Nach dem Großbrand in Hamburg: Das Aufräumen beginnt

Bei Hamburgs Behörden ist jetzt Krisenbewältigung angesagt. Gebrannt hat es an der Bille nicht das erste Mal, doch Konsequenzen gab es seither nicht.

Ein Autowrack und Brandschutt im Stadtteil Rothenburgsort vor den Resten einer abgebrannten Lagerhalle

Vor den Resten der abgebrannten Lagerhalle: ein Autowrack und Brandschutt Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

OSNABRÜCK taz | Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Hamburg fährt nun schweres Geschütz auf: Als „verheerend“ bezeichnet sie das Großfeuer, das am Ostersonntag in der Hamburger Billstraße ausbrach, im Stadtteil Rothenburgsort, spricht von „rechtsfreien Räumen“, die „Menschenleben in Gefahr“ bringen.

Seit „geraumer Zeit“ sei klar, sagt Horst Niens, der GdP-Landesvorsitzende, dass in der Billstraße „zahlreiche Gewerbetreibende gegen viele Gesetze verstießen“. Dann zählt er auf: Verdacht der Hehlerei, der Steuerhinterziehung, des Menschenhandels. Die Lage sei „außer Kontrolle“.

Es könne nicht sein, dass „tonnenweise Schrott und alle möglichen Güter auf engstem Raum gelagert werden“. Zoll, Bauaufsicht, Feuerwehr, Umweltamt und Polizei müssten „den Rechtsstaat durchsetzen“. Auf dem 17.000 Quadratmeter großen Gelände eines Autohändlers hatten Lagerhallen Feuer gefangen. Der Einsatz dauert noch an.

Vor eineinhalb Jahren hatte es an der Billstraße schon einmal einen Lagerhallen-Großbrand gegeben. „Und es wird garantiert auch nicht das letzte Mal sein“, sagt Matthias Beth, der am Sonntag Zeuge der Löscharbeiten war und mit Anwohnern gesprochen hatte, der taz. Beth heißt eigentlich anders, möchte aber seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen.

Vorwürfe gegen Behörden

„Das hier ist eine No-Go-Area“, beschreibt er der taz das Industrieareal an der Bille. „Was hier abgeht, ist krass. Kein Recht, keine Ordnung, kein Gesetz. Sondermüll ohne Ende, vollgestellte Feuerwehrzufahrten.“ Es habe nach Schwefel gestunken, die Anwohner hätten Angst vor dem Gift gehabt.

Er macht Innensenator Andy Grote (SPD) schwere Vorwürfe: „Effizienter Bevölkerungsschutz war das nicht“, sagt er. „Warum ist die Feuerwehr zuerst mit viel zu geringen Kräften angerückt? Warum gab es keine mobilen Hochleistungspumpen? Warum wurden die Schadstoffe in der Luft nicht durch Sprühnebel gebunden? Warum darf soviel Müll in Wohngebietsnähe lagern, ohne Grundwasserschutz?“ Auf den angrenzenden Dächern liegen bis heute Hunderte alter Autoreifen.

Schadstoffbelastetes Löschwasser sei in die Kanalisation geflossen, in die Bille. Die Hydranten hätten zu wenig Wasser geliefert. Und dann sei da die Sache mit den Löschschiffen: „Früher hatte die Hamburger Wasserschutzpolizei Schiffe mit Löschkanonen, aber die wurden abgeschafft. Auch die Hamburger Feuerwehr hatte Löschschiffe, aber die wurden an die Hamburg Port Authority outgesourced. Warum gibt es in der Bille keine Löschbootstation mehr? Durch die Schleuse hier rein dauert es doch ewig, je nach Stand der Tide.“

Vor der Polizeiabsperrung hat er am Sonntag rund 40 Personen gesehen, die auf ihn wirkten, als hätten sie „alles verloren“. Billiglohn-Arbeiter, vermutet er, die in den abgebrannten Hallen gelebt hätten. „Kontrollen gab es in der Billstraße offenbar nie“, sagt er.

Arbeiter haben in den Hallen gelebt

Auf Ralf Neubauer, den Bezirksamtsleiter Hamburg-Mitte, kommt jetzt viel Arbeit zu. „Die Probleme in der Billstraße sind uns bekannt“, sagt er der taz. „Aktuell erleben wir leider sehr häufig dasselbe, nämlich dass wir eine illegale Nutzung teilweise nach langwierigen Verfahren untersagen können, dann das Grundstück verkauft wird und die nächste illegale Nutzung beginnt.“

Die Stadt habe „planerische Vorstellungen“ für die Billstraße, dazu brauche es ein städtisches Vorkaufsrecht. „Wir rechnen mit einem zeitnahen Ergebnis.“ Mit der Behörde für Wirtschaft und Innovation hat das Bezirksamt 2022 das „Zielbild Billstraße 2035“ entwickelt. Damit sollen „die aktuellen Missstände Schritt für Schritt beseitigt werden“.

Von der Hamburger Behörde für Inneres, von der taz mit Detailfragen konfrontiert, blieben bis Redaktionsschluss viele Antworten aus, zu Luftschadstoffen und Hydrantenkapazität, zu Brandmeldeanlagen und Löschwasserverbleib.

Zur Kritik am Löschbooteinsatz sagt Tim Spießberger, ihr Sprecher, der taz: Die Feuerwehr Hamburg besetze dauerhaft ein Löschboot der Klasse LB30, „das auch in flachere Gewässer wie die Bille einlaufen kann“. Ein LB30 sei „auch beim Großbrand eingesetzt“ worden. Es habe allerdings beim Einsatz keine Möglichkeit gegeben, „die Brandstelle direkt mit einem Löschboot zu erreichen“.

Löschboot mit geringer Reichweite

„Das LB30 hat Wasser aus der Bille gepumpt“, bestätigt ein Sprecher der Berufsfeuerwehr Hamburg der taz. „Das wurde dann mit Schlauchverlängerungen zum Einsatzort transportiert.“

Beth hat kein Boot am Brandort gesehen. Vor allem keinen Einsatz der starken LB30-Wasserkanone. „Auch die Nachbarn hier haben sich gefragt, warum das nicht passiert ist, über das Nachbargebäude hinweg. Dann hätte der Brand womöglich gar nicht solche Ausmaße erreicht.“

„Das ging nicht“, sagt Spießberger. „Allein aufgrund der Entfernung.“ Seine Aufzählung der Dienstboote der Wasserschutzpolizei, von WS 1 bis WS 37, ist eindrucksvoll. Aber über viel Löschreichweite verfügen die meisten nicht.

Es wird noch viele Fragen geben, zum Brand an der Hamburger Billstraße. Und noch viele Antworten werden nötig sein. Eine Frage ist: Wann ist das letzte Glutnest gefunden?

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