Kriegsverbrechen in der Ukraine: Putins Mutter fürs Grobe

Maria Lwowa-Belowa ist Russlands „Beauftragte für Kinderrechte“. Sie soll für die Verschleppung von ukrainischen Kindern verantwortlich sein.

Maria Lwowa-Belowa posiert mit Kindern in der sogenannten Volksrepublik Donezk Foto: Pavel Lisitsyn/Sputnik/Imago

MOSKAU taz | Lautes, höhnisches Lachen ist ihre Reaktion. Maria Lwowa-Belowa lehnt sich in einer Sendung des russischen Staatsfernsehens Rossija 1 zurück und spottet: „Für den Westen ist die Rettung von Kindern also ein Kriegsverbrechen.“ Wenige Tage zuvor hatte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin erlassen – und auch gegen sie, seine „Beauftragte für Kinderrechte“.

Das Gericht wirft ihnen vor, für die Verschleppung und Umsiedlung von Kindern aus den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten persönlich verantwortlich zu sein. „Wir machen weiter, kein Haftbefehl wird uns aufhalten“, sagt die 38-Jährige im Sender.

Seit kurz vor Beginn des Kriegs in der Ukraine holt Moskau Kinder aus dem Nachbarland und verteilt sie in Erholungsheimen, Waisenhäusern und Pflegefamilien. Mindestens 43 solcher Einrichtungen soll es laut der Yale School of Public Health geben.

Das Fernsehen sendet Reportagen, wie Be­am­t*in­nen mit Plüschtieren den ankommenden Kinder entgegen eilen und ihnen zurufen: „Ihr seid zu Hause, hier warten eure Mamas und Papas auf euch!“

Verstörende Videos

Für die Kinder sind es fremde Menschen. Die Videos verstören. Bei vielen solcher Aktionen ist auch Maria Lwowa-Belowa dabei, sie nimmt die Kinder auf den Schoß, trägt sie aus dem Flugzeug, knuddelt sie. Dann strahlt sie in die Kameras und sagt, den Kindern würde es bei ihrer Unterbringung an nichts fehlen.

Die Politikerin, die in ihrem Umfeld kumpelhaft Mascha genannt wird, wirkt wie besessen davon, Kindern aus dem Donbass zu einer „glücklichen Zukunft in Russland“ zu verhelfen. Lediglich 15 Kinder aus acht Familien sind nach Angaben Lwowa-Belowas zu ihren Verwandten in die Ukraine zurückgebracht worden. Andere Eltern hätten sich nicht gemeldet, behauptet sie. „Ist es nicht ein patriotisches Gefühl, wenn es keine fremden Kinder gibt und alle unsere sind?“, fragte sie auf einem Moskauer Forum im November.

Putin hatte im vergangenen Mai die Einbürgerung ukrainischer Kinder erleichtert. Damit können sie problemloser von russischen Familien adoptiert werden. Mindestens 16.000 ukrainische Kinder sollen sich nun in Russland aufhalten. Wie viele es genau sind, lässt sich nicht herausfinden.

Ohnehin ist in Russland wenig zum Verbleib von Kindern zu erfahren, die aus ukrainischen Waisenhäusern und Kinderheimen kommen, die in den Wirren des Kriegs und an der sich ständig ändernden Frontlinie ihre Eltern verloren haben, die von ihren Müttern und Vätern zur „Erholung“ aus dem Kriegsgebiet weggebracht wurden und nicht mehr nach Hause zurückkehrten.

Betreten verboten

Die russischen Einrichtungen sind verschlossen – und auch für Jour­na­lis­t*in­nen tabu. Ohne die Erlaubnis der Behörden dürfen solche Gelände nicht betreten werden. Pflegefamilien oder auch Di­rek­to­r*in­nen von Schulen, in denen die Kinder aus der Ukraine jetzt unterrichtet werden, gehen nicht an die Öffentlichkeit, um kein Strafverfahren zu riskieren. Russlands Repressionsmaschinerie versetzt die Menschen immer mehr in Angst und Schrecken.

Die meisten Kinder aus der Ukraine sind in russischen Sanatorien und Kinderheimen untergebracht, 380 von ihnen in russischen Pflegefamilien, so sagt es Lwowa-Belowa. Sie selbst hat fünf eigene und vier Pflegekinder, zudem die Vormundschaft für dreizehn kleine Menschen mit kognitiven Behinderungen.

Seit August nennt sie den 15-jährigen Filipp Golownja aus dem von den Russen zerbombten Mariupol „mein Kind aus dem Donbass“. „Es ist der Ruf meiner Seele, mein ganzes Leben schon, allen Kindern meine Liebe zu schenken“, sagt Lwowa-Belowa in einer Reportage des ultrakonservativen staatsnahen Senders Zargrad.

In dem Fernsehbericht wird die international gesuchte Kinderdiebin als „Übermensch, der Kinder aus dem Kugelhagel rettet“ bezeichnet. Neben ihr sitzt ihr Mann, den sie als „Vater Pawel“ anspricht. Der einstige Programmierer ist seit 2019 orthodoxer Priester. Die beiden hatten sich in einer Kirche in Pensa, etwa 500 Kilometer südlich von Moskau, kennengelernt, als Lwowa-Belowa 14 Jahre alt war. Mit 17 heiratete sie Pawel Kogelman, 2005 wurde ihre Tochter Alexandra geboren.

Berufung gefunden

Lwowa-Belowa, ausgebildete Dirigentin für Unterhaltungsmusik-Orchester, arbeitete als Gitarrenlehrerin an einer Musikschule. In Pensa hatte sie Projekte zum betreuten Wohnen für Menschen mit Behinderungen ins Leben gerufen und die Beamten in der Region davon überzeugt, dass häusliche Pflege besser sei als die psychoneurologischen Internate, in denen in Russland zahlreiche Menschen mit Behinderungen ruhig gestellt werden.

Im Oktober 2021 machte Putin sie zu seiner Kinderrechtskommissarin, die fromme, kinderreiche Mutter passt gut in das russische Narrativ der „traditionellen Werte“. Mit dem Krieg scheint Lwowa-Belowa ihre Berufung gefunden zu haben – und findet wenig dabei, dass sie vielen Mädchen und Jungen aus der Ukraine die Identität raubt.

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