Rekrutierung in der Ukraine: Einberufung als Strafe

Kommen ukrainische Männer mit dem Gesetz in Konflikt, wird ihnen häufig ein Einberufungsbescheid zugeschickt. Die Praxis stößt auch auf Kritik.

Verteidigungsminister Aleksei Reznikow kritisierte die Praxis der Strafeinberufung Foto: reuters

LUZK taz | Anfang Februar haben drei junge Männer in der westukrainischen Stadt Luzk in einem Park randaliert. Sie hatten offensichtlich nichts zu tun, rissen zwei Bronzefiguren um und warfen sie in die Büsche. Dabei wurden sie von Videokameras gefilmt, und die Polizei stellte schnell ihre Identität fest. Sie wurden schließlich zu einer Geldstrafe verurteilt, aber die städtischen Behörden wandten sich an das Militär. Dieses zitierte die drei aufs Militärkommissariat und übergab ihnen einen Einberufungsbescheid.

Ein ausgehändigter Einberufungsbescheid als Strafe, solche Fälle kommen in verschiedenen Regionen der Ukraine immer häufiger vor. Sehr oft werden Vorladungen zur Armee wegen Verstößen gegen Verkehrsregeln, Ausgangssperren und die öffentliche Ordnung ausgesprochen. Die Polizei macht auch kein Hehl daraus, dass sie derartige Bescheide als Mittel der Bestrafung einsetze. Manchmal würden 15 oder 30 gleichzeitig ausgestellt. In Kriegszeiten werden so auch Männer bestraft, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren, Bestechungsgelder annehmen, keine Unterhaltszahlungen leisten oder häusliche Gewalt ausgeübt haben.

In Odessa wurde ein Paar beim Oralsex am Strand „erwischt“ und auf Video aufgenommen. Die Polizei sagt, beide hätten „mit außergewöhnlichem Zynismus“ die öffentliche Ordnung verletzt. Der Mann wurde von der Armee vorgeladen und gezwungen, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Während der Kampfhandlungen würden derartige Hormonschübe künftig zu einem normalen Gleichgewicht führen, sagte der Sprecher der regionalen Militärverwaltung, Serhij Bratschuk.

Sechs Angeklagte im Fall der „betrunkenen Partys“ in Kyjiw wurden ebenfalls zur Armee geschickt. Sie hatten junge Frauen eingeladen, sie mit Alkohol abgefüllt und dann sexuell missbraucht. Ein entsprechendes Video wurde in geschlossenen sozialen Netzwerken gepostet. Im Juni berichtete die Kyjiwer Polizei, dass sie mit dem Militär Razzien in Nachtklubs durchgeführt habe. Sie überprüften, ob die Ausgangssperre verletzt worden war, und stellten 219 Männern Vorladungen aus – an einem einzigen Tag.

„Schuld im Krieg reinwaschen“

In Charkiw werden an öffentlichen Orten regelmäßig Vorladungen übergeben. Im März gingen Mitarbeiter des Einberufungsamtes in einen Nachtclub und „beglückten“ damit die dort feiernden Männer. Die Militärs schalteten das Licht an, überprüften die Dokumente und begannen mit der Ausstellung entsprechender amtlicher Schreiben an alle Wehrpflichtigen. In der Ukraine bedeutet ein Einberufungsbescheid jedoch nicht, dass die Betroffenen sofort an die Front geschickt werden. Meistens handelt es sich um eine Art Einladung, um persönliche Daten abzuklären und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen.

Rekrutierungsstellen der Streitkräfte setzen Einberufungsbescheide als Mittel der Bestrafung ein, weil sie oft nicht wissen, wie sie alle Wehrpflichtigen rechtlich zwingen können, sich beim Militärkommissariat zu melden. Derzeit gibt es viele Befürworter schneller Repressalien gegen Gesetzesverletzer in der Ukraine. Besonders beliebt ist diese Methode bei den sogenannten Couch-Experten sozialer Netzwerke. Die Logik: Wenn du während des Krieges nichts zu tun und das Gesetz verletzt hast, musst du dich von „dieser Schuld im Krieg reinwaschen“.

Doch das sehen nicht alle so. Diejenigen, die näher an der Front stehen, sind kategorisch gegen Vorladungen als Strafmaßnahme. Militärs und Freiwillige sind empört darüber, dass die Streitkräfte als Strafkolonie wahrgenommen werden. Dazu gehört auch Verteidigungsminister Aleksei Reznikow, der diese Praxis unlängst verurteilte. Auch einige Anwälte sagen, dass die Aushändigung von Vorladungen als Strafe illegal sei. Wiktor Bischtschuk, ein Soldat in der 103. Brigade der territorialen Verteidigungsstreitkräfte, fühlt sich durch diese Praxis an Strafbataillone in der Armee zu Sowjetzeiten erinnert. Auch der bekannte ukrainische Militär Waleri Markus, der im Donbass gekämpft hat, kritisiert: „Die Verteidigung des Landes sollte keine Strafe sein.“

Aus dem Russischen: Barbara Oertel

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