Explizites Liebes-Theater in Hannover: Selbstbeschimpfung on point

Spektakulärer Text über kriselnden Feminismus: Julia Wissert inszeniert Sivan Ben Yishais „Liebe / Eine argumentative Übung“ am Schauspiel Hannover.

Vier Frauen mit grotesk großen Plastikhänden

Olivia plus Selbstzweifel: Mariann Yar, Tabitha Frehner, Viktoria Miknevich, Christine Grant (v.l.) Foto: Sinje Hasheider

Olivia weiß, wie man Emanzipation performt. Sie ist ja nicht doof. Oder vielleicht ist sie's auch gerade doch, weil es ihr ja darum geht, diese Emanzipation so zu performen, dass „er nichts merkt“. Damit ausgerechnet „er“ nicht mitkriegt, wie unglücklich sie ist und unzufrieden und wie sie fast wahnsinnig wird über der Frage, ob ihre Vagina stinkt. Oder warum sonst ihr Freund, also Popeye der Seemann, sie nicht lecken will.

Vielleicht ging das jetzt zu schnell. Aber andererseits hat in „Liebe / Eine argumentative Übung“ eh nichts verloren, wer Probleme mit hohem Tempo und unvermittelten Einstiegen und genitalen Gerüchen hat. Denn davon ist Sivan Ben Yishais Text randvoll, woran auch die Inszenierung von Julia Wissert im Staatstheater Hannover nichts ändert. Im Gegenteil.

Es geht um Olive Oyl – im Stück „Frau Öl“ –, diese Cartoonfigur mit roter Bluse, flacher Brust, Knollnase und schwarzem Haar, die man als Freundin von Seemann Popeye kennt und sonst nicht weiter. „Du siehst aus wie ein abgebranntes Streichholz“, sagt sie einmal über sich selbst, was ein bisschen gemein ist, aber zweitens auch wahr und drittens lustig. Überhaupt spricht sie viel über sich selbst an diesem Abend und ist dabei selten freundlich. Man könnte umgekehrt auch sagen: Das Stück ist Olivias fast zweistündige Selbstbeschimpfung, ein innerer Monolog im Chor, der eine ungesunde Beziehung zerlegt und in mitunter schmerzhafter Offenheit verhandelt, wie der doppelte Anspruch feministisch, aber auch glücklich zu sein, ei­ne:n in den Wahnsinn treiben kann.

Abrechnung mit dem Chauvinismus

Als Olivia plus Selbstzweifel stehen Tabitha Frehner, Christine Grant, Viktoria Miknevich und Mariann Yar auf der Bühne – die über den etwas lang geratenen Einstieg erstmal wirklich nur stehen. Naja, und reden. Schlimm ist das nicht, der spektakuläre Text wäre notfalls auch allein schon schwindelerregend, aber es fühlt sich doch besser an, als die Sache später Fahrt aufnimmt.

Wobei das Problem zum Teil auch in den Augen des Betrachters liegen könnte, der diese Verschiebung erstmal hinbekommen muss: einzusehen, dass der Text zwar an der Oberfläche als Abrechnung mit dem Chauvinismus hundert Jahre alter Popkultur daherkommt – dass aber von Autorin und Regisseurin, Performerinnen und dem restlichen Hannover nun wirklich klar ist, dass der Popeye-Stoff ein alter Schinken ist. Gerade deshalb ist es ja auch so finster, Probleme und Zustände von heute darin wiederzufinden.

Auf der von För Künkel als Hügellandschaft aus goldenen Brüsten eingerichteten Bühne spielen die Performerinnen einander passgenau die Stichworte zu. Sie streiten über dieses, verhandeln jenes, üben sich in Kritik und Solidarität und sowas wie solidarischer Selbstkritik. Was schwerer ist, als es vielleicht klingt.

Schon für den Text, dessen Autorin übrigens in diesem Jahr den Theaterpreis Berlin erhalten wird, ist das eine Herausforderung: Über das Private zu reden und über die doppelten Zwänge, denen man (und vor allem frau) von heteronormativer Gesellschaft und emanzipatorischem Selbstverständnis zugleich ausgesetzt ist. Der Fallstrick ist ja da, jenem Gesindel noch Argumente zu liefern, das ausgerechnet den Feminismus als Überforderung der Frau abschaffen und sie zurück in Sicherheit zwischen Herd und Kind verfrachten will. Also: Die Reaktion lauert zwischen den Zeilen – deshalb ist Olivia ja auch so aufgekratzt –, und um es ganz dicke zu sagen: Es geht in den Nuancen ums Ganze.

Verachtung noch für den Selbsthass

Und auf die konzentriert sich Julia Wisserts Inszenierung dann auch, statt den Text noch weiter mit Kontext zu beladen oder zu rahmen. Ausgesprochen dynamisch setzen sich die vier Olivias miteinander ins Benehmen. Besonders Tabitha Frehner kitzelt noch beim Rausbrüllen der Wut subtilste Feinheiten aus dem Text. Verachtung ist hier wohl das entscheidende Wort: gegenüber sich selbst und gegenüber dem Selbsthass – gegen die kapitalistisch vorgeformte Inwertsetzung der eigenen Begehrbarkeit, und gegen die nackte Angst davor, irgendwann einsam unter der Leuchtstoffröhre eines anonymen Krankenhauses verrecken zu müssen, weil man nicht mitspielen wollte, als es noch gegangen wäre. Darum gehts.

Liebe / Eine argumentative Übung. Wieder zu sehen am 26. + 28.3. sowie 4. 4., Hannover, Schauspielhaus.

Nur dass die Analyse, die „argumentative Übung“ eben, solche Fragen eben nicht durchdringt, wenn sie den Körper übergeht. Während auf der Bühne die goldenen Riesenbrüste immer weiter in ihre kantigen Bestandteile zerlegt werden – vom Symbolischen ins Abstrakte überführt, wenn man so will –, wird’s körperlich immer konkreter, weil dort ja doch das Schlachtfeld liegt. Es ist ja wichtig, dass Finger manchmal nach Vagina riechen oder nach Arsch. Dass Orgasmen hier mal nicht das Problem sind, weil Olivia eine ist, „die kommt wie ein Mann“. Und dass ihr Problem gerade nicht nur darin besteht, dass Popeye sie nicht leckt zwischen den Beinen – sondern dass sie sich jetzt auch noch einen Kopf darüber machen muss, wie zahm und langweilig dieser geheime Wunsch ist. „Schätzchen, das ist jetzt nicht die extremste Begierde ever“, sagt sie so zu sich und schiebt gleich die nächste Krise nach, weil: „Sogar Selbsthass sollte heutzutage on point sein.“

Und das ist er auch: in Sivan Ben Yishais Text genau wie in Hannovers Schauspielhaus. So unerfreulich das in der Sache sein mag, so befreiend wirkt es, dabei zuzugucken. „Wham Bam Thank You Mam“, wie Popeye sagen würde.

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