche Verfolgung von Drogendelikten ‚mundtot‘ zu machen“, heißt es laut dem Medienbericht in der Beschwerde.

Die sogenannte Ibiza-Affäre hatte 2019 zum Bruch der österreichischen Regierungskoalition von der konservativen ÖVP mit der rechtspopulistischen FPÖ geführt. Heimlich gefilmte Videoaufnahmen hatten den damaligen Vizekanzler und FPÖ-Parteichef Hans-Christian Strache und seinen Parteifreund Johann Gudenus dabei gezeigt, wie sie in einer Finca auf der spanischen Insel Ibiza Bereitschaft zur Korruption offenbarten. Außerdem sprachen sie auch darüber, wie sich für mehr politischen Einfluss Österreichs auflagenstärkstes und einflussreichstes Medium Kronen Zeitung übernehmen ließe.

In Haft wegen Drogenhandels und Urkundenfälschung

Hessenthaler hatte den Politikern eine Falle gestellt und die Videos aufgezeichnet. Die Süddeutsche Zeitung und das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hatten die Aufnahmen später ausgewertet und 2019 in Teilen veröffentlicht. Die taz hatte Hessenthaler 2021 interviewt, als er noch in Berlin inhaftiert war.

Hessenthaler war im März 2022 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden – allerdings wegen Drogenhandels und Urkundenfälschung, nicht wegen des Videos, dessen Herstellung in Spanien nicht strafbar war. Am 7. April wurde er nun frühzeitig aus der Haft entlassen. Zuvor durfte er bereits unter der Auflage, eine Fußfessel zu tragen, das Gefängnis verlassen.

Laut Correctiv seien bis zum Ende des Prozesses keine Drogen bei Hessenthaler gefunden worden. Das Einzige, was gegen ihn gesprochen habe, seien widersprüchliche Zeugenaussagen gewesen. Der Richter habe Aussagen in der Urteilsbegründung zudem verdreht. Einer der beiden Belastungszeugen, ein ehemaliger Mitarbeiter von Hessenthaler, sei laut Correctiv auch eine Vertrauensperson des österreichischen Bundeskriminalamts gewesen und habe Geld bekommen, um Informationen über Hessenthaler zu sammeln.

Von über zwanzig Soko-Mitgliedern hätten siebzehn gegen Hessenthaler ermittelt und nur drei für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Strache. Einer der österreichischen Ermittler sei zudem ein Fan von Strache gewesen und stand mit ihm mindestens einmal per SMS in Kontakt. Das sei dem Vorgesetzten bekannt gewesen.

Deutsche Anwaltskanzlei wurde überwacht

Im Zuge der Ermittlungen kam es zu massiven Überwachungsmaßnahmen auch in Deutschland. So wurde unter anderem die Berliner Kanzlei des Rechtsanwalts Johannes Eisenberg überwacht. Eisenberg hatte Hessenthaler als Anwalt vertreten. Correctiv berichtet von einer sogenannten Funkzellenüberwachung des Mobilfunknetzes der Region um dessen Kanzlei. Die deutsche Polizei habe Hunderttausende Handydaten abgefangen, die Verbindungen analysiert und damit „eine Art Rasterfahndung für Österreich“ durchgeführt.

Johannes Eisenberg erklärte gegenüber der taz, die Funkzellenüberwachung seiner Kanzlei sei auf Wunsch der Staatsanwaltschaft Wien und einer Richterin auf Veranlassung der Soko „Tape“ seit August 2019 erfolgt. Er sei dagegen rechtlich vorgegangen, allerdings ergebnislos.

Eisenberg spricht von „Fake-Vorwürfen“ gegen Hessenthaler. „Die gesamte Verdachtsschöpfung war von vorneherein rechtsbeugerisch“. Das Verfahren wirkte „grundrechtsleugnend“. Die Staatsanwaltschaft Wien habe sich geweigert, alle Zeugen zu vernehmen. „Man wird sagen müssen, dass Österreich kein Rechtsstaat ist.“

Amnesty kritisiert

Bereits zur Prozesseröffnung im September 2021 kritisierten Amnesty Österreich und 15 österreichische und internationale Menschenrechtsorganisationen die ausufernde Strafverfolgung gegen Hessenthaler, weil sie einen abschreckenden Effekt auf zukünftige Whistleblower und die Ausübung der Meinungsfreiheit in Österreich haben könnte.

Anwalt Johannes Eisenberg beklagt zudem, dass die österreichischen Grünen Hessenthaler jede Unterstützung verweigert hätten und nur die Neos den Wert der Aufklärungsarbeit Hessenthalers respektiert hätten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.