Perspektiven der Klimabewegung: Praktisch rau, theoretisch mau

„Letzte Generation“ und „Extinction Rebellion“ setzen auf Gesellschaftsräte gegen die Klimakrise. Über den Kapitalismus wollen sie nicht reden.

Menschen stehen beieinander auf einer Wiese und werfen lange Schatten

Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen bei der Eröffnung des „Extinction Rebellion“- Camps in Berlin Foto: Florian Boillot

Am frühen Mittwochabend wirkt das Protestcamp im Berliner Invalidenpark noch nicht besonders voll. „Eine bessere Welt ist möglich“ steht auf einem riesigen Transparent, das von einer Rampe in der Mitte der Grünfläche hängt. Daneben das markante X im Kreis, das eine Sanduhr darstellen soll, die Botschaft ist: Uns läuft die Zeit davon.

In den kommenden Tagen soll es sich hier füllen. Das gesamte Wochenende über sind Demos und Aktionen des zivilen Ungehorsams von Extinction Rebellion angekündigt. Ab nächster Woche übernimmt dann die Letzte Generation die Protestchoreografie und ruft zu zahlreichen Aktionen in ganz Berlin auf, um auf die Klimakrise aufmerksam machen.

In den letzten eineinhalb Jahren hat es die Letzte Generation geschafft, sich mit einer hohen Taktung von Straßenblockaden in die Schlagzeilen zu katapultieren. In der Öffentlichkeit wird die Gruppe als radikale Sperrspitze der Klimabewegung wahrgenommen. Doch wie radikal ist ihr Programm wirklich?

Eine der zentralen Forderungen ist die Einberufung eines sogenannten Gesellschaftsrats. Auch Extinction Rebellion setzt maßgeblich auf ein solches Gremium, bei ihnen heißt es Bürger*innenrat. Das Konzept ist bei beiden Organisationen das gleiche: Per Losverfahren ausgewählte Bür­ge­r*in­nen sollen zusammenkommen, um über effektive Maßnahmen zum Klimaschutz zu beraten. Die erarbeiteten Vorschläge werden dann dem Parlament vorgelegt. Anhand von Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bildungsgrad oder „Migrationshintergrund“ soll sichergestellt werden, dass die Bevölkerung repräsentativ abgebildet wird. „Deutschland in klein“, wie die Letzte Generation auf ihrer Website schreibt.

Pariser Klimaziele

Wi­ssen­schaft­le­r*in­nen sollen den Gesellschaftsrat mit ihrer Expertise unterstützen. Schon bestehende Forderungen der Letzten Generation dürften nicht fehlen, so etwa ein Tempolimit von 100 Stundenkilometer, ein dauerhaftes 9-Euro-Ticktet sowie die Analyse, dass die Nutzung von fossilen Rohstoffen bis 2030 beendet werden muss, will man die Pariser Klimaziele noch einhalten.

Ob Maßnahmen zum Klimaschutz von gesellschaftlichen Mehrheiten getragen werden, wenn diese mit der Änderung alltäglicher Lebensgewohnheit oder dem Verlust eigener Privilegien einhergehen, ist allerdings fraglich. Dass die Mehrheitsmeinung keineswegs per se fortschrittlich ist, verdeutlichen soziologische Studien sowie Wahlergebnisse immer wieder aufs Neue. Die bloße Beratung durch Ex­per­t*in­nen wird dieses Problem nicht lösen.

Doch die Forderung nach Gesellschaftsräten hat noch ein weiteres grundlegendes Problem: Sie klammert die strukturellen Ursachen der Klimakrise aus. Der Kapitalismus ist auf dauerhaftes Wachstum angewiesen. Dieses Wachstum zu gewährleisten, ist der zentrale Auftrag von Regierungen im Kapitalismus.

Ob das gelingt, entscheidet über Erfolg oder Scheitern in der globalen Staatenkonkurrenz, über politische Einflusssphären und über die Möglichkeit, die eigenen Gesellschaften mit sozialstaatlichen Mitteln zu befrieden. Der Zwang zu permanentem Wachstum und der damit steigende Ressourcenverbrauch treibt die Klimakrise aber immer weiter an. Die kapitalistische Profit­logik steht in einem grundlegenden Widerspruch zum Schutz der ökologischen Lebensgrundlagen des Menschen.

Enteignung? Von wegen!

Was passiert, wenn sich Mehrheiten für Forderungen gewinnen lassen, die am Prinzip der Profitmaximierung etwas ändern wollen, zeigte nicht zuletzt der Volksentscheid über die Enteignung von großen Immobilienkonzernen in Berlin. Eine deutliche Mehrheit stimmten für Enteignungen. Passiert ist bis heute nichts. Zu groß die Angst, In­ves­to­r*in­nen zu verschrecken und Berlin als Wirtschaftsstandort zu gefährden.

„Die bisherige Politik der Bundesregierung hat gezeigt, dass sie keinen Weg findet, uns aus dem Pfad der Zerstörung herauszuführen.“, stellt die Letzte Generation in ihren FAQs zum Gesellschaftsrat fest. Die Frage, warum das so ist, wird nicht beantwortet. Der Gruppe gelingt es, hunderte Menschen zu Aktionen zivilen Ungehorsams zu bewegen. Doch wenn die vermeintlich radikalen Aktionen auf eine diffuse Politikberatung mit unklaren Inhalten abzielen, wird sich am Fortschreiten der Klimakrise nichts ändern.

Eine Sprecherin von Fridays for Future (FFF) warf der Letzten Generation kürzlich vor, die Gesellschaft zu spalten. Die Grünen stimmten in die Distanzierung mit ein, nannten die Ak­tio­nen „elitär und selbstgerecht“. Stattdessen sucht die Basis von FFF den Schulterschluss mit Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs. Andere Teile der Bewegung wollen mit Besetzungen von Schulen und Universitäten Druck aufbauen. Gruppen wie Ende Gelände versuchen mit Sabotagen und Blockaden der Infrastruktur fossiler Energieträger Wege für die Klimabewegung aufzuzeigen und nehmen dabei eine antikapitalistische Haltung ein.

So begrüßenswert eine Vielfalt an Aktionsformen ist: Ohne eine klare Analyse der Verhältnisse wird die bessere Welt, die Extinction Rebellion fordert, nicht kommen.

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