Gefangenenaustausch zwischen Kyjiw und Moskau: Endlich nach Hause

Die Ukraine und Russland tauschen Gefangene aus. Um den Kreml zu einem solchen Schritt zu bewegen, wird oft hinter verschlossenen Türen verhandelt.

Frauen in ukrainische Fahnen gehüllt an einer Landstraße

Aus Russland zurückgekehrte ukrainische Kriegsgefangene bei der Ankunft in der Ukraine am 10. April Foto: Ukranian Armed Forces/Handout via reuters

CHARKIW taz | Hundert ukrainische und 106 russische Kriegsgefangene konnten am Montag ihre Heimreise antreten. Dies berichten ukrainische und russische Medien übereinstimmend. Unter den freigelassenen ukrainischen Kriegsgefangenen befinden sich auch 20 Frauen. Die Bekannteste unter ihnen ist die Journalistin, Dichterin und ehemalige Dozentin für Journalistik an der Staatlichen Universität von Mariupol, Waleria Subotina. Sie hatte Anfang Mai 2022 im umkämpften Mariupol den Grenzsoldaten Andrji geheiratet. Drei Tage nach der Hochzeit war ihr Geliebter bei den Kämpfen ums Leben gekommen.

„Es war kein einfacher Austausch“, zitiert nv.ua Andrij Jermak, den Leiter der Präsidialadministration. „Und so freue ich mich besonders für die Angehörigen der Freigelassenen. Sie warten schon seit Langem auf ihre Ehemänner, Ehefrauen und Eltern. Das Warten ist immer ein sehr schwieriger und nervenzehrender Prozess.“ Nun warte auf die Freigelassenen erst einmal eine medizinische Behandlung und Unterstützung in organisatorischen Fragen, wie etwa dem Erneuern von Bankkarten.

Über die Details der russisch-ukrainischen Verhandlungen zum Austausch von Gefangenen ist wenig bekannt. Mehrfach hatten sich in den vergangenen Monaten der ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Dmytro Lubinetz und die russische Menschenrechsbeauftragte Tatjana Moskalkowa an der Front und in der Türkei getroffen, um Gefangenenaustauschaktionen auszuhandeln.

Seit Februar 2022 habe die Ukraine mit Gefangenenaustauschaktionen 2.105 Menschen aus der russischen Gefangenschaft befreit, zitiert die Agentur urkinform.ua den ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten Dmytro Lubinets.

Russische Seite „ohne Enthusiasmus“ für Angebote

Ohne Bedingungen habe die Ukraine im März Russland alle schwerverletzten Gefangenen überstellt, die transportfähig gewesen seien, berichtet die Nachrichtenagentur Unian. Moskau, das derzeit ungefähr 800 ukrainische Kriegsgefangene festhalte, sei gegen einen Gefangenenaustausch nach dem Prinzip „Alle gegen alle“, so Unian.

Anlässlich des muslimischen Fastenmonats Ramadan habe die Ukraine im März einen Austausch aller muslimischen Kriegsgefangenen vorgeschlagen, zitiert slovoidilo.ua Daria Sariwna, Beraterin des Chefs der ukrainischen Präsidialadministration.

Doch die russische Seite habe „ohne Enthusiasmus“ auf diesen Vorschlag reagiert. Gleichwohl, so Sariwna: „Das ukrainische Verhandlungsteam ist sehr aktiv.“ Man sei immer kreativ, sei immer auf der Suche nach neuen Wegen und Möglichkeiten, um weiteren Gefangenen die Freiheit zu erkämpfen. 39-mal schon, so heißt es auf der Plattform slovoidilo.ua, seien seit März 2022 Gefangenenaustauschaktionen gelungen.

Man wisse sehr genau, wer sich aktuell in Kriegsgefangenschaft befinde, erklärte der ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Dmytro Lubinetz ukrainischen Medien. Doch im Gegensatz zum Nachrichtenportal Unian will er keine Angaben zu Zahlen machen. Weder zu den eigenen noch zu den russischen Gefangenen. Mit dieser Vorgehensweise, so Lubinetz, sei man effektiver bei weiteren Gefangenenaustauschaktionen.

Sinn- und ziellose Folter

Die am Montag Freigelassenen, sagte Lubinets außerdem, seien in einem teilweise medizinisch besorgniserregenden Zustand. „Unter den Freigelassenen sind Schwerverletzte, Menschen, die sehr viel Gewicht verloren haben, und solche, die psychisch dringend betreut werden müssen. Das beweist, dass Russland unsere Kriegsgefangenen weiterhin unter unangemessenen Bedingungen hält, manchmal ohne ihnen das Nötigste zu geben, zum Beispiel ausreichend Nahrung oder Wasser“, sagte der Ombudsmann.

Viktor Marintschjak, Prior der Kirche des heiligen Johannes, die zur Orthodoxen Kirche der Ukraine gehört, weiß, wie viel Leid sich hinter solchen Nachrichten verbirgt. Immer wieder spreche und weine er mit Angehörigen von Kriegsgefangenen, die zu ihm kämen. Sie befänden sich in einer Art permanentem Schock. „Letztlich kann ich sie nicht trösten“, beklagt er in einem kleinen Nebenraum seiner Kirche in Charkiw gegenüber der taz. Die ukrainischen Gefangenen, so weiß er zu berichten, würden schlecht ernährt, erhielten keinerlei medizinische Versorgung. „Wer Zahnschmerzen hat, muss sich selbst seinen Zahn herausreißen.“

Und immer wieder die sinn- und ziellose Folter. Den Russen ginge es bei diesen Verhören gar nicht darum, aus den Gefangenen irgendwelche Geheimnisse zu erpressen. Sie wollten einfach nur die ukrainischen Gefangenen erniedrigen, so der Priester. „Und wenn ein Gefangener bei dieser Folter das Bewusstsein verliert, wird ein Eimer Wasser über ihn gekippt – und dann geht die Folter weiter.“ Mitunter mit Elektroschocks, berichtet der Priester.

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