Pentagon-Leaks in den USA: Verschlossene Augen in Washington

US-Präsident Joe Biden gibt sich angesichts der Pentagon-Leaks „nicht besorgt“. Der Umgang mit den Enthüllungen erinnert an die Zeit von Wikileaks.

Saubere Nacken, schmutzige Geschäfte: Sicherheitskräfte vor dem Pentagon am Mittwoch Foto: Jim Lo Calzo/epa

NEW YORK taz | „Guckt da nicht hin“, raten Sprecher von Washingtoner Regierungsstellen ihren Landsleuten. Sie meinen die mehreren Dutzend – möglicherweise mehr als 100 – geheimen US-Dokumente, die auf verschlungenen Wegen durch das Internet an die Öffentlichkeit geraten sind. Die Papiere enthalten Informationen über die Befindlichkeit und Stärke der Kriegsparteien in der Ukraine, aber auch über die US-Diplomatie im Nahen Osten und Afrika.

Die Fragen, wie echt sie sind, wie manipuliert sie sind und wer sie geleakt hat, beschäftigen gegenwärtig zumindest die Regierungen in den USA, der Ukraine und Russland.

Während Verteidigungsminister Lloyd Austin in Washington nötigenfalls „jeden Stein umdrehen“ will, um die undichte Stelle herauszufinden, besteht US-Präsident Joe Biden darauf, dass er „nicht besorgt“ sei. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag erklärte er, dass eine „umfassende Untersuchung“ laufe und man „nah der Antwort“ sei. Nach seiner Ansicht enthält das Datenloch „nichts Kontaminiertes“.

Ex-Präsident Donald Trump nennt die ganze Sache das „Peinlichste“, das den USA je passiert sei, und macht Biden persönlich verantwortlich. Offiziell tappen die Ermittler weiterhin im Dunkeln.

Abgetippte Details

Die Washington Post hingegen hat einen – nicht namentlich genannten und nicht volljährigen – Interviewpartner gefunden, der den Informanten im Internet gekannt haben will. Der Interviewpartner nennt den Informanten „OG“ und sagt, dieser habe auf einer „US-Militärbasis“ gearbeitet, sei mit Regierungsgeheimnissen vertraut, sei über 20 Jahre alt und „sehr schlau“. Nach Ansicht des Interviewpartners habe der Leaker gewusst, dass er Illegales tat. „Er war der Leader unserer Gruppe“, sagte der Interviewpartner der Washington Post, „er wollte, dass wir informiert und fit sind“.

Das Weggucken in Washington erinnert an die Zeit vor einem Jahrzehnt, als die Enthüllungsplattform Wikileaks der Hauptfeind der US-Behörden zu sein schien. Damals sperrte die US-Regierung den Zugang zu Wikileaks-Webseiten auf den Dienstcomputern ihrer Beschäftigten.

Auch die „Pentagon Files“ sind erstmals im Internet erschienen. Nach Informationen von US-Medien und des niederländischen Recherchediensts Bellingcat tauchten erste Details bereits vor Jahreswechsel auf. Es soll sich dabei um abgetippte Inhalte aus Geheimdokumenten gehandelt haben. Ab Januar speiste jemand fotografierte Dokumente in eine Chatgruppe des Servers Discord, der auf Computerspiele und ein jugendliches Publikum spezialisiert ist.

Die Chatgruppe, die inzwischen gelöscht ist, trug zeitweise den Namen „Thug Shaker Central“. Sie soll während der Pandemie entstanden und gewachsen sein und oft auch andere Namen gehabt haben – darunter auch offen rassistische.

Die rund zwei Dutzend jungen User der privaten Chatgruppe teilten die Faszination für Schusswaffen, Militärgerät (inklusive Kleidung), Gott und Rennwagen. Gemeinsam waren ihnen auch die Sympathie für das orthodoxe Christentum, für einen Youtuber namens „Oxide“. Oxide läuft vor der Videokamera mit schwerem Geschütz herum und ballert und vertritt die bei Rechten in den USA weit verbreitete Einschätzung, dass man „der Regierung“ nicht trauen könne. Aber längst nicht alle ihre Postings sollen politischen Charakter gehabt haben.

„Die Spitze des Eisbergs“

Es ist unklar, wie und wann das Material von der kleinen Chatgruppe auf dem Server Discord auf die Plattform „4Chan“ geraten ist, auf der sich radikale Rechte in den USA tummeln und die auch im Vorfeld des gewalttätigen Sturms auf das US-Kapitol vom 6. Januar 2021 eine Rolle gespielt hat.

Die US-Ermittler wurden offenbar erst hellhörig, nachdem die geleakten Dokumente von 4Chan auf prorussische Telegram-Kanäle weitergeleitet worden waren. Auf diesen Kanälen sind nach Recherchen von Bellingcat Versionen der Dokumente erschienen, deren Daten manipuliert waren. Unter anderem schrumpften die Todeszahlen der russischen Militärs radikal zusammen.

Die US-Regierung und die große Öffentlichkeit hat erst kurz vor Ostern von den Dokumenten erfahren. Auch in dieser Woche weiß Präsident Bidens Sprecher für die Nationale Sicherheit, John Kirby, noch nicht, wie viele Dokumente tatsächlich in Umlauf sind und noch an die Öffentlichkeit geraten könnten. Aus dem Verteidigungsministerium in Washington verlautet, dass bislang erst die „Spitze des Eisbergs“ bekannt sei.

In der Ukraine und in Russland liefern die Regierungen unterschiedliche Dementis. Sie reichen von „falsche Angaben“ bis hin zu der Mitteilung „grobe Manipulation“.

Auf mehreren der Fotos von Dokumenten, die jetzt im Internet kursieren, ist im Hintergrund Handwerkszeug zu sehen, darunter der Klebstoff „Gorilla Glue“. Beobachter folgern daraus, dass die Dokumente vor den Augen der Behörden in den USA manipuliert worden sind. Da in dem aufgeblähten Sicherheitsapparat der Vereinigten Staaten mindestens 1,25 Millionen Menschen Zugang zu offiziellen Geheimnissen haben, ist die Zahl der potenziell Verdächtigen erheblich.

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